Menschen, die ein Weingeschäft betreten und das Verkaufspersonal anweisen: ‘Ich hätte gerne Ihren teuersten Rotwein’ halte ich nicht für verdächtig, echte Weinkenner zu sein. Nicht dass ich allzu viele Menschen kenne, die so etwas schon einmal getan haben. Genau genommen kenne ich nur einen: mich. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass ich zwar gute Gründe aber keine Zeit hatte, diese mit dem Ladeninhaber zu erörtern.
Es war der letzte Tag eines Kanada-Urlaubs während dessen ich mit wachsender Begeisterung die Rieslinge und Traminer aus British Columbia und von der Niagara-Halbinsel genossen hatte. Nur die Frage, wie ein gereifter großer kanadischer Rotwein schmeckt, war unbeantwortet geblieben. Der Erwerb eines entsprechenden Mitbringsels zur späteren Probe in heimischen Gefilden sollte Abhilfe schaffen. Da Kanada nur bei Eisweinen preislich in gehobene Regionen vorstößt, war mein Ansinnen risikolos.
Den einheimischen Über-Rotwein schlechthin, den Oculus von Mission Hill konnte ich nicht ergattern. Der ist vor Ort schwerer erhältlich als in Deutschland (wie ich das auch schon in Südafrika mit einheimischen Spitzen erlebt habe) aber immerhin die Nummer zwei unter den kanadischen Rotweinen konnte ich erwerben. Der stammt auch von Mission Hill und heißt Select Lot Collection was in etwa ‚aus den besten Parzellen‘ heißt. Ich entschied mich für den Merlot, der aus einem Halbwüsten-Klima mit nur 300 Millimetern Jahresniederschlag stammt. Er wird nach der Gärung in französische Eiche gesperrt, weswegen ich ihm noch ein paar Jahre Kellerruhe verordnete. Dieser Tage war es dann soweit.
Mission Hill, Merlot ‚S.L.C.‘, 2004, Okanagan Valley, Kanada. Eine traumhafte Fruchtnase: Kirsche und Pflaume im Übermaß. Dazu gesellt sich ein leichter Stall-Stinker und nur rudimentäre Spuren vom Barrique-Ausbau. Am Gaumen ist vom Holz ebenfalls kaum noch etwas zu spüren, es dominiert wieder die Frucht – jede Menge rote und schwarze Beeren. Dazu zeigt der Wein reichlich Aromen von Bitterschokolade. Das Tannin ist voll und samten, eine leichte Rauchnote kommt erst im Abgang und nach einigen Stunden Belüftung zum Tragen. 14% Alkohol sind perfekt eingebunden, der Wein hat Fleisch auf den Knochen ist aber nicht zu üppig. Sehr gelungener Merlot, der seine überseeische Herkunft gar nicht erst zu verleugnen versucht.