Philipp Wittmann lud letzte Woche zum Lunch mit einigen aktuellen und gereiften Weinen in das Restaurant des neuen Berliner Hotels Chateau Royal. Für mich bot sich dabei die Gelegenheit endlich mal einen Rotwein des Westhofener Betriebes zu probieren. Neben vielen weiteren spannenden Weinen…
Es hatte wohl auch mit den Turbulenzen rund um die fünf Kapseln Rheinhessens und den neuen Grünhaus 1G Riesling zu tun, dass Wittmann mich zu dem eigentlich für seine Partner aus Gastronomie und Handel veranstalteten Mittagessen lud. Über das Gespräch zu diesem Thema habe ich bereits in der aktuellen Episode des Podcast berichtet. Hier will ich noch die Weine nachreichen.
Den Anfang machte eine freie Verkostung aktueller Gutsweine. Die phänomenalen 22er Weiß- und Grauburgunder, Gutsrieslinge Estate und ‚vom Kalkstein‘ ließ ich aus Zeitgründen aus. Sie sind bereits in meinem Bericht aus Mainz besungen. Neu für mich war der Rosé 2022: eher trocken, schöne Säure, etwas Phenolik, auf angenehme Weise bunte Frucht, die sehr lecker, aber aufgrund der schönen Struktur des Weines nicht zu dropsig daherkommt. Gefällt auch mir als Rosé-Vermeider sehr gut. Der Silvaner ‚Natural‘ 2022 ist in der Nase ziemlich belegt und etwas, tja, natural halt. Die Nase ist also eher kein Plus, aber der Gaumen ist ganz fein, cremig, schwelgerisch, die gar nicht so kräftige Säure kommt dadurch trotzdem zu guter Entfaltung, die Frucht geht stark in Richtung Birne, Heuboden ist auch dabei. Dazu kommt tolle Süße, die aber nicht klebrig wirkt, weil es halt kein Zucker ist. Mit dieser opulenten, etwas spannungsarmen Struktur ist das ein toller Wein zum Essen und für ein entspanntes Glas danach. Gefahr aus Versehen eine ganze Flasche zu trinken besteht eher nicht.
Danach kamen Weine in Flights zum Essen.
Flight 1 Ortsweine
2021 Gundersheimer Riesling (aus Ersten Lagen). Reiner Höllenbrand, Nachbar des Morstein, höher gelegen, laut Wittmann zu junge Reben, um schon das volle Potential der Lage auszuschöpfen. Sehr bunt! Tolle Säure, dann kommt saftiger Apfel, nur etwas Phenolik, noch keine Reife-Noten, große Klarheit und vibrierende Säure. Finde ich sehr gut. Und ich vestehe die Einschätzung des Winzers. Das könnte komplexer sein und wenn das mit weiterem Rebalter komplexer wird, dann wächst hier ein echter Morstein-Konkurrent heran.
2021 Westhofener Riesling (aus Ersten Lagen). Das hat viel von einem jungen Morstein, hat enormen Druck und große Dichte, dann kommt eine dezent rauchige Tiefe, die Frucht dreht in Richtung Aprikose, da passiert einfach wahnsinnig viel und dann schlummert noch Potential darunter. Ist zu Recht für viele einer der besten Ortsrieslinge Deutschlands (aus Ersten Lagen hin oder her).
zum Vergleich 2018 Westhofener Riesling (aus Ersten Lagen). Kann man wirklich nicht meckern, die spürbar niedrigere Säure ergibt einen ganz anderen Wein, hat einen opulenten burgundischen Charakter – aber er hat tatsächlich Charakter. Und ist trotzdem nicht meins…
Flight 2 2021
Aulerde GG. Aprikose und eingelegte Kirsche in der Nase, ölige Textur, aufgeschnitten von messerscharfer, aber nicht aggressiver Säure, sehr schön, aber eher von Frucht getrieben – und zwar mit reichlich Druck. Ich habe schon früher daneben gelegen bei diesem Wein: auch 2005 war in der Jugend vor allem fruchtig, etwas simpel (und übertrieben druckvoll) um dann trotz 14% Alkohol in der Ten-Years-After-Probe dem Wettbewerb davon zu tanzen. Wenn es danach geht, schlummert hier also ein Sieger.
Kirchspiel GG. Sehr offen, erste Reifenote, etwas Malz, ein bisschen blumig, das zeigt mehr Komplexität und Würze als die Aulerde, ist aber auch derzeit nicht der Weisheit letzter Schluss. Bringt mich nicht von meiner Meinung ab, dass das Kirchspiel eigentlich meistens nur ein ordentliches GG ist.
Brunnenhäuschen GG. In der Frucht eher einfach und apfelig, aber dann kommt ganz viel Potential und die Säure tanzt und der Wein wirkt unfertig, aber extrem dicht, dabei fein gewoben und balanciert. Im Gegensatz zur Aulerde wage ich hier ganz beherzt die Prognose: ein schlafender Riese.
Flight 3 Morstein Riesling GG
2016. Es ist einfach spannend, wie langsam sich der Jahrgang bei seinen besten Vertretern entwickelt. Die meisten Jahrgänge der zweiten Dekade erreichten diesen Reifezustand schon nach zwei oder drei Jahren. Etwas Malz, die Säure wunderbar integriert, etwas mürber Apfel und reife Aprikose, aber darunter auch große Frische, gepaart mit Würze. Saftig im Antrunk, getragen von Frucht und Säure, ausklingend auf Reife und Würze, großer Wein ist manchmal einfach zu beschreiben. Keine Eile.
2019. Da wundert man sich doch, wie viel Reife schon da ist. Der wird nicht vorzeitig abstürzen, aber der Reifevergleich zum 16er spricht Bände. Tolle Würze, schöne Säure, sehr gut, aber nicht für die Ewigkeit.
2021. Verhaltene Nase, ordentliche Säure, etwas schmelzig, dann mit leicht mürben Noten, da kommt schon viel, das ist leicht rauchig, die Frucht verführerisch, aber es deutet sich vor allem ganz viel Potential an. Ich bin sehr optimistisch.
Flight 4 Burgundersorten
Chardonnay Reserve 2021. Präsentiert noch sehr viel Holz, eher ölige Textur, trotzdem nicht ausreichend Substanz, um die kräftige Säure jetzt zu puffern. Der Wein steht sehr in Einzelteilen im Glas, aber ich will nicht voreilig den Stab drüber brechen. Ich bin ein Fan von Wittmanns Chardonnay und habe erlebt, dass er sehr gut reift, also bin ich optimistisch.
Chardonnay Reserve 2018. Hat viel Kraft, hat aber auch ein Level an Butter, mit dem ich nicht so viel anfangen kann.
Gundersheimer Erste Lage Spätburgunder (Höllenbrand) trocken 2020. Da ist das Ding! Mein erster Wittmann-Rotwein. Eher deutsche Nase mit gekochter Erdbeere, am Gaumen auch etwas gekochte Frucht, aber die ist nicht belegt oder diffus, sondern erstaunlich präzise. Säure und Struktur sind ausgeprägt. Das schielt nicht ins Burgund, das pflegt eine heimische Identität und das gefällt mir ziemlich gut!
Auf dem Weg zum Termin hatte ich noch die Gelegenheit, die aktuelle Kollektion von Simone Adams zu verkosten. Kurznotizen zu diesen Weinen gibt es hier exklusiv für Steady-Unterstützer.