Das seltenste Grosse Gewächs aller Zeiten

Neben den offiziellen Regeln, die der VDP seinen Mitgliedern für die Produktion von Grossen Gewächsen auferlegt (und mit denen ich mich unter anderem hier beschäftigt habe), scheint es auch noch inoffizielle zu geben. Davon handelt zumindest eine Geschichte, die ich dereinst von einem Händler hörte, als ich mir den gestern getrunkenen Wein kaufte.

Das Weingut Bassermann-Jordan besitzt in der als ‚Erste Lage‘ klassifizierten Gemarkung Königsbacher Ölberg eine winzige mit Spätburgunder bestockte Parzelle, deren Ertrag gerade mal ein Barrique-Fass füllt. Diese 225 Liter ergeben nach Abzug von ein bisschen Bodensatz keine 300 Flaschen. Im Jahr 2004 füllte das Weingut diese als ‚Grosses Gewächs‘ in die Flasche mit der Trauben-1. Davon gingen zwei für die Qualitätsweinprüfung drauf, weitere mussten zur sensorischen Prüfung zum VDP. Dann wurden wohl Flaschen für die öffentlichen GG-Präsentationen des Verbandes gebraucht und sicher wanderten noch einige in die Schatzkammer des Gutes.

Es kamen also vermutlich nicht einmal 250 Flaschen in den Verkauf. Angeblich führte das zu einer Intervention des VDP beim Weingut. GGs sollten sich durch eine gewisse Verfügbarkeit auszeichnen und davon sei man mit so einem Produkt doch sehr weit entfernt. In der Folge wurde der Wein ab dem Jahrgang 2005 als normaler Lagenspätburgunder gefüllt. Der Preistrend geht allerdings ungebremst nach oben. Mit einmalig weniger als 300 in den Handel gekommenen Flaschen ist dies also vermutlich das seltenste GG aller Zeiten.

Weingut Geheimer Rat Dr. von Bassermann-Jordan, Königsbacher Ölberg Spätburgunder Grosses Gewächs, 2004, Pfalz. In der noblen Nase Kirsche, Leder und Bittermandel/Marzipan. Keine ‚deutschen‘ Noten in der Nase und auch am Gaumen ist der Wein alles andere als hausbacken. Kirsche, Schokolade, ein wenig Holz und Nelke sind von einer tollen Mineralik unterlegt – großartige Struktur. Der ultralange Abgang ist vor allem von Mineralik getragen. Ein vornehmer Wein, kein Muskelpaket.

Das ist einer der zehn besten Spätburgunder, die ich bisher getrunken habe.

P.S. Mittlerweile habe ich die Info bekommen, mein Händler habe übertrieben: Es seien drei Barriques, die von dem Wein produziert würden und er wäre auch 2003 als GG gefüllt worden. Der Rest der Geschichte sei aber ungefähr korrekt.

Versuch macht kluch

Wie in anderen Zweigen der Landwirtschaft auch, darf man im Weinbau nicht einfach anpflanzen, worauf man gerade Lust hat. Der Winzer hat sich an die zugelassenen Sorten zu halten. Das bewahrt den Verbraucher vor Gen-Wein jeglicher Couleur aber auch vor Rheinhessen-Barolos und Mosel-Chiantis.

Wer aus der Reihe tanzen will, kann auf eine Sondergenehmigung hoffen. Im Rahmen von Programmen zum ‚Versuchsanbau‘ wächst so allerlei auf deutschem Boden, von Primitivo bis Veltliner. Besitzer einer solchen Anlage müssen ihre Weine kennzeichnen als ‚Wein aus Versuchsanbau‘. Das klingt in meinen Ohren ziemlich furchteinflößend. Interessanterweise scheint diese Anordnung nur für reinsortig ausgebauten Wein zu gelten. Bei Cuvées mit einem oder mehr zugelassenen Partnern und solchen aus Versuchsanbau fehlt der Zusatz.

Böse Zungen behaupten ja, die Kennzeichnung ‚Wein aus Versuchsanbau‘ bedeutet, dass der Winzer noch versucht, aus dem eigentlich nicht in den Landstrich gehörenden Rebmaterial was Gescheites zu keltern. Dieser Cabernet Franc gibt zu solcherlei Zynismus aber keinen Anlass:

Jakob Pfleger, Cabernet Franc Spätlese ‚Goldberg‘, (Rotwein aus Versuchsanbau) 2006, Pfalz. In der Nase Brombeere, Heidelbeere und (ich weiß es nicht anders zu benennen) Schuhcreme. Am Gaumen ist der Wein von mittlerer Textur und kann meiner Meinung nach seine deutsche Herkunft nicht verbergen. Pflaume, Blaubeere, etwas Holz und festes aber nicht dominierendes Tannin gepaart mit dezenter Säure geben ein gutes Mundgefühl. Der Abgang ist sehr lang und leicht buttrig/cremig. 13% Alkohol sind sehr gut eingebunden.

Ein Wein, den ich als Bereicherung des Pfälzer Sortensortiments betrachte und dessen 2009er Version ich mit großer Neugier entgegensehe.

Liebe auf den ersten Schluck

Meyer-Näkel, Spätburgunder ‚Blauschiefer‘, 2005, Ahr
Spätburgunder ‚Blauschiefer‘ 2005 von Meyer-Näkel

Ganz selten passiert es mir, dass ich einen Wein öffne, einen Probeschluck nehme und sofort denke: ‚Au Backe, da musst Du aufpassen, dass Du nicht die ganze Flasche an einem Abend trinkst‘. Dabei ist das keine Auszeichnung für einen exorbitant guten Wein, es ist auch keine extreme Form von Süffigkeit – manche Weine regen bei mir dermaßen  den Trinkfluss an, dass ich mich stark zurücknehmen muss.

Geschmacklich kommt dieser Kick aus der Gruppe von Eindrücken, die man gemeinhin mit ‚Mineralik‘ bezeichnet. Die Weine sind fast immer von einfacherer Konzentration – keine großen Gewächse. Passieren kann es bei Rieslingen und seltener Spätburgunder, manchmal sind es auch ganz andere Weine, die mich derart hypnotisieren. Vor einigen Jahren bin ich dem Drang einmal erlegen und habe in zweieinhalb Stunden eine Flasche eines trockenen Molitor-Kabinetts vertilgt, worauf der Abend gelaufen und ich für alle Zeit gewarnt war.

Gestern hatte ich eine jener Begegnungen der dritten Art. Wieder war es ein alles andere als konzentrierter Stoff. Auch kann er seine deutsche Herkunft nicht verleugnen. Aber ich fand ihn fein, fein, fein! Ein Extra-Glas ist es geworden, ansonsten hatte ich mich im Griff.

Meyer-Näkel, Spätburgunder ‚Blauschiefer‘, 2005, Ahr. In der Nase Kirsche, Holz, Erdbeere und etwas Liebstöckel. Am Gaumen ist der Wein schlank mit vergleichsweise dünner Textur. Erdbeere, Vanille, etwas Holz und eine sehr frische Säure. Die feine Mineralik ist am Gaumen ungemein zupackend und setzt sich im langen, vanilligen Abgang fort.

Füllwein (10)

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für erwähnenswert befunden habe.

Heymann-Löwenstein, Riesling ‚Schieferterrassen‘, 2006, Mosel. In der Nase total überreif: Pfirsich- und Aprikosenkompott, Vanille und Aloe Vera. Am Gaumen ist der Wein so dick, wie die Nase vermuten lässt. Reichlich Rest- und Alkoholsüße kombiniert mit einer geschmacklich zurückhaltenden Säure ergeben einen zwar mit Vergnügen trinkbaren, letztlich aber für seine Gewichtsklasse zu mastigen Wein, der im sehr langen Abgang neben schöner Mineralik auch ein unpassendes Bitterl mit sich rumschleppt. Kein schlechter Wein, aber wohl der schwächste Löwenstein, den ich bisher getrunken habe. Nun kann man reflexartig sagen, der müsse noch 100 Jahre lagern, aber wofür? Ein Uhlen wird auch mit Lagerung nicht daraus werden. Dazu mangelt es an Extrakt.

Josef Rosch, Leiwener Klostergarten Riesling Kabinett, 2006, Mosel. Das doppelte Vergnügen zum halben Preis könnte man schreiben, wenn man es mit der Mathematik nicht so genau nimmt. Dieser ziemlich süße Kabinett zeigt in der Nase zwar auch den 2006er Jahrgangston, ist insgesamt aber etwas verhaltener (einen Spontistinker, Cassis und Aloe Vera gab es noch zu erschnüffeln). Am Gaumen dafür sehr schön strukturiert dank einer kräftigen Zitrusnote. Dass es nicht eindimensional wird, verdankt der Wein dem etwas ungewöhnlichen Pistazienaroma, das gemeinsam mit Noten von grünem Apfel das Geschmacksbild abrunden. Schönes Spiel und gute Länge – wenn man süße Kabinettweine mag ist das hier ein großes Vergnügen.

Chateau Artos Lacas, Grand Reserve Les Lilas, Corbières AOC, 2008, Südfrankreich. Die Cuvée aus Syrah und Grenache wird laut Etikett mit Kohlensäuremaischung hergestellt und soll vor allem fruchtig sein. Und das ist sie. In der Nase Frucht hoch vier: Blau-, Him-, Brom- und sogar Erdbeere dazu ein bisschen Leder. Am Gaumen frisch und fruchtig mit genannten Beeren und diversen mehr aber auch gut strukturiert mit etwas Tannin und einer schönen Säure. Trotz totalem Verzicht auf Holz fehlt es dem Wein nicht an Würze. Unkompliziert aber nicht eindimensional. Nur die Bezeichnung Grand Reserve fand ich für so einen Wein verwirrend.

Reifeprüfung

Ich erwähnte gelegentlich, dass ich hinsichtlich der allermeisten Aspekte der Weinbegeisterung ein Durchschnittsmensch bin. So mag es kaum verwundern, dass auch ich nach einigen Jahren des Probierens bei Bordeaux-Weinen anlangte. Selbst wenn sich daraus keine meinem Riesling- und Spätburgunder-Faible vergleichbare Leidenschaft entwickelte, übt Bordeaux Faszination auf mich aus. Als ich vor einigen Jahren endlich einen zur Weinlagerung geeigneten Keller mein Eigen nennen durfte, lagerte ich mir prompt einige Kisten mittelgewichtiger Gewächse ein. Ein kleiner Traum ging in Erfüllung. Aber die Freude war nicht ungetrübt. Ich stand vor den Kisten mit diesen faszinierenden Namen und wusste nicht: wann trinken?

Die Recherche war ergiebig: es gab und gibt bergeweise Literatur mit Empfehlungen zu Trinkreife. Doch bei genauerem Hinsehen trat ein Problem auf. Als ich die Empfehlungen der vier mir zugänglichen Quellen nebeneinander legte, ergab sich der perfekte Widerspruch. Wo Johnsons Zeitfenster zugeht, fängt Parkers manchmal erst an. ‚Vinum‘ drängt mich zur Eile, wo Gabriels ‚Weinwisser‘ zur Geduld ermahnt. Einigkeit herrscht eigentlich nur in einem: nach der Ankunft im Keller erst mal nicht anrühren – ob zwei oder fünf Jahre kommt schon auf die Quelle an.

Nun werden Weine aus Bordeaux in Zwölferkisten verkauft. Also beschloss ich den Selbstversuch und mache von einigen Weinen jetzt alle paar Jahre einen auf und notiere. Das schult meinen Gaumen nur bedingt, weil sich einzelne Jahrgänge in der Reife erheblich unterscheiden können, ist aber eine prima Ausrede, um jederzeit edlen Stoff ins Glas zu kriegen. Einen nichtigeren Anlass als: ‚Ich muss überprüfen, wie es um den Reifeverlauf steht‘, kann ich mir kaum vorstellen. Dieser Tage war es mal wieder so weit.

Chateau Giscours, Rotweincuvée, 2004, Margaux (3. GCC), Frankreich (Bordeaux). 65% Cabernet Sauvignon, 30% Merlot, 5% Cabernet Franc. Ich habe den Wein nicht karaffiert. Nach einer Viertelstunde war er voll da und hielt sich über mehrere Tage, wobei er am ersten Tag am schönsten war. In der Nase dominierten das Fass und der Cabernet: ziemlich viel Holz, daneben Johannisbeere, Cassis und grüne Paprika. Am Gaumen war der Wein sehr jugendlich aber auch zugänglich. Johannis-, Blau- und Brombeeren gesellten sich zu auch hier deutlichen Holzaromen. Reifenoten oder Tertiär-Aromen fehlen vollständig: kein Leder, Zeder, Tabak, Waldboden, Kuhstall, Kakao, Trüffel oder ähnliches, stattdessen eine kühle Frische und mineralische Struktur. Überhaupt ist es vor allem die Struktur, die Spaß macht: Mittlerer Druck am Gaumen, eher seidige Textur, spürbare Säure und mineralischer langer Abgang machen diesen Wein sehr elegant, wenngleich über allem noch kräftiges Tannin liegt. Jetzt einen Tick besser als die erste Flasche vor zweieinhalb Jahren. In Punkten ausgedrückt sind das für mich 91.