Gezähmtes Monster

Als der Contado von der italienischen Kellerei ‚Di Majo Norante‘ im Jahrgang 2003 die Höchstnote ‚Drei Gläser‘ des italienischen Weinführers Gambero Rosso erhielt, war die Resonanz groß. Der Wein kostet gerade mal 7€ und war damit der einzige einstellig bepreiste Drei-Gläser-Wein. Als Weinmacher hatte der Italiener Ricardo Cotarella seine Finger im Spiel, der parallel mit einem 2004er Sangiovese für 5€ aus gleichem Hause 90 Parker-Punkte und mit den Weinen Vitiano und Montiano aus der Kellerei Falesco in den 5 Jahren zuvor alle möglichen Auszeichnungen weltweit erringen konnte (inklusive 95 Parker Punkten). Zudem hatte Cotarella gerade mit Rollan de By 2003 ein vielbeachtetes Bordeaux-Gastspiel gegeben. Wer ein bisschen googelt wird nicht nur in Deutschen Internetforen teils ziemlich verbissene Diskussionen finden über Terroir, Uniformität und die ‚Parkerisierung‘ des Weingeschmacks (nach dem Mann wird nicht etwa eine Straße benannt, er kriegt gleich sein eigenes Verb).

Ich habe mich nie befähigt gefühlt mitzudiskutieren. Aber den Contado habe ich mir gekauft. Eine erste genossene Flasche Ende 2006 ergab nur zwei Geschmackseindrücke: Frucht und Holz. Da schwappte eine Tanninwelle durch die Mundhöhle, dass ich nach einem Glas glaubte, jemand habe mir den Rachen gesandstrahlt. Und einiges an diesem Tannin schmeckte ‚grün‘, also unreif und bitter, als ob man auf Traubenkerne beißt. Zwei oder drei vorher getrunkene Weine aus der Aglianico-Traube hatten mich eingestimmt: das ist keine Schmeichler-Rebe. Aber ein solches Holzmonster hatte ich nicht erwartet. Die Frage war also: gibt sich das mit der Zeit? Gut 3 Jahre später jetzt der nächste Versuch. Den verdanke ich dem Hamster-Regal – man muss das auch mal positiv sehen…

Di Majo Norante, Contado, Aglianico, 2003, Aglianico DOC (Molise), Italien. Nach einem Probeschluck, der ziemlich verschlossen wirkte, habe ich den Wein doppelt dekantiert und eine Stunde gewartet. Dann in der eher zurückhaltenden Nase etwas Leder und Zedernholz aber vor allem ziemlich süßliche Kirsche und Nelke wie in einem Glühwein. Am Gaumen zeigte der Wein mäßigen Druck, eher mittlere Textur und einen leicht cremigen Touch. Kirsche, Blaubeere und Vanille paarten sich mit etwas Menthol. Im Vergleich zu 2006 hat sich die damals überbordende Frucht auf Normalmaß zurückgezogen und das Holz springt mich nicht mehr unvermittelt an. Es fehlen aber noch spannende Reifenoten. Den Abgang dominiert strammes Tannin, das nichts grün-unreifes mehr hat. Das ist nicht elegant aber sehr faszinierend. Gefällt mir richtig gut.

Einer reicht

Leider spreche ich kein Französisch, sonst könnte ich mir die folgende Frage selbst mit einem Blick in ein französisches Weinforum beantworten. Ob die Weinfreaks unter unseren Nachbarn wohl um Basisweine einen ähnlichen Zirkus veranstalten, wie wir Deutschen? Ich möchte nicht wissen, wie viele verschiedene Riesling Kabinette ich im Keller habe – und auch welchen Unterschied ich darin zu erkennen glaube. Nicht nur, dass ich im Sommer auf der Terrasse niemals einen durch und durch mineralischen Kabinett von Molitor trinken würde, sondern vielleicht eher einen fruchtbetonteren von Thanisch, ich unterscheide teilweise noch innerhalb der Kollektionen eines einzelnen Winzers nach Lagen (beispielsweise zwischen den fetteren Graacher Böden und den durch und durch schiefrigen drumherum). Nun kann man sagen, der Riesling spiegelt halt wie keine andere Rebsorte den Hang wider, auf dem er wächst. Aber reicht das aus? Oder ist das doch die Sozialisation? Auch bei einfachen Spätburgundern interessiere ich mich für die kleinen Unterschiede. Bei südfranzösischen Basisrotweinen hingegen kann ich wirklich nur zwischen guten und schlechten unterscheiden. Und weil das so ist, reicht es mir vollkommen aus, einen einzelnen sehr guten zu kennen. Der kommt bei mir meist zum Einsatz, wenn mir nach einem einfachen Glas Rotwein zum Essen ist, Spätburgunder nicht in Frage kommt und die Gefahr groß ist, dass ein wesentlicher Teil des Weines mangels Mittrinker als Kochwein endet.

E. Guigal, Cotes du Rhone, Rotweincuvée, 2005, Südfrankreich. Mit zwei Stunden Luft präsentiert der Wein eine für mich typische Südfranzosennase: Leder, Zeder, ein wenig Kuhstall, etwas Graphit/Bleistift sowie Kirsche und Himbeere. Am Gaumen ist der Wein gefällig aber kein Schmeichler, dafür ist das Tannin zu kräftig. Brombeere und Bitterschokolade werden von kräftiger Säure gestützt. Der Abgang ist sehr lang und harmonisch. Für mich ist das der Idealtypus des unkomplizierten Südfranzosen.

Verehrter Zeit-online-Leser…

…sollten Sie sich hierher begeben haben, weil Wolfgang Lechner Sie dazu animierte, muss ich Sie warnen: Ich berichte zwar oft darüber, was ich gerade so weggetrunken habe, aber ansonsten kann ich kaum etwas bedienen, was Herr Lechner in Weinblogs zu finden weiss: Ich versorge die Netzwelt nicht mit Nachrichten aus der Weinwirtschaft, lege keine Listen meiner Lieblingsweine und -winzer an, zitiere mich nicht selbst oder andere Weinblogger (wenngleich ich oft irgendwohin verlinke , aber das nennt sich glaube ich Internet), pflege keine kleinen Fehden und ereifere mich nicht über Menschen, die sich auch schon einmal über mich ereifert haben. Tatsächlich hat sich außer Rudolf Knoll noch nie jemand über mich ereifert und der hat sich wohl inzwischen wieder beruhigt.

Auch sind fast alle Weine in diesem Blog bezahlbar (es sei denn, man muss mit einem Praktikantengehalt von Zeit-online auskommen).

Sollten Sie sich hier trotzdem wohl fühlen, freue ich mich und wünsche viel Vergnügen bei der Lektüre. Es wird nicht lange dauern, dieses Blog durchzulesen. Es hat eben über 70 Artikel. Zu mehr reicht die Zeit nicht, was daran liegen könnte, dass ich mich auch noch im realen Leben mit Menschen austausche. Ich habe nämlich, anders als Herr Lechner das vermutet, einen ganz normalen realen Freundeskreis (in dem sogar manchmal über Wein gesprochen wird).

Flüssiges Feindbild

Joel Peterson sieht auf Fotos wie ein echter Cowboy aus, dabei ist er eigentlich Sohn eines Chemikers und selber auch einer. Zumindest war er es mal, denn schon seit Mitte der 1970er ist Peterson Winzer. Sein Weingut Ravenswood gehört mittlerweile zum Konzern Constellation Brands und ist eher das, was man hierzulande eine Kellerei nennt, denn Peterson verarbeitet vor allem zugekaufte Trauben – er ist immer noch Chefönologe des Unternehmens.

Das Ravenswood sich konsequent der Produktion von kräftigen Fruchtbomben verschrieben hat, stellte das Unternehmen von Anfang an klar, indem es sich den Slogan ‚No Wimpy Wines‘ (Keine schlaffen Weine) verpasste. Auftritt und Anspruch Petersons bedienen das Übersee-Klischee von den artifiziellen Industrieweinen schon sehr ordentlich. Um alle Unklarheiten zu vermeiden ist Peterson aber auch einer der ganz wenigen Winemaker (ehrlich gesagt: der einzige, den ich kenne, aber ich bin kein Experte), der offensiv mit ‚neuen önologischen Methoden‘ an die Öffentlichkeit geht. Das ist bei Ravenswood vor allem gezielte Mikrooxidation und der Einsatz von Eichenholz-Chips. Die Einstiegsserie ‚Vintners Blend‘ wird mit Chips produziert. Getreu dem amerikanischen Motto: es ist immer begrüßenswert, Kosten zu senken und den Profit zu erhöhen, wenn dabei keine Arbeitsplätze vernichtet und Verbraucher gefährdet werden, macht Ravenswood aus dem Einsatz dieser Methoden kein Geheimnis und erlaubt es auch, die Produktionsanlagen zu filmen. Zu sehen waren sie vor einiger Zeit in einer Dokumentation auf ARTE.

Wie der Zufall es wollte, konnte ich mir vor einigen Jahren einen bereits länger gelagerten Wein dieser Einstiegsserie bei einer Kellerauflösung besorgen. Ich wollte unbedingt wissen, wie ein gechipster Wein altert und ließ ihn noch in meinem Keller weiter reifen. Dieser Tage war es dann soweit.

Ravenswood, Vintners Blend, Zinfandel, 1999, Kalifornien. In der ziemlich alkoholischen Nase findet sich viel Heidelbeere und Pflaume sowie ein Hauch Leder. Mit etwas Luft gesellt sich eine Paprikanote dazu und die Blaubeere dominiert. Am Gaumen ist der Wein mittelkräftig bei mittlerem Volumen und eher dünner Textur mit einer frischen Säure. Insgesamt dominieren die Fruchtaromen, Tannin oder Holzwürze sind allenfalls noch zu erahnen. Da wo ich bei einem Wein dieses Alters Reifearomen erwarten würde, klafft ein Loch. Das ist etwas eindimensional und müde. Die 13,35% Alkohol treten nicht weiter in Erscheinung. Der Abgang ist mittellang. Für einen Basiswein, der im Zielmarkt zehn Dollar kostet und eigentlich nicht zehn Jahre gelagert werden soll, ist das ein sehr ordentlicher Auftritt.

Der Lernerfolg war bescheiden. Ich glaube nicht, dass ein Wein aus dem großen Fuderfass – die Chips sollen bei diesem Wein keine Barrique-Intensität erzeugen – sich unbedingt anders entwickelt hätte. Weit weg von früheren Erfahrungen mit überlagerten einfachen Spätburgundern war das nicht.

Bekenntnisse eines Hamsters

Auch für mich kommt jedes Jahr im Januar der Zeitpunkt für eine oberflächliche Kellerinventur. Was ich so höre und lese, scheint dies ein völlig normales Bedürfnis zu sein. Zwar führe ich ein Kellerbuch und halte die Bestände dort aktuell, doch einen Überblick über die Lage mache ich mir lieber unten im Gemäuer.

In einem Anflug schonungsloser Selbstkritik habe ich mir dabei eingestanden: Ich bin komplett bekloppt. Wer soll das alles trinken??? Allerdings fand ich auch den berühmten Silberstreif am Horizont. Aber der Reihe nach.

Im letzten Januar hatte ich beschlossen, dass ich 2009 außerplanmäßig mehr trockene 2006er Rieslinge trinken wollte, da viele von denen im Rekordtempo in der Flasche zerfallen. Ich habe also letztes Jahr vermehrt ausgetrunken, was an 06er Kabinetten und Spätlesen da war. Zur Kompensation habe ich deutlich weniger Sauvignon Blanc eingekauft, denn im Sommer kam davon entsprechend weniger ins Glas. Wie mir heuer bewusst wird, habe ich allerdings dafür meinen Vorsatz in die Tat umgesetzt, endlich ein paar lagerfähige und -bedürftige Silvaner und Weissburgunder einzukellern. Die Flaschenzahl ist eher gewachsen – was ich vor mir selbst verheimlicht habe (das geht!).

Außerdem fand auf diese Weise weniger 2007er Riesling den Weg in mein Glas. Ich hatte ob der überdurchschnittlichen Qualität des Jahrgangs davon reichlich eingekauft. Zwar trinke ich Rieslinge gerne reifer, aber dieses gilt für die gehobenen Prädikate. Nun liegen da also noch gute 70 Flaschen einfacherer Rieslinge mit so schönen Namen wie ‚Schiefer‘, ‚Mineral‘ und so weiter. Sogar ein paar Gutsrieslinge aus 2007 sind noch übrig – wobei ich eigentlich gar keine Gutsrieslinge trinke (was hat mich geritten, die zu kaufen???)

Nicht wenige meiner Freunde haben in ihrem Keller ein Regal, in das sie hineinlegen, was dringend getrunken werden muss. Ich hatte immer den Vorsatz, es soweit nie kommen zu lassen. Seit einigen Tagen erkläre ich dieses Vorhaben offiziell für gescheitert. Ich will trinken, worauf ich spontan Lust habe und nicht, was mir ein blödes Regal diktiert. Aber diesen Luxus kann ich mir nun nur noch bei jeder zweiten Flasche leisten.

Bei aller Selbstanklage will ich nicht verheimlichen, dass ich auch beginnende Prinzipientreue diagnostizieren konnte. Ich habe einem Vorsatz folgend nur eine homöopathische Menge 2008er Rieslinge eingekauft und trotz des relativ starken Jahrgangs die Finger von den 2007er Spätburgunder GGs gelassen, keine Italiener und Bordeaux gekauft, mehr Übersee getrunken als eingelagert, dito für Österreicher. Ich hege eine leise Hoffnung, dass ich das diktatorische ‚Muss-weg-Regal‘ in zwei Jahren wieder außer Dienst stellen kann. Damit das klappt, heißt es jetzt: Vorsätze achten. Wie zum Beispiel diesen hier:

Winkeler Jesuitengarten, Riesling Erstes Gewächs, 2005, Prinz von Hessen, Rheingau. Unmittelbar nach dem Öffnen präsentierte sich da ein netter Kabinett im Glas. Erst mit zwei Stunden Luft nahm der Wein an Volumen und Kraft zu. In der Nase Reifenoten, Pfirsichfrucht und Aloe Vera – eine ganz klassische Rieslingnase, die mir sehr gefallen hat. Am Gaumen geht es vergnüglich weiter: eine akzentuierte Säure trifft auf eine Frucht von reifem/mürbem Apfel, dazu gesellen sich würzige Reifenoten. Mittleres Volumen, gut integrierter Alkohol, langer und mineralischer Abgang – Riesling als stimmiges Gesamtpaket.

Diesen Wein hatte ich – diesem vermaledeiten Kaufreflex mal wieder erliegend – gekauft, nachdem meine Riesling-2005-GG-Käufe eigentlich (!) abgeschlossen waren, weil er mir bei einem kommentierten Weindinner der ‚Come to Keller‘-Veranstaltungsreihe so gut gefallen hatte. Er präsentiert sich jetzt so schön, dass ich mir in diesem Fall nachträglich verzeihe…