Höllisch gut

Frohes neues Jahr, allerseits.

Das abgelaufene Jahr war für mich als Blogger ein sehr aufregendes. Ich konnte viele Menschen treffen, die etwas über Wein zu erzählen haben und viele Weine trinken, die horrende Summen kosten oder nicht auf offiziellen Preislisten stehen. Das bot einerseits Stoff für pompöse Geschichten, die vielen Lesern gefallen haben, andererseits war es dem Alltag entrückt, dem Blog wesensfremd.

Im neuen Jahr will ich versuchen wieder häufiger über Weine zu schreiben, die ich mir aus dem Keller geholt und glücklich genossen habe. Zwar werde ich nicht zu kommentarlosen Verkostungsnotizen zurückkehren, aber es muss auch mal ein Anekdötchen reichen.

Den Anfang macht ein Wein, dessen Anekdötchen ich mir bisher verkniffen habe. Es handelt von meiner ersten Begegnung mit den Weinen von Chat Sauvage, jenem Rheingauer Gut, das vermutlich als einziges im Anbaugebiet keinen Riesling produziert, sondern ausschließlich auf Spätburgunder und Chardonnay setzt. Es war 2008 beim Hamburger Weinsalon, als mir schon beim Betreten des Gebäudes ein Fremdkörper auf dem Ausstellerparkplatz auffiel: zwischen all den Mercedes Sprintern und Kombis mit süddeutschem stand ein Ultraluxusgefährt (Bentley, Rolls Royce oder so) mit Hamburger Kennzeichen. Drinnen ließ sich dann sofort erkennen, wem der gehören musste. An allen Präsentationstischen standen Winzer und Weingutsverwalter, die genau so aussahen, wie man sich Winzer und Weingutsverwalter gemeinhin vorstellt. Nur hinter dem Tisch des erstmals ausstellenden Gutes Chat Sauvage saß ein in auffallend edlen Zwirn gekleideter offensichtlich branchenfremder Herr. Neben ihm stand ein junger Mann.

Berührungsängste sind mir fremd, also ließ ich meiner Neugier freien Lauf. Es stellte sich heraus, dass der jüngere, leicht nervös wirkende Mann der Gutsverwalter und der sitzende Herr der Besitzer des Weingutes war. Das Bild war gewöhnungsbedürftig. Chat-Besitzer Günter Schulz war mit allen Insignien finanzieller Potenz ausgestattet, von der brillantbesetzten Krawattennadel bis zur sehr großen und sehr goldenen Bulgari Uhr, saß schweigend da, ließ den jungen Mann seine Weine präsentieren und streute lediglich hier und da Bemerkungen der Art ein, man wolle das ,deutsche Romanée-Conti’ werden. Sein Weißwein trug den Namen ‚Clos de Schulz‘. Geschmäcker sind verschieden und manche Menschen verspüren einen stärkeren Drang als andere ihren Erfolg in der Welt zu präsentieren. Die Weine waren aber gut und ich bestellte mir ein paar.

Sollte dem geneigten Leser jetzt der Gedanke kommen, dass solcherlei Lästerei diesem Blog und seinem Autor schlecht zu Gesicht stehen, so will ich stante pede einlenken. Ich halte Häme als Stilmittel auch für deplatziert außer in einem Fall: in Verbindung mit sofortiger Abbitte. Und die will ich leisten. Denn dieser Tage machte ich mir nach längerer Pause einen der Chat. Sauvage Pinots auf und es war um mich geschehen.

Ein Bekannter sagte einmal, es gäbe Weine, die seien so gut, dass man sich das Hemd vom Leib reißen, auf die Knie sinken und erst dem Herrgott und dann dem Winzer danken möchte, dass es so was in Flaschen zu kaufen gibt. Solches spielte sich in meiner Küche ab – mit zwei Änderungen. Das Hemd ließ ich an und ich dankte als drittem noch Herrn Schulz, dass er dieses Weingut gegründet hat. Wer einen Teil seines Reichtums für so ein Projekt aufwendet, der kann sich für den Rest seiner Kohle meinetwegen den Koh-I-Noor-Diamanten auf seine Bulgari nieten lassen, das tut meinem Respekt keinen Abbruch.

Chat_Sauvage_HöllenberChat Sauvage, Assmannshäuser Höllenberg, Spätburgunder Erstes Gewächs, 2006, Rheingau. In der Nase ein Riesenpaket: Kirsche, Rauch, Thymian und Rosmarin, Brot, Blut und dann sagt das Hirn: hör auf zu suchen, schnuppere und sei glücklich. Am Gaumen die gleiche Prozedur: Pflaume, Kirsche, Himbeere, Speck, Rauch, Holz und rohes Fleisch, Bleistiftspäne und Schluss (vorzeitig). Das Mundgefühl ist voll aber saftig – und fest, ich will die Zähne zusammenbeißen um den Wein zu knacken, so stramm ist er. Der Abgang ist sehr lang und steht Nase und Gaumen in Nichts nach, der eigentlich moderate Alkohol (13%) entfacht ein tolles Feuer. Wahnsinn! Vor 18 Monaten hatte ich schon einmal eine positive Begegnung mit diesem Höllenberg. Damals notierte ich ‚Um groß zu sein mangelt es dem Spätburgunder an Tiefe‘ – die hat er jetzt und ich finde ihn groß. Zum Niederknien.

Schäumen mit einem N

‚Haben Sie irgendwas mit Wein zu tun?‘ lautet eine oft gestellte Frage, wenn ich mit mir unbekannten Menschen gemeinsam verkoste. Das mag daran liegen, dass ich immer öfter zu Veranstaltungen eingeladen werde, bei denen fast alle etwas mit Wein zu tun haben. Meine Antwort lautet wahrheitsgemäß ‚Nein‘. Doch unter meinen Weihnachtsgeschenken befand sich dieses Jahr eins, das mir erlaubt mich in Bezug zu Wein zu setzen, wenn ich einen ganz ganz großen Bogen Spanne. Und der geht so:

Meinen Nachnamen Bodmann verdanke ich der Tatsache, dass meine Vorfahren dereinst ihre Heimat verließen. Gemäß dem Prinzip ‚cuius regio, eius religio‘ standen sie vor der Wahl die Religion oder den Wohnort zu wechseln. Also zog es meine Ahnen vom badischen Dörfchen Bodman ins Niedersächsische Eichsfeld. Da einfache Menschen in ländlichen Regionen nicht zwingend Nachnamen hatten oder sich bei Umzug auch mal neue gaben, hießen meine Vorfahren fortan Bodmann. Das zweite ‚N‘ entstammt der Tatsache, dass auch Bodman bis 1884 mit zweien geschrieben wurde. Dann setzten die Grafen von und zu Bodman alle Hebel in Bewegung, um Bodman (Stammsitz ihres Geschlechts) in der Schreibweise ihrem eigenen Namen anzupassen – sie hatten das Doppel-N einige Jahrhunderte vorher abgelegt – und wir Exil-Bodmänner standen mit dem zweiten, dem Proleten-N, alleine da.

Dies wissend machte ich mich vor 15 Jahren auf meinen Ursprungsort zu erkunden. Bodman ist ein sterbenslangweiliges Dorf am Überlinger See, dem Nordzipfel des Bodensees. Ich fand kaum etwas Aufregendes vor, außer einer Gedenktafel, die anzeigte, dass im ‚Bodmaner Königsweingarten‘ Kaiser Karl der Dicke im Jahre 884 die ersten Burgunderreben anpflanzen ließ. Meine Vorfahren lebten also am Fuße des ersten dokumentierten Spätburgunderweinbergs Deutschlands. Da war sie, meine Verbindung zum Wein. Die Lage existiert immer noch, die Grafen von und zu Bodman gehören aber nicht gerade zu den hochdekorierten Betrieben deutschen Weinbaus. In jüngster Zeit produzieren sie nach Naturland-Regeln und die Weine sollen besser geworden sein. Ich werde im neuen Jahr einmal nachforschen.

Am Ortsausgang von Bodman fand ich ein Schild ‚Schlosskellerei‘. Das musste ich mir anschauen. Doch auch hier wurde ich enttäuscht. Die Schlosskellerei versprühte den Charme eines Getränkemarktes am Ortsausgang eines 1000-Seelen-Dorfes, was vorwiegend daran lag, dass sie genau das war: ein Getränkemarkt am Ortsausgang eines 1000-Seelen-Dorfes. (Der Fairness halber sei gesagt, dass ich nicht erfragte, ob sie eventuell umbaubedingt in diesem Zweckbau Unterschlupf gefunden hatte.) Im Sortiment fand ich aber etwas, was meine Aufmerksamkeit erregte. Französischen Sekt der Marke ‚Baron de Bodman‘. Der stammte von einem Haus, das bei seiner Gründung Unterstützung eines französisch verheirateten von und zu Bodmans erfahren hatte und dessen mit einem Cremant gedachte.  Da griff ich zu, nahm ein paar Flaschen mit und verschenkte sie an Familienmitglieder.

Baron de BodmanEines dieser Familienmitglieder griff das Thema voller Begeisterung auf, und bestellt seitdem fleißig in Süddeutschland französischen Sekt, um ihn als Mitbringsel im Freundeskreis zu verteilen. Der Spieß ist längst umgedreht: ich gehöre regelmäßig zu den Beschenkten. Mein Anspruch stieg über die Jahre, die Qualität des Sektes nicht und so habe ich die üblicherweise verabreichten Halbflaschen weiterverschenkt. Dieses Jahr gab es zu Weihnachten wieder ein Pülleken und da ich zuletzt so viel Schönes mit Schäumern erlebt habe, beschloss ich mein Glück noch mal zu versuchen. Ich war überrascht und recherchierte. 2007 investierte Eigner Bollinger kräftig in seinen Loire-Ableger Langlois-Chateau, den Baron de Bodman-Produzenten und das mag der Grund für die gestiegene Qualität sein. Mir jedenfalls hat er sehr ordentlich geschmeckt.

Langlois-Chateau, Baron de Bodman brut, Cremant de Loir (AC), o. J., Frankreich. In der Nase eher flach aber angenehm mit Aromen von Brotkruste und Quitte. Am Gaumen mittelfeine Perlage und sehr schönes Spiel, ziemlich trocken und schwach würzig, mit Aromen von Zitrus und Birne sowie etwas Malz. Der Abgang ist recht lang und der Cremant alles in allem sehr ordentlich.

Ihnen, liebe Leser, einen guten Rutsch. Mögen Sie Silvester was Feines zum Anstoßen finden, mindestens so gut wie ‚mein‘ Cremant.

Ihr

Felix Bodmann (mit dem zweiten, dem Proleten-N)

Weinentdeckungsgesellschaft: Liebesheirat

Der neue Entdeckerwein ist da. Carsten Henn veröffentlicht einmal im Jahr einen Wein, der neue Erkenntnisse bringen soll. Diese Nochniedagewesenen sind immer ein besonderes Vergnügen. Wer mehr zum Projekt wissen will, der findet hier eine Erklärung, in der Weinliste finden sich unter W (wie Weinentdeckungsgesellschaft) alle bisherigen Entdeckerweine.

Dieses Jahr geht es um den Müller-Thurgau und den Versuch, den besten je produzierten auf die Flasche zu bringen. Wenn man Erbsen zählt, kann man bemängeln, dass es diese Idee schon gab. Der Weinkritiker Stuart Pigott hat bereits einen Müller-Thurgau (auch Rivaner genannt) mit der Sorgfalt eines Großen Gewächses ausgebaut. Den gab es nicht zu kaufen und ich habe ihn nie getrunken. Die ihn getrunken haben und mir davon berichten mochten, haben alle die Worte ‚Monster‘ und ‚Frankenstein‘ in den Mund genommen, wenn sie von Pigotts Rivaner sprachen. Das Experiment ist wohl nicht so erfolgreich gewesen.

Jetzt also die Entdeckungsgesellschaft in Kollaboration mit dem Weingut Huber: Viel Mühe haben sie sich gegeben aber den Rivaner Rivaner sein lassen – also keine extrem späte Ernte und Überreife. 40 Jahre alte Reben, im Ertrag reduziert und durch Traubenteilung noch ein paar Grad Öchsle mehr raus gekitzelt aber nicht in Rieslingdimensionen gepeitscht. Im September gelesen und in drei Partien ausgebaut. Ein neues Barrique war mit im Spiel, dazu ein gebrauchtes und ein Stahltank. Im Holz wurde der Müller-Thurgau wie ein dicker Chardonnay behandelt, mit Hefe aufrühren und allem, was dazu gehört. Im Stahltank durfte der Rivaner er selber sein, mit Säure und Kohlensäure. Huber und Henn haben auf Zucker verzichtet, sowohl beim Most wie auch beim Wein: nicht angereichert und durchgegoren auf vier Gramm Restzucker. Dann wurde vermählt und ein bisschen gedopt, mit einem Schuss Chardonnay und Muskateller.

Der Wein besitzt die Textur eines großen Weines aber nicht seine aromatische Tiefe. Landauf landab wird in den nächsten Wochen der Ruf erschallen: ‚Das ist Müller-Thurgau? So viel kann man aus dieser Rebsorte rausholen?‘ Doch ich vermute, keiner wird sagen: was für ein Schnäppchen. Oder anders gesagt: für einen Müller-Thurgau ist das ein Hammer, für einen 24-Euro-Wein nicht unbedingt. Dazu fehlt die Vielschichtigkeit. Da stößt das Experiment an seine Grenzen. Die Bäume wachsen nicht in den Himmel für den Müller-Thurgau. Wie weit sie wachsen können, das wollte ich schon immer wissen und jetzt durfte ich es entdecken. Dafür ist die Weinentdeckungsgesellschaft da. Mission accomplished.

Weinentdeckungsgesellschaft_LiebesheiratWeingut Huber & Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft, ‚Liebesheirat’, Müller-Thurgau, 2012, Baden. Farbe ist für mich kein Qualitätskriterium, trotzdem finde ich die Farbe des Weines erwähnenswert, er ist fast farblos. Die Nase ist sehr angenehm: die duftige Blumigkeit des Müller-Thurgau ist da, die Muskatnote eher nicht, da ist das Holz vor, das aber auch nur dezent durchscheint., Frucht ist da aber nicht leicht zu benennen, Apfel, Birne, sucht Euch was aus, Kräuter tauchen auch noch auf. Am Gaumen unmittelbar nach dem Öffnen ein echter Rivaner, Leichtwein, süffig, schlotzig. Mit zwei Stunden Luft wird es sehr viel spannender, da kommt eine starke, süße Frucht durch, dazu Nuss, etwas Holz, Nougat. Schöne Textur und Mineralik/Phenolik, plus Gärkohlensäure, plus Frische, plus etwas Gerbstoff – das ergibt enorm viel Volumen im Mund, das weder von Alkohol, noch von Zucker stammt. Das ist hochspannend und gleichzeitig einfach zu trinken. Was auffällt ist der extrem lange Abgang.

Und weil in den letzten Jahren in den Kommentaren zu den WEG-Artikeln immer Fragen kamen, hier die Gebrauchsanweisung: Wer jetzt einen aufmachen will, sollte ihm zwei Stunden Luft gönnen, einfach ein kleines Glas nach dem Öffnen einschenken und probieren, den Rest für zwei Stunden zurück in den Kühlschrank. Ich habe die angebrochene Flasche mit auf Reisen genommen. Dabei wurde die gesamte Kohlensäure aus dem Wein geschüttelt. Das hat ihm gar nicht gut getan. Also verzichten Sie auf die Karaffe. Der Wein benötigt keine weitere Flaschenreife, sondern präsentiert sich jetzt so, wie er vermutlich gedacht ist. Wer nur eine Flasche hat, sollte sie nicht ewig liegen lassen.

Bubbles in Berlin

Dezember – Zeit für Jahresrückblicke. Ich hab’s nicht so mit Bestenlisten, fasse lieber das große Ganze zusammen. 2013 mein Jahr der Bubble-Bildung – nein, keine Flatulenz, Bildung wie in Fortbildung. In keinem Jahr meiner Weintrinkerkarriere habe ich mehr Schaumwein probiert und getrunken als 2013. Es war guter dabei, richtig guter, teilweise vielleicht das beste, was Normalsterbliche ins Glas kriegen können.

Viele der Sekte und Champagner habe ich in fachkundiger Gesellschaft getrunken und dabei ein Déjà-vu erlebt, mich erinnert gefühlt an die Kork-Diskussion. Marken-Champagner versus Winzer-Champagner, Sinn und Unsinn der Prestige-Cuvées, Champagner versus Winzersekt: es sind wenige Eckpunkte, um die eine ewig gleiche Diskussion kreist. Wo ich zuletzt so meinungsfreudig war, mache ich gleich weiter: Zeit für Tacheles.

Deutscher Winzersekt ist Champagner mindestens ebenbürtig – aber deutlich preiswerter

Klar, nachts ist es kälter als draußen und Riesling ist besser als Zalto. Wer um Himmels Willen hat eigentlich diese Diskussion gestartet? Ich habe dieses Jahr viele gute deutsche Rieslingsekte getrunken. Rund um das Vinocamp sogar einige der besten, die es gibt. Wenn Rieslingsekt nach Champagner schmeckt, ist das für mich ein Weinfehler. Wenn ich Rieslingsekt trinken will, sollte ich keinen Roederer öffnen und wenn ich Champagner suche keinen Solter. Und bei den Sekten aus Burgundersorten? Oje, nein. Da hängen wir Deutschen gnadenlos hinterher. Es gibt tolle deutsche Burgunder-Sekte, so wie es tolle deutsche Syrahs und Cabernets gibt. Doch macht man parallel ein ‚Original‘ auf, ist der Ofen aus, beim Schammes wie beim Rotwein. Da wo wir eine eigene Stilistik haben, wird es richtig gut und nicht mehr zu vergleichen. So wie ich deutschen Spätburgunder liebe (aber das vertiefen wir jetzt nicht), so mag ich auch deutschen Rosé-Winzersekt aus dieser Traube. Aber – weiter habe ich mich noch nie aus dem Fenster gelehnt – richtig atemberaubenden Rosé-Schaumwein gibt es sowieso nicht. Das ist im besten Falle wundervoll im Sinne von hübsch und lecker. Und die Deutschen sind mindestens genau so lecker wie Rosé aus anderen Teilen der Welt.

Kleiner, ernster Einschub: Es war mir 2013 vergönnt Helmut Solter zu treffen und mit ihm seine Sekte zu probieren. Dafür bin ich im Nachhinein besonders dankbar, denn kurz darauf ist er verstorben. Dirk Würtz hat hier einen Nachruf auf ihn verfasst. Der Mann war enorm sympathisch und ein Könner. Es liegt in der Natur der Sektproduktion, dass einiges, was Herr Solter dieses Jahr auf die Flasche gezogen hat, erst in den nächsten fünf Jahren auf den Markt kommen wird. Wer da nicht wenigstens einmal zugreift, riskiert eine Bildungslücke.

Winzerchampagner sind den Markenchampagnern überlegen

Ich hatte vorletzte Woche das Vergnügen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zwei Champagnerverkostungen zu besuchen. Am ersten Abend präsentierten drei Winzer ihre Champagner in der Berliner Cordobar, am nächsten zeigten bei der Falstaff Champagnergala die großen Häuser ihre Angebotspalette (wobei die drei Winzer vom Vorabend ebenfalls da waren). Das Fazit ist differenziert. Der schwächste Champagner über beide Veranstaltungen war ein Genossenschaftsprickler, was meines Wissens in die Kategorie Winzerchampagner fällt, der eine dermaßen grobe Perlage und rustikale Aromen zeigte, dass ich die versteckte Kamera suchte. Da musste mir jemand Henkel trocken untergejubelt haben und sehen wollen, ob ich es merke. Die Schäumer eines der drei Winzer fand ich vergleichsweise langweilig. Andererseits sind die Brut Reserves, also die Einstiegsqualitäten der großen Häuser auch nur verläßliche Leckerlies (und einige mag ich nicht). Das riecht nach unentschieden – wenn die Winzerbasis nicht tatsächlich so viel preiswerter wäre. Bei den mittleren Qualitäten, den Jahrgangschampagnern, hängen die Winzer die großen Häuser ab. Das scheint der einzige Diskussionspunkt in der Debatte zu sein, bei dem Konsens herrscht.

Nichts geht über die Prestige-Cuvées der großen Häuser

Dom Perignon, Cuvée Winston Churchill, La Grande Dame – jedes der großen Champagnerhäuser hat einen Spitzenwein im Angebot, der rar und teuer ist (wobei mehrere Millionen Flaschen eines einzelnen Dom Perignon Jahrgangs eine interessante Interpretation des Begriffes ‚rar‘ darstellen). Sind sie auch qualitativ die Spitze, wie viele – vor allem Gutbetuchte – schwören, oder machen die Winzer auch hier die besseren Weine, wie vor allem Weinhändler mit entsprechendem Sortiment zu betonen nicht müde werden? Ich könnte ausnahmsweise mal mitreden, obwohl es um Luxus geht, immerhin hatte ich dieses Jahr Roederer Cristal, zwei Jahrgänge Dom Perignon, zwei Jahrgänge Palmes d’Or, Belle Epoque und Cuvée Louise im Glas, aber was soll ich sagen: Die Welt hat dringendere Probleme und nichts finde ich langweiliger als Bestenlisten.

In der Zusammenfassung kann ich sagen: 2013 war ein Jahr voll wunderbarer Weine für mich und viele davon waren Schaumweine. Ich trinke meist lieber Sekt als Champagner, weil ich den Riesling so liebe. Auch bin ich enttäuscht über die Uniformität, mit der die Winzer und Häuser der Champagne ihre Schäumer auf acht bis neun Gramm Restzucker dosieren. Die deutschen Winzer experimentieren viel mit ganz trockenen Sekten (brut nature, also weniger als drei Gramm Restzucker) und obwohl ich beim Stillwein Restzucker liebe, gefallen mir diese Prickler am besten. (Da wo die Winzer der Champagne damit spielen, bin ich ebenso begeistert.)

Veuve_Cliquot

Als Hardcore-Rieslingtrinker erteile ich mir auch für die Zukunft die Sekt-Sondergenehmigung. Für alle anderen gilt: nichts geht über guten Champagner.

Darauf mein Lieblingsleckerlie…

Veuve Cliquot, brut, o.J. (NV), Champagne. Die Nase ist fruchtig und für einen Champagner sehr weinig, Quitte und Zitrus kommen mir in den Sinn, dazu feine Würze aber nur wenig Hefe/Brioche. Am Gaumen sehr balanciert, nicht zu süß (vermutlich auch mit acht oder neun Gramm Standardzucker aber sehr schön durch Zitrusaromen gepuffert), dazu Birne ein wenig Haselnuss, feine Würze und dezente Hefenoten. Der Abgang ist mittellang, die Perlage mittelfein und das Spektakel – wenn man ehrlich ist – mittelaufregend aber saulecker!

Und plötzlich Experte…

Als Blogger erhalte ich häufig Anfragen für Gastbeiträge oder Interviews, die sich bei genauerem Hinsehen leider nur als mehr oder weniger geschickter Versuch kostenloser PR oder Linkbuilding heraus stellen. Es dauerte daher ein bisschen, bis ich Begriff, was die Absenderin wollte, als ich neulich eine E-Mail von einer Agentur erhielt. Die suchte nämlich ernsthaft einen Interviewpartner zum Thema Wein. Das Medium der Veröffentlichung sollte das Unternehmensblog von Tchibo sein. Ob ich mir vorstellen könne, in der Kategorie ‚Auf einen Kaffee mit …‘ Rede und Antwort zum Thema Wein zu stehen.

Ich halte mich normalerweise bedeckt, wenn es um die Frage geht, wie klein oder groß mein Weinwissen ist. Für die Kaffeekönige sollte es wohl reichen, so mein spontaner Gedanke. Also sagte ich zu. Die Fragen, die dann kamen, hatten etwas beruhigend geerdetes. Da ist es wieder, das wahre Leben. Die Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation von Tchibo (mit Sicherheit überdurchschnittlich intelligente und genussaffine Menschen) zeigten mir, dass ich mich mittlerweile in einer eigenen kleinen Welt bewege, so sehr ich auch versuche es zu vermeiden.

Zur Feier meines ersten Interviews zog ich einen besondere Wein auf. Einen von denen,  die jahrelang im Keller liegen und eines besonderen Anlasses harren und die ich im letzten Beitrag als Deutsche Icon Wines verdenglischt habe. Es handelte sich um einen ‚Fährfels‘ Riesling aus dem Jahr 2004. Der Fährfels ist eine zerklüftete Steinformation in Trittenheim an der Mosel, inmitten der Trittenheimer Apotheke gelegen. Er wurde nie flurbereinigt und sieht nicht wie ein typischer Weingarten aus, eher als habe jemand den Azubi zum Pflanzen in den Hang geschickt und vergessen ihm zu sagen, wo der Weinberg zu Ende ist. Auf winzigen Terrassen stehen eine Hand voll Reben. Sie sind wurzelecht, über hundert Jahre alt und erbringen alle zusammen rund 1000 Flaschen Wein. Den baut das Weingut Cüsserath-Weiler zu einem feinherben Spitzenriesling aus und liefert danach die Hälfte der Flaschen im Weingut Clüsserath-Eifel ab – Erbengemeinschaft Mosel-style.

Der Wein zeigt seine ganze Pracht erst mit etlichen Jahren Flaschenreife. Ein Freund servierte mir vor 7 Jahren den gleichen Wein ohne Belüftung als Jungspund – belanglos. Doch bei dieser Flasche ging die Sonne auf.

Cluesserath_Faehrfels2004Clüsserath-Weiler & Clüsserath-Eifel, Riesling ‚Fährfels‘, 2004, Mosel. Der Wein riecht leicht süßlich, nach Aprikose und Muskat und dabei sehr cremig, keinerlei Alterstöne, nicht sehr intensiv, sehr harmonisch aber nicht spektakulär. Am Gaumen wirkt er ebenfalls leicht cremig, deutet Säure nur an, obwohl er wohl einiges davon hat – das spürt man aber eher, als dass man es schmeckt. Für einen feinherben Riesling schmeckt er ziemlich trocken, erzeugt ein volles Mundgefühl, ist leicht kreidig, hat eine tolle Phenolik/Mineralik und präsentiert sich mit fantastischer Tiefe. Aromen von mürbem Apfel, Aprikose und Malz harmonieren mit einem leichten Bitterton und einer feinen Reifenote, die sich nach zwei Stunden an der Luft einstellt. Was den Wein ausmacht, ist nicht irgendein Aromenfeuerwerk, sondern die Balance zwischen Tiefe und Leichtigkeit, zwischen lecker und Intellekt. Der Abgang ist sehr lang und der Alkohol völlig unauffällig.

Wer lesen will, was ich zum Thema Wein und Kaffee zu Protokoll gegeben habe, findet hier das Interview.