Kennen Sie das: Bis eben war Ihnen der Mensch total unbekannt und auf einmal rennen Sie ihm stets, ständig und überall über den Weg? Hat jeder schon mal erlebt, oder? So erging es mir im Jahr 2017 mit Georg Prieler. Obwohl, was heißt schon erging. Ich bin eigentlich 24 Stunden am Tag auf meine nächste Begegnung mit ihm gefasst.
Ich war auf dem Weingipfel Österreich (und dieser Bericht erscheint verspätet). Zum zweiten Mal, denn beim letzten Mal durfte ich so viel über Orange, Bio und Grünen Veltliner lernen, dass ich dieses Mal wieder hin musste, hieß das Thema doch Blaufränkisch. Meine Reisegruppe ging ins Burgenland. Allerdings entpuppte sich der Nachrichtenwert einer Blaufränkischreise ins Burgenland als inexistent:
Wir wachsen, das Interesse ist groß, wir produzieren deutlich weniger Wein als wir verkaufen könnten, Wachter-Wieslers ‚Ratschen‘ ist eines der spannendsten Hotel/Gastronomiekonzepte im wilden Alpistan, Perwolf ist echt ein Knaller – falls Sie es noch nicht wussten, sind Sie vermutlich eher zufällig hier vorbeigekommen. Doch zum Glück gibt’s Georg.
Georg Prieler und sein Weißburgunder
Meine erste Begegnung mit Georg Prieler fand in der Orangerie von Schloss Schönbrunn statt. Dort eröffnete der Welt-Sommelierverband seine Europameisterschaft und die ÖWM den Weingipfel. Prieler saß als einer der sponsernden Winzer an meinem Tisch und hatte dadurch das Recht/die Pflicht, Weine zum Essen beizusteuern. Drei kamen ins Glas und ich fand vor allem den Pinot Blanc Leithaberg DAC 2015 bemerkenswert. Wein zwei und drei waren die ebenfalls gelungenen Leithaberg DAC Blaufränkisch 2009 und 2010. Weine wie Winzer waren auf eine unaufgeregte Art lebendig, doch ist ein Bankett kein geeigneter Rahmen, konkrete Verkostungsnotizen zu erstellen und Weine letztgültig zu würdigen.
Im Laufe der Reise stand eine Verkostung mit Winzern und deren Weinen in ihrer Ursprungslage an. Für uns ging es in die Ried Marienthal, wo uns Gerhard Triebaumer vom Weingut Ernst Triebaumer erwartete – und Georg Prieler. Für Triebaumer – ein sehr freundlicher Zeitgenosse – war das ein Routine-Termin, zu dem er uns ausgerechnet zwei unterdurchschnittliche Jahrgänge – 2007 und 2013 – zeigte.
Hätte es beim Abschlussessen im Steirereck nicht noch den unschlagbaren 2012er gegeben, der Mythos Tribaumer hätte sich mir auf dieser Reise nicht erschlossen. Prieler hingegen agierte zwar immer noch unaufgeregt, hatte die Veranstaltung aber wohl als Gelegenheit begriffen, die es beim Schopfe zu packen galt: Er präsentierte 2012 – aus der Magnum. Das war spektakulär – doch ist ein Weinberg kein geeigneter Ort, konkrete Verkostungsnotizen zu erstellen und Weine letztgültig zu würdigen. Immerhin, ich hatte damit zwei Jahrgänge des einfachen Blaufränkisch und zwei Jahrgänge Marienthal (auch Prieler zeigte einen 2013er, der für das Jahr sehr gut ausgefallen war) binnen kurzer Zeit im Glas gehabt und wage das Fazit: Prieler kann Blaufränkisch.
Herz und Magna Mater
Im weiteren Verlauf des wie immer glänzend organisierten Weingipfels gab es für die deutschsprachige Gruppe auch ein Abendessen im außergewöhnlichen Gut Purbach, wo Innereien ein Hauptbestandteil beinahe jeden Gerichtes darstellen. Dazu gab es eine Weinbegleitung mit jeweils einem eher konventionellen Spitzenwein und einem ‚neuen Wilden‘. Auf der Liste fand sich auch der Pinot Blanc von Prieler, diesmal aus dem Jahrgang 2013. Gelbes Curry mit Kalbsherz und Schafgarbe fand ich auf dem Teller, im zweiten Glas Birgit Braunsteins Amphorenwein ‚Magna Mater‘: Das war ein Massaker am Gaumen, aus dem nur einer lebend rauskam: Prielers Pinot Blanc. Ich mag Innereien und ich bin ein großer Braunstein-Fan, aber die Kombination war problematisch. Der ‚Magna Mater‘ ist Vertreter jener Sorte Naturwein, bei der ich das Wine Making vermisse. Nur in die Amphore füllen, vergraben und warten, was die Natur beschert, kann gut gehen, hier entstand aber lediglich etwas, was man trinken kann. Wieder stach Prieler also heraus. Doch ist ein solches Pairing-Dinner mit all seinen extravaganten Aromen keine geeigneter Rahmen, konkrete Verkostungsnotizen zu erstellen und Weine letztgültig zu würdigen.
Zum Ende des Gipfels besuchten wir die Gala zum Finale der Sommelier-Europameisterschaft. Dieses Mal saß Prieler nur in Sichtweite, allein sein Pinot Blanc war meinem Tisch zugeordnet, da unsere Tischwinzer nur Rotwein produzierten. Zum wiederholten Mal im Glas fand ich ihn zum wiederholten Mal großartig, doch ist ein Ballsaal kein geeigneter Ort, konkrete Verkostungsnotizen zu erstellen und Weine letztgültig zu würdigen.
Weißburgunder-Gipfel in der Cordobar
Mein Interesse am Weißburgunder hat sich rumgesprochen und bescherte mir wenig später eine Einladung zu einer wahrhaft spektakulären Probe: Cordobar-Chef Willi Schlögl hatte in den Salon Krankl zum Deutsch-Österreichischen-Weißburgundergipfel geladen. Es sollte mehr eine Kollegenprobe werden als ein Presse-Event. Entsprechend glücklich war ich, einen der wenigen Presse-Plätze ergattert zu haben. Pünktlich fand ich mich in der Cordobar ein und wurde herzlich von Willi begrüßt – und von Georg Prieler. Mir dämmerte, dass die Bemerkung des ÖWM-Chefs Willi Klinger beim Mittagessen in Wien, der Prieler sei ‚unser Bester, wenn’s um Pinot Blanc geht‘ nicht nur so dahingesagt war.
Es versammelte sich ein elitärer Kreis von Weißburgunder-Winzern: Hansjörg Rebholz und Caroline Diel aus Deutschland, Franz Hirtzberger, Gernot Heinrich und Georg Prieler aus Österreich. Jeder hatte frische und gereifte Weine im Gepäck. Einige weitere Weingüter hatten der Einladung nicht Folge leisten können, aber Proben geschickt: Markus Molitor, Schäfer-Fröhlich, Wittmann, Lichtenberger Gonzalez, Tement.
Die Verkostung war lehrreich: die Kommentare der Erzeuger zu einigen der besten Weißburgundern der Welt waren ungeschminkt, die stilistischen Unterschiede erfuhren detaillierte Erörterung und die Veranstaltung kratzte nicht nur an der Oberfläche. Es war genau die Art Diskussion, bei der ich schon immer mal Mäuschen spielen wollte – und jetzt auch durfte. Hansjörg Rebholz erklärte das Wesen der großen Pfälzer Weißburgunder: ‚Wir setzen fast alle (gemeint waren er und seine VDP-Pfalz-Kollegen) nur noch auf Edelstahl, weil bei uns der Weißburgunder im Barrique so schnell seifig wird‘. Molitors Weine zeigten, dass an der Mosel neues Holz der Präzision nicht abträglich ist, während Schäfer-Fröhlichs gereifter 2002er sich ob des Holzes in einen New-World-Chardonnay verwandelt hatte, der allerdings großartig war. Viel Kraft auch bei Hirtzberger, der erklärte, er sei draußen langsam und drinnen schnell: ‚Wir lesen spät und gehen bewusst in die Überreife, dafür sind wir im Keller dann sehr schnell mit möglichst kurzer Maischestandzeit und frühem Abziehen von der Vollhefe‘. Ein ganz eigener Stil bei Heinrich: keine Sedimentation, keine Temperaturkontrolle, kein Schwefel – Weine die in ihrer Jugend furchtbar riechen, später dann aber unglaublich frisch und elegant erscheinen, wie ein 2007er bewies. Überhaupt war das Thema Reduktion (wenn der Wein während der Gärung oder des Hefelagers anfängt zu riechen wie die Kuh ganz hinten) ein besonders heiß diskutiertes. ‚Ich lasse meinen Weißburgunder bewusst etwas in die Reduktion laufen, bevor ich ihn von der Vollhefe abziehe,‘ erklärte Prieler seine Strategie des Mittelweges. Sein ‚Stinker‘ hat sich aber, anders als beim Weingut Heinrich, schon bei der Füllung weitgehend verflüchtigt.
Ein Pfälzer außer Rand und Band
Das Niveau war auch im Glas sehr hoch. Es war kein Wettkampf, keine Suche nach den Besten. Winzer gehören eh nicht zu denen, die ihre Begeisterung über guten Wein hinausschreien. Und doch gab es einen Wein, der sich besonders hervortat. Er kam von Prieler, allerdings nicht von Georg. Sein ‚gereifter‘ Weißburgunder stammte noch von seinem Vater. Der 1990er Seeberg Pinot Blanc hatte für damalige Zeit extrovertierte 48 Stunden auf der Maische gestanden und zahlte diese Behandlung jetzt mit unerwarteter Frische bei angenehm cremiger Fülle zurück. Das war nicht nur für sein Alter von 27 Jahren, das war ganz allgemein ein sehr guter Wein. Rebholz bat darum, dem Herrn Papa doch Grüße zu übermitteln, das sei sehr beeindruckend. Mehr Extase kann man von einem Pfälzer Winzer nicht erwarten.
Von Rebholz stammte auch das beeindruckendste deutsche Trio. 2016er vom Muschelkalk sowie Im Sonnenschein GG aus 2015 und 2001, allesamt identisch vinifiziert. Unterschiede stammen hier aus dem Weinberg und vom Jahrgang. Aus Österreich sah ich Prieler an der Spitze. Die anderen beiden von ihm vorgestellten Weine waren der mir sattsam bekannte 2015er Leithaberg und sein Vorgänger aus 2014. Natürlich ist eine solch angeregte Diskussionsrunde keine geeigneter Rahmen, konkrete Verkostungsnotizen – Sie wissen schon. Doch dieses Mal fand sich eine Lösung. Prieler hatte eine nicht benötigte Konterflasche im Gepäck. Die nahm ich mit nach Hause und genoss sie über mehrere Tage.
Prieler, Weißburgunder Leithaberg DAC, 2015, Burgenland, Österreich. In der Nase Apfel und etwas Zitrus, minimaler Stinker, mit etwas Luft nach zwei Stunden auch kräutrig. Am Gaumen mit mittlerer Säure und etwas animierendem Gerbstoff, aromatisch erinnert das an Apfel und Birne, auch wegen des dezenten Schmirgelns im Abgang. Der Wein ist intensiv und kräftig, sehr komplex, aber nicht zu fett und druckvoll – die 13,5% Alkohol sorgen für Kraft ohne brandig zu sein. Nach 24 Stunden wird der Wein noch einmal saftiger, reifer Apfel und etwas neues Holz samt Vanille, obwohl der Wein gar kein neues Holz gesehen hat. Aber mit der richtigen Kombination aus Maischestandzeit und Hefelager kann Pinot Blanc von bestimmten Böden ganz wunderbar falsche Fährten legen. Im Mittelbau leicht ölig und im extrem langen Abgang dann fest, zum Kauen. Und zum Niederknien!