Am Wochenende vor der diesjährigen Vorpremiere der Großen Gewächse des VDP war ich im Rheingau. Bei dieser Gelegenheit konnte ich die Premiere der ‚Ersten Gewächse‘ (EG) der rheingauer Nicht-VDP-Winzer besuchen. Das Bild von den 2014er EGs, das ich bei dieser Verkostung gewann, war diffus, weswegen ich zu der Veranstaltung auf Schloss Schönborn nichts im Blog veröffentlichte. Als dann das Angebot kam die Ersten Gewächse daheim für das Blog zu verkosten, musste ich keine Minute nachdenken. Schließlich hat dieses Blog seinen Namen von einem rheingauer Dialekt-Ausdruck – Schnutentunker sind so etwas wie Verkostungsschnorrer. Das Angebot von Kostflaschen aus dem Rheingau kann ich da quasi gar nicht ablehnen – Authentizität, Sie wissen schon…
Erstes Gewächs – die Historie
Das Erste Gewächs hat einen steilen Abstieg hinter sich, von der Speerspitze der neuen deutschen Trocken-Bewegung zu einer Randnotiz der Weinszene. Die Entscheidung des VDP-Rheingau ganz auf die Nomenklatur des Ersten Gewächses zu verzichten und nur den Leitlinien des ‚VDP GG‘ zu folgen, stieß das erste Gewächs vor drei Jahren in die Zweitklassigkeit (bis dahin hatten die rheingauer VDP-Mitglieder ihre GGs als EGs deklariert und dem EG so Rückenwind verschafft). Als Konsequenz veranstaltet keine der einschlägigen Wein-Publikationen mehr eine dezidierte EG-Verkostung.
Das Erste Gewächs ist die einzige gesetzlich geregelte herkunftsbezogene Qualitätsstufe Deutschlands. Normalerweise kennt das Deutsche Weinrecht die Prädikate Kabinett, Spätlese etc. als Qualitätskriterien. Diese sind durch das Mostgewicht bei der Ernte definiert. Die Bezeichnung ‚Erstes Gewächs‘ ist hingegen Weinen vorbehalten, deren Ursprungstrauben aus bestimmten Lagen stammen, die durch eine Kommission als besonders hochwertig eingestuft wurden. Das Erste Gewächs entstammt den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts und ist die Mutter des Großen Gewächses, betrifft aber nur den Rheingau, der als einziges Anbaugebiet zum Bundesland Hessen gehört, in dem das entsprechende Gesetz erlassen ist.
Erstes Gewächs – die Vorbereitung
Es wäre vermutlich leichter eine eingeseifte Sau am Schwanz festzuhalten als aus einer Verkostung wie der unseren das ‚typische Geschmacksbild‘ eines Ersten Gewächses zu extrahieren. Das Erste Gewächs muss mindestens Spätlesequalität haben und darf bis zu 13 Gramm Restzucker enthalten, mithin trocken oder halbtrocken sein. Von drahtiger, furztrockener Spätlese bis zur barocken, halbtrockenen Auslese ist also alles möglich (und auch in unserem Starterfeld vertreten gewesen). Das ist schwer zu vergleichen, doch deswegen keine alle Typen umfassende Verkostung der Weine durchzuführen hieße das ‚Erste-Gewächs‘-Label endgültig zu einer Art ‚Kammerpreismünze Deluxe‘ zu degradieren. Erstes Gewächs heißt herausragendes rheingauer Terroir ausdrucksstark interpretiert, so mein Arbeitstitel und ich tat etwas, was ich noch nie bei einer von mir organisierten Verkostung getan habe, ich instruierte die Jury. ‚Kein Punktabzug für Restzucker, es sei denn er macht den Wein unharmonisch‘ war die Bitte, denn in meinen Kreisen herrscht galoppierende Punktabzugeritis für dienende Restsüße. Seitdem es allenthalben heißt, mit ein paar Gramm Extrazucker täusche man alle bis auf die ausgebufftesten Weinprofis, wollen halt alle beweisen, dass sie nicht mit Zucker hinters Licht zu führen sind – ja, die Weinwelt pendelt zwischen den Extremen, immer!
Der Modus operandi, den ich mir überlegt hatte, sollte maximale Fairness bringen. Am Abend vor der Verkostung öffnete ich alle Weine und verkostete sie kurz offen, füllte sie in neutrale, durchnummerierte stelvinverschlossene Flaschen um, damit ich am folgenden Abend die dann 24 Stunden belüfteten Weine mit den anderen Jurymitgliedern blind verkosten könnte. Die Jury setzte sich aus den üblichen Verdächtigen aus dem Umfeld meines Blogs und der Berliner Weinszene zusammen.
Doch es gab gleich 3 Weine in der offenen Vorverkostung, bei denen ich einen Korkschmecker-Verdacht hatte, obwohl sie mit Stelvin oder Glas-Stöpsel verschlossen waren. Am Ende fielen am Probenabend diese drei Weine mit klarem TCA-Schaden aus und ich hatte keine Konterflasche. Ob meine (eigentlich seit Jahren im Einsatz befindlichen und gut gewarteten) Umfüllflaschen oder irgendein kontaminierter Karton auf der Reise die Schuld tragen, ich weiß es nicht. Ich kann die Weingüter Bickelmaier, George und Ottes nur um Verzeihung bitten, dass Ihre eingeschickten Weine auf der Strecke blieben.
Erstes Gewächs – das Ergebnis
Nicht alle EG-Winzer hatten Weine angestellt. 16 von 32 EGs waren schließlich am Start und einen Piraten konnte ich mir nicht verkneifen. Ich wollte wissen, wie die EGs sich im Vergleich zu den GGs des VDP darstellen. Also stellte ich den Wisselbrunnen von Urban Kaufmann (Weingut Hans Lang) dazu. Der war knapp durch die verbandsinterne GG-Prüfung gefallen, ist ein sehr ordentlicher Wein, der an der Schwelle zum GG steht und beim Berlin Riesling Cup den 40. Platz mit 88 Punkten gemacht hat. Der einfache Dreisatz lautete, wer den schlägt, bewegt sich mindestens auf VDP-GG-Einstiegsniveau. Der Pirat landete schließlich auf Platz 4.
Es fehlten leider mehrere EGs, die mir bei der Präsentation auf Schloss Schönborn gut gefallen hatten und die auch Oliver Bock in seinem Bericht für Würtz-Wein hervorgehoben hatte. Insgesamt waren ungefähr die Hälfte der getesteten Weine der Rede wert, was für diese Kategorie zu wenig ist. Das Jahr war schwierig, aber der VDP hat gezeigt, dass Winzer, die bereit waren die Extra-Meile zu gehen, herausragende Weine erzeugen konnten. Diese Extra-Meile sind außerhalb des VDP nur sehr wenige gelaufen, wenn man die Weine als Maßstab nimmt. Die Weingüter Dr. Gietz, Abel und Hans Bausch haben mit ihren Siegern allesamt Weine mit 12% Alkohol, aber ohne übertriebenes Zuckerschwänzchen hingestellt, Leichtigkeit mit Tiefe und Anspruch versöhnt. Das kriegen auch berühmtere Kollegen in so einem schweren Jahr nicht immer hin. Ob das reicht um dem Ersten Gewächs eine Perspektive zu bieten, vermag ich nicht zu beurteilen. Der jetzt anstehende Jahrgang mit reifen Trauben überall bietet hoffentlich eine Chance, verlorenen Boden wieder gut zu machen, denn die Gesamtperformance war zu dünn.
Erstes Gewächs – das Verkostungsprotokoll
Die folgenden Eindrücke sind meine subjektiven, angereichert mit Eindrücken aus der Vor- und Nachverkostung. Sie stimmen nicht immer mit dem Juryurteil überein.
Den ersten Wein empfand ich als ordentlichen Start in die Verkostung: nicht zu komplex, nicht zu fordernd, relativ typisch (aber mit einem leichten Sauvignon-Blanc-Einschlag in der Nase), mit ordentlicher Säure am Gaumen und einem angenehmen Abgang. Der Jury war der Wein etwas zu simpel, weshalb es am Ende für das Hochheimer Kirchenstück von Schreiber nur zum 14. Platz reichte (86,2 Punkte im Schnitt). Der folgende Riesling aus der Lorcher Krohne vom Weingut Mohr zeigte bei sehr verhaltener Nase eine etwas spannendere Struktur mit kräftiger Säure, süßer Frucht und viel Saft, Das führte zu Platz 8 mit 87,6 Punkten. Beim nächsten Riesling war der Name Programm, denn ‚Krass‘ war mein erster Gedanke, als ich den ziemlich neuholzigen Erbacher Siegelsberg aus dem Weingut Crass ins Glas bekam. Aber das viele Holz funktioniert ganz gut. Der Wein ist speziell, aber spannend – Platz 6 mit 88,1 Punkten. Den anschließenden Wein erkannte ich sofort wieder, denn schon am Vorabend war mir ein EG aufgefallen, das kaum nach Wein, sondern eher nach Rhabarbersaft schmeckte. Nun ist es albern einen Wein wegen eines Fruchtaromas zu verdammen, denn junge Rieslinge ändern die Aromatik gern im Wochentakt, bei Stefan Molitors Hattenheimer Schützenhaus kommt aber noch eine recht derbe süßsaure Note und ein nicht ganz sauberes Finish dazu, was insgesamt den letzten Platz ergab (wobei 80,6 Punkte als Durchschnitt deutlich machen dürften, dass auch dieser Wein trinkbar ist).
Der dann folgende Wein kam aus einer frisch geöffneten Flasche, war vielleicht etwas verschlossener als die anderen, denen die Luft insgesamt gut getan hatte. Schon am Vorabend war ich mir nicht sicher, ob das Hochheimer Kirchenstück von Sack nicht einen schleichenden Kork hatte. Daher war die Konterflasche (von den Naturkorkweinen hatte der Verband jeweils zwei Flaschen geschickt) bereits kalt gestellt. Der Wein erschien mir ein bisschen bunt und gefällig, leicht eindimensional aber auch lecker, was die Mitjuroren noch kritischer als ich sahen. Sie verpassten dem Wein im Schnitt 87,1 Punkte und den zwölften Platz. Erste richtig zufriedene Gesichter gab es beim nächsten Wein. Der Wisselbrunnen von Hans Lang ist knackig, richtig trocken und mit schöner Zitrusfrucht. Es fehlt ihm ein ganz bisschen an Tiefe, aber das sind die berühmten Abzüge in der B-Note, insgesamt der vierte Platz für den Piraten (88,9 Punkte). Und das Beinahe-GG war der Auftakt zu einem Zwischenhoch, denn die beiden nächsten Weine schnitten noch besser ab. Das Oestricher Lehnchen vom Weingut Abel strotzte von Frische, war stoffig und wunderbar strukturiert. Die Frucht tendierte jugendbedingt noch ins dropsige und die im Abgang spürbaren dezent grünen Noten waren Gegenstand einer Diskussion. Viele 2004er haben die in jungen Jahren auch gezeigt, aber als Basis für grandiose Flaschenreife. Ich glaube an diesen Wein, meine Mitverkoster taten es auch: Platz zwei mit glatten 90 Punkten im Schnitt. Der dann folgende insgesamt drittplatzierte (89,1 Punkte) Engelmannsberg von Hans Bausch kombinierte ein eher molliges Auftreten mit passender Frische – häufig sind mollige Rieslinge auch noch karamellig, malzig oder erinnern an Bratapfel, was dann zu viel ist, hier bleibt einem all das erspart. Der lange Abgang zeigt eher wenig Phenolik, sondern vor allem Frucht. Dritter Platz (89,1 Punkte). Gleich vier Punkte weniger im Schnitt bekam der nächste Kandidat. Zwar startete der Marcobrunn von Schönborn extrem verheißungsvoll in Nase und Mund, doch im Abgang schlägt ein Bitterton zu, der den schönen ersten Eindruck massiv trübt. Solange der Wein gut gekühlt ist, beeinträchtigt die Bitternote den Genuss nur ein bisschen. Ein Juror schwenkte den Wein jedoch gründlich warm und konstatierte dann Grapefruitschale im Abgang. Das ist der Bitterton, bei dem auch Chuck Norris um einen anderen Wein bittet. In die Wertung floss aber eher der Auftritt bei Solltemperatur: 15. Platz mit 85,1 Punkten. Umdenken war beim Winkeler Jesuitengarten vom Abteihof St. Nikolaus angesagt: Sehnig, drahtig, gefühlt sehr viel Schwefel, sehr trocken mit Zug zum Tor, Mörderphenolik, Mörderpotential. In den Wein muss man sich eintrinken und hineindenken. Das gelang uns wohl ganz gut; 5. Platz und 88,6 Punkte für einen Wein, den jeder am Tisch gerne noch einmal in 5 Jahren im Glas hätte. Strukturell ähnlich präsentierte sich der darauf folgende Wein, jedoch mit sehr viel schlichterem Ergebnis. Da war nichts als sehr viel Säure und ein paar unreife Noten. Man könne sich prima blamieren, solche Weine niederzuschreiben, wenn diese dann mit 3 Jahren Flaschenreife plötzlich aufmachen, merkte ich an. Doch Charlie neben mir, in der Runde fürs Lapidare zuständig, meinte, andersrum sei schlimmer. ‚Stell Dir vor, der Wein bleibt so und Du hast ihn empfohlen‘. Wo er Recht hat … Platz 16 (81,3 Punkte) für den Geisenheimer Kläuserweg von Goldatzel und beim Aufdecken entglitten mir die Gesichtszüge. Auf meiner Liste der Rheingau-Güter, mit denen ich mich ganz bald beschäftigen will, steht Goldatzel weit oben. Ohne das Ergebnis schönreden zu wollen, ich habe den Wein schon in besserer Verfassung gekostet. Das gilt noch viel mehr für den nächsten Wein, denn der Rüdesheimer Berg Schlossberg von Schönborn gehörte im August zu meinen persönlichen Favoriten der Präsentation im Rheingau. 87,2 Punkte und nur Platz zehn für einen Wein, der einerseits mollig ist, Aromen von Bratapfel zeigt, andererseits auch unreife Eindrücke vermittelt und insgesamt Finesse vermissen lässt, allerdings in meinen Augen viel Potential zeigt. Schönleber-Blümleins folgender Doosberg ist ein rundum gelungener Mainstream-Riesling – Sie ahnen es, das ist in diesem Zusammenhang ein vergiftetes Lob und bringt Platz 13 (86,4 Punkte) für einen Wein, bei dem es eigentlich nichts zu meckern gibt. Der nächste Wein war der Sieger, was niemanden mehr verblüffte als mich, denn unmittelbar nach dem Öffnen war der Rüdesheimer Berg Schlossberg vom Weingut Dr. Gietz einfach, pappig und süß. Mit 24 Stunden Luft, als es drauf ankam, zeigte der Wein eine Lässigkeit, die wir uns viel öfter gewünscht hätten. Lässig soll heißen, dass dieser Wein den Eindruck vermittelt, dass Traubenreife in 2014 kein Thema war. Reif, sauber, recht üppig, mit einer leichten Süße, die einfach passt. Entspannt und tief verführte er die Jury zu 90,6 Punkten und dem ersten Platz. Für sechs der neun Juroren war es der beste Wein des Abends. Der folgende Kläuserweg von Sohns gefiel mir eigentlich sehr gut, zeigte im Abgang aber eine Süße, die den Wein wie ein Klotz am Bein herunterzog. 13% Alkohol und diese Süße störten nicht nur mich – Platz 11 mit 87,2 Punkten für einen eigentlich sehr leckeren Wein. Altenkirchs Lorcher Pfaffenwies war angenehm pikant, irritierte aber mit Aromen von sauren Weingummis und landete auf dem neunten Platz (87,3 Punkte). Ich traue dem Wein eine sehr positive Entwicklung zu. Mit dem Eltviller Langenstück steuerte H.J.Ernst noch einen sehr gelungenen Vertreter der eher molligen Fraktion bei, der mit einem Hauch mehr Spannung um den Sieg mitgespielt hätte, so aber auf einem achtbaren siebten Platz mit 87,9 Punkten landete.