Wenn Weingutsbesuche mit einer PowerPoint-Präsentation beginnen, mache ich mir Sorgen. Wenn das Weingut, wie hier Bosque de Matasnos, einen eigenen kleinen Hörsaal dafür hat, werden meine Sorgen größer. Nun fragt unser Gastgeber Jaime Postigo Gómez beiläufig, wie uns denn der Besuch bei seinem Cousin gefallen hat. Es stellt sich heraus, dass der Cousin der Chemiker vom ersten Reisetag ist, bei dem sich meine Vorurteile so wohl fühlten, während ich mich nur mäßig amüsierte. Das maximiert meine Sorgen, oder optimistisch ausgedrückt: es wird ab jetzt einfach, mich positiv zu überraschen.
Die erste Überraschung kommt denn auch sofort: die Präsentation ist interessant. Der Duero/Duoro ist ein 900 Kilometer langer Fluss und nur auf den ersten 60 Kilometern ab Quelle, auf denen er 1000 Höhenmeter überbrückt, stehen keine Reben. Danach kann man bei der Flussfahrt ununterbrochen auf Reben schauen, wenngleich nicht immer direkt am Ufer. Durch die Gebiete Ribera, Rueda, Toro, Zamora, Arribes, Douro und schließlich Porto fließt der Fluss und überbrückt dabei weitere 1000 Höhenmeter bis zum Atlantik. Das ist mit unseren heimischen Gewässern nicht zu vergleichen. Die plätschern vergleichsweise träge dahin.
Die karge Hälfte des Ribera
Postigo ist ein kleiner Rebell, man könnte auch Separatist sagen, wenn das hier in Spanien während der Katalonienkrise nicht so unpassend wäre. Aber seine Präsentation handelt von separatistischen Bemühungen. Er nennt das Gebiet in dem wir uns befinden Ribera Alta und er – wie wohl auch etliche Kollegen aus der Region – sähen das gerne als offizielle Bezeichnung. Selbst halbwegs gebildete Spanier schauen auf dem Weg von Madrid nach Burgos, wenn sie bei Aranda den Duero kreuzen, aus dem linken Autofenster, und denken: ‚Da liegt das ruhmreiche Ribera!‘. Tatsächlich schneidet die A1 das Anbaugebiet aber genau in zwei Hälften, die östliche, hinter dem rechten Autofenster liegende, ist nur sehr viel unbekannter. Sie liegt deutlich höher und mutet ihren Bewohnern mit noch späteren Frösten und früherem Wintereinbruch einiges zu. Es sind die vergleichsweise armen Vettern, wenngleich von Armut keine Rede sein kann, denn auch im östlichen Ribera liegen die Traubenpreise für die, die keinen eigenen Wein erzeugen, bei zwei bis drei Euro, was zwar nur die Hälfte des Traubenpreises der Champagne darstellt, aber das Zehnfache von Gegenden wie Apulien. Man kann im gesamten Ribera-Gebiet mit Wein gutes Geld verdienen.
Die Bemühungen um die Bezeichnung ‚Ribera Alta‘ haben keine Aussicht auf Erfolg, erklärt uns der Pressesprecher des Consejo, der uns auf der Reise begleitet. Aber Jaime Postigo Gómez ist auch schon weiter. Er habe alle Unterlagen beisammen, um den Status eines Pago für sein Weingut zu beantragen. ‚Ich mache mir keine Illusionen, das dauert mindestens sechs Jahre‘ erklärt der Winzerund ich bin mir nicht sicher, ob er das ernst meint, denn Pagos sind die Super-DOCs für die besten Weine des Landes. Das ganze Vorhaben hat also sehr wohl etwas mit Illusionen zu tun, sechs Jahre hin oder her. Aber Jaimes Größenwahn hat etwas ungemein Sympathisches, er wirkt wie einer, der sich die höchsten Ziele setzt, weil das Leben sonst langweilig wäre. Und er verfolgt diese Ziele mit Begeisterung an der Grenze zur Besessenheit, das lerne ich auf der nächsten Station unseres Weingutsbesuches: im Keller.
Fässer als Werkzeug
Der Keller von Bosque de Matasnos ist eine klimatisierte Lagerhalle. Sie wirkt überdimensioniert, oder auf Wachstum ausgelegt, wie man es nimmt. Die Traubenannahme und Verarbeitung ist gehobener Standard. Spannend ist das Fasslager. Unser Gastgeber erklärt uns nicht nur seine Philosophie, er lässt sie uns kosten. Fassproben aus unterschiedlichen Fässern begleitet er mit einer Fülle an Informationen. Seine Geschichten handeln vom Streben nach Erfolg und den zu überkommenden Hindernissen. ‚Ich kaufe meine Fässer alle persönlich vor Ort’ erzählt Postigo Gómez. Bei kleineren Küfern kann ich meinen Wein mitnehmen und mit dem Mann an der Toastingstation probieren und ihm erklären, wie er mich unterstützen kann. Hier, probiert mal, eher leichtes Toasting‘. Es folgt ein eher milder Wein, was nicht nur am Toasting liegt, sondern auch an der Cuvée, die im Fass reift. Bosque de Matasnos enthält neben 90 Prozent Tempranillo noch 10% Merlot, Malbec und Grenache. Diese liegen teilweise in so kleinen Mengen vor, dass der Winzer sie schon bei der Fassreifung in den Tempranillo verschneidet.
‚Anders ist das hier bei den Starküfern wie Seguin Moreau.‘ Postigo eilt zum nächsten Fass, einem ICONO Edition. ‚Für die bin ich ein Zwerg aus dem Ribera. Die verkaufen mir ein Fass, aber weisen nicht mal die Herkunft des Holzes nach. Wenn ich das Fass nicht kaufe, kauft es halt ein anderer. Aber die Fässer sind so gut, dass ich trotzdem welche kaufe.‘ Das Toasting, das schmecken wir auch ohne weitere Anleitung, ist hier erheblich kräftiger, die Gerbstoffe trotzdem nicht ruppig und vor allem finden sich unter den Röstnoten keine Bitterstoffe. Ich bin noch ganz fasziniert am Sortieren meiner Eindrücke, da steht Postigo schon am nächsten Fass. Und er erzählt von der Karpaten-Eiche, die er für sich entdeckt hat. Fünf bis zehn Prozent seines Holzes stammt aus Ungarn, der Rest aus Frankreich, wo alle seine Fässer gebaut werden. Würde die Reiseleitung nicht auf die Uhr zeigen, wir probierten wohl heute noch aus den verschiedenen Fässern. Aber jetzt geht es in die Weinberge.
Postigo ist kein verklärter Spinner. Das wird im Laufe unseres Besuches klar. Das Wort Markenkern kommt ihm problemlos über die Lippen. Er erzählt davon, dass er seinen Wein in den Top Ten des Gebietes etablieren will und dass er deswegen auch keine Bio-Zertifizierung anstrebe. Das habe ich schon oft gehört, aber meist ist das nur eine Ausrede, also frage ich nach. Ja, erklärt der Winzer, seine Trauben würden nach Öko-Richtlinien produziert und die Ernte sei sogar zertifiziert, alleine schon, weil er auf seinem Gut auf einem Anteil von 138 Hektar noch Bio-Kichererbsen produziere. In Spanien sei der Markt aber eben immer noch so, dass Bio-zertifizierte Weine als Bio-Weine in einem eigenen Regal stünden und ein geschmacklich eher minderwertiges Image hätten, deswegen arbeite er im Keller gar nicht erst nach Bio-Richtlinien.
Bosque de Matasnos – jottwehdeh
Eine Stunde dauert die Fahrt und in dieser Stunde ändert sich mein Bild von Bosque de Matasnos grundlegend. Warum der Keller so weit von den Weinbergen entfernt läge, will ich wissen. ‚Das Gebäude ist nur gemietet. Ich habe kein Geld für ein eigenes. Bisher habe ich alles in die Weinberge investiert, alleine im letzten Jahr 10 Hektar neu gepflanzt. Wir haben jetzt einen Entwurf für ein eigenes Kellereigebäude und fangen vermutlich übernächstes Jahr mit dem Bau an.‘ Postigo ist Sproß einer Schinken- und Wurstfabrikantenfamilie. Die entschied eines Tages, in den Weinbau einzusteigen und schickte den Sohn mit fast 30 noch einmal zur Uni, auf dass er Önologie studiere. Das 240-Hektar-Gut, das die Familie erwarb, verfügte über eine verwahrloste Weinbergsanlage von 4 Hektar aus dem Jahre 1960. Die galt es wieder flott zu machen und daneben ein vernünftiges Nutzungskonzept für die weiteren Flächen auszuarbeiten und umzusetzen. Dabei waren und sind die finanziellen Mittel nicht grenzenlos. ‚Die aktuelle Ernte war mengenmäßig miserabel. Wir überleben dieses Jahr eigentlich nur dank der Bio-Fördermittel der EU für unsere anderen Pflanzungen,‘ gibt Postigo offen zu. Er selbst wohne während der Saison vom Austrieb bis zur Ernte in einem Holzhaus inmitten der Weinberge. Das habe er vor zwei Wochen winterfest gemacht und wir würden jetzt nur noch das Mittagessen dort einnehmen, dann würde es bis zum Frühjahr abgeschlossen. Im Winter kümmert er sich von seiner Madrider Wohnung aus um den Vertrieb. Das hat mit dem sterilen Vortragsraum vom Vormittag nicht mehr viel zu tun.
In den Weinbergen angekommen, stellt sich alles so dar wie angekündigt. Der die Reben umgebende Wald wirkt wie eine Schonung, die Bäume sind karg und haben auch nach Jahrzehnten des Wachstums Stämme so dünn wie Fahnenstangen. Die Dichte ist ein Witz. ‚Wir liegen hier auf über 900 Metern Höhe auf einem Felsplateau aus so hartem Gestein, dass keine Wurzeln eindringen, auch nicht die der Bäume und Reben‘, erklärt der Winzer den spärlichen Bewuchs. Ursprünglich erstreckte sich der karge Wald über das gesamte Anwesen. Die Vorbesitzer rodeten den Großteil. Sie taten das im Hochsommer und ließen das Holz auf Eselsrücken abtransportieren. In der Hitze gingen so viele Esel zugrunde, dass die Einheimischen dem Gut seinen Namen gaben: der Wald der toten Esel.
Dann endlich sitzen wir an einer improvisierten Tafel in der einfachen Holzhütte und es gibt Wein. Wir starten mit dem weißen Blanco de Matasnos. Einer Chardonnay-Cuvée mit Verdejo und Viognier – atemberaubend, aber auf 2400 Flaschen limitiert und in Deutschland nicht zu kriegen. ‚Den verkaufe ich vor allem an die gehobene Gastronomie, um uns entsprechend zu positionieren,‘ beschreibt der spätberufene Winzer sein Konzept. Markenkern … Sie wissen schon.
Etiqueta Blanca und Edicion Limitada
Dann kommt der erste Rote, der Crianza, der einfach ‚Etiqueta Blanca‘ heißt. Und plötzlich setzen sich all die Eindrücke der einzelnen Fässer vom Vormittag an meinem Gaumen zu einem Ganzen zusammen. Da ist eine Spur von dem weichen Fruchtigen und hier scheint etwas Toasting durch, da meine ich sogar die Karpaten-Eiche wiederzufinden. Gaumen-Bingo! Ich werde später ein Kostmuster für zuhause erhalten, das erlaubt mir eine längere Beschäftigung:
Bosque de Matasnos, Crianza ‚Etiqueta Blanca‘, 2015, Ribera del Duero. In der Nase Eukalyptus, Leder und Alkohol. Auch am Gaumen verstecken sich die 15% nicht, sind aber sehr gut verpackt in eine satte Frucht (Typ Blau- und Brombeere) und Aromen von Pfeifentabak, Bleistiftspäne und wieder Leder. Das ist ein Kraftpaket, dem gerade rechtzeitig die schöne Säure zu Hilfe eilt und für Frische sorgt. Die noblen Gerbstoffe strukturieren den Wein vorzüglich. Tolle Länge – auf dem Weg nach oben!
Nur vor Ort verkosten kann ich den Wein mit dem schwarzen Etikett. Der Edicion Limitada 2011 besteht aus 95 Prozent Tempranillo und 5 Prozent Merlot. Warum das so sei, will ich wissen und Postigo grinst. ‚Bei der Cuvéetierung des Etiqueta Blanca lasse ich die Fässer aus, deren Wein mir reifebedürftiger und langlebiger erscheinen. Die reifen dann weiter und werden später zum Limitada‘. Manchmal sind die einfachen Lösungen die besten.
Ambitionen weit draußen
Wir sitzen noch eine Weile, verspeisen ein Milchzicklein, das sein kurzes Leben frei unter den Bäumen des Anwesens verbracht hat und nun auf dem Feuer eben jenes Holzes landet – Kreislaufwirtschaft eben. Und in der Kreislaufwirtschaft gibt es keine Spucknäpfe. So sind wir alle gut genährt und etwas träge, als wir zu ein paar letzten Fotos in den Weingarten mit den Reben von 1960 treten.
Jaime Postigo Gómez schaut über seine alten und jungen Reben, die Brachen und den Ort, wo einmal seine Bodega stehen soll und sieht aus wie einer, der weiß, was da noch an Arbeit wartet. Aber er sieht auch aus wie einer, der sich nichts Schöneres als das hier vorstellen kann. ‚Aus rauen Ecken kommt kein weicher Wein,‘ sagt er mehr zu sich selbst. Ein weiter Bogen von der morgendlichen PowerPoint-Präsentation bis zu diesem Moment – gespannt von einem bemerkenswerten Winzer auf einer Mission.