Kurz bevor das Jahr vorüber ist und aus zehn dann elf geworden wären, konnte ich letzten Freitag noch ein paar Weinfreunde zu einer ‚Ten-Years-After-Probe‘ einladen: 2008er Riesling GGs eine Dekade gereift. Meine Erwartungen waren gemischt. Ich habe wenig 2008 im Keller. Als der Jahrgang damals erschien, waren die Stimmen verhalten, meine Kauflust auch.
Ungefähr um 2012, als viele Weine des ebenfalls eher kühlen und bis dahin sehr zurückhaltend bewerteten Jahrgangs 2004 zu strahlen begannen, entbrannte Euphorie um kühle Jahre und die schloss 2008 entsprechend mit ein. Allein, die 2008er hatten in den Jahren bis dahin ein ganz anderes Reifeverhalten gezeigt als die 2004er in ihren ersten drei Jahren. Ab 2015 ungefähr begegneten mir dann erste 2008er, die ich als gezehrt empfand. Ich bin deswegen nie zum nachträglichen Fan des Jahrgangs geworden. Das allerdings einzelne Weine großartig sein würden, davon war ich überzeugt.
Riesling 2008: teils über dem Zenit
Seit der Dekadenprobe des Jahrgangs 2007 bin ich dazu übergegangen, die Reihenfolge solcher Proben zu kuratieren, bringe mich zwar um die Chance, selber blind zu probieren, habe dafür aber nicht das Problem unpassender Probenreihenfolgen. Da meine Gäste Weine beigesteuert hatten, standen am Ende mehr Weine zur Verfügung als nötig und ich beendete die Wertungsprobe nach 18 Weinen. Nach dem Essen gab es blind noch einige weitere 2008er. Ich servierte die Weine in Zweierflights, die ich nach eigener Erfahrung oder nach Papierform zusammengestellt hatte. Unter den Probanden waren auch einige trockene Spätlesen.
Eine Anmerkung vorweg: in diesem Reifezustand gibt es immer wieder ‚schlechte Flaschen‘. Die Erwartung bei 18 Probanden liegt bei ein bis zwei. Es waren fünf. Das werden im Zweifelsfall aber nicht alles schlechte Flaschen gewesen sein, zwei oder drei Weine werden einfach schon ihren Zenit überschritten haben. Unmöglich ist nur zu bestimmen, welche dies sind. Die Kandidaten waren: Müller-Catoir, Rebholz, Wittmanns Aulerde und Kirchspiel sowie Kellers Abtserde.
Emrich-Schönleber eine Bank
Im ersten Flight zwei Pegelweine. Hexamers Meddersheimer Rheingrafenberg XXL war sehr kandiert am Gaumen, gefühlt mit Botrytis, leicht speckig, gut, aber mir zu üppig. Der Glottertäler Eichberg GG von Salwey war schon gezehrt. Noch gut trinkbar, aber auf dem absteigenden Ast. Einen Flaschenfehler schließe ich aus, weil der Wein genau da weitermacht, wo die letzte Flasche vor zwei Jahren aufhörte. Die signalisierte schon beginnende Müdigkeit. Die Nummer drei hatte ich zuletzt vor zwei Wochen im Glas und sie bestätigte den schönen Eindruck: Karthäuserhofberg Spätlese trocken ist derzeit sehr leise und elegant, mit beginnenden Alterstönen, die zusätzlichen Reiz verleihen. Nicht ganz GG-Niveau aber äußerst gut. Damals noch kein GG, weil noch nicht im VDP: Joh. Bapt. Schäfers Goldloch trocken hatte Zug und frische, eine feine Frucht und ausreichend Kraft. Erstes Highlight und ein Mitglied der Spitzengruppe. Im nächsten Flight ein toll startender, aber schnell wegbrechender Breumel in den Mauern von Müller-Catoir gegen einen seltsam krautigen Ganz Horn von Rebholz. Blind wurden beide ziemlich verrissen. Zumindest beim Rebholz müsste man aber mal eine Konterflasche öffnen.
Im vierten Flight ging die Sonne auf. Emrich-Schönleber, Frühlingsplätzchen gegen Halenberg. Und die waren so typisch. Abstrakt ausgedrückt: das helle Frühlingsplätzchen gegen den dunklen Halenberg. Knackig waren beide, aber das Frühlingsplätzchen strahlte pure Frische und Freude aus, wo der Halenberg auch ein bisschen rauchig, erdig und geheimnissvoll war. Es hagelte zweite und dritte Plätze, bei geteilten Vorlieben, welcher denn nun besser war. Dann zwei Mal Wittmann: Während das Kirchspiel ziemlich nach Sauvignon Blanc roch, war es am Gaumen sehr kandiert, wurde von der tollen Säure aber ganz gut zusammengehalten und machte Freude, wenngleich ich mehr erwartet hätte. Die Aulerde war eher muffig und hatte einen leichten Molke-Ton. Gut trinkbar war das sicher, aber nicht auf GG-Niveau.
Morstein und Felseneck – nahezu perfekt
Der Morstein von Wittmann allerdings war grandios: frische Nase, kreidiger Biss am Gaumen, abgerundet von leicht cremigen Reifetönen, das war so gut wie eh und je und erfüllte alle Erwartungen, die dieser Wein in seiner fulminanten Jugend geweckt hat. Flight-Partner Dellchen von Dönnhoff kam nicht ganz mit, war vollfruchtiger Wohlfühlwein mit Kraft und Ausdruck, strahlte aber nicht ganz so hell – Dellchen groß, Morstein größer. Dann kam der Wein, der für Alle außer einen der beste des Abends war: Schäfer-Fröhlichs Felseneck schmiss die Zeitmaschine an und wirkte mal wieder (letztes Jahr bei den 2007ern hatten wir den gleichen Eindruck von der Kupfergrube) fünf Jahre jünger als die Konkurrenz. Nun ist Jugend kein Erfolgsgarant, schließlich warten wir mit dem Trinken ja, um reifen Wein ins Glas zu bekommen. Das Felseneck war fruchtig, knackig und vibrierend, aber eben auch mit würziger Komplexität, die dem Wein das gewisse Etwas verlieh. Flight-Partner Abtserde von Keller wirkte leicht gezehrt und etwas kräutrig, nicht schlecht, aber weit hinter den Erwartungen, die frühere Flaschen geweckt hatten.
Positive Überraschung zum Schluss: Kellers Kirchspiel reihte sich ebenso in der Spitzengruppe ein, wie der Gräfenberg von Weil. Ersterer zeigte eine so lebendige Frucht, dass er für mich die Nase im Flight vorn hatte, konnte zudem einen ersten Platz für sich verbuchen. Letzterer war angenehm trocken und fokussiert. Ich hatte den Gräfenberg in den letzten 5 Jahren regelmäßig im Glas und fand ihn immer sehr gut, nie ganz groß. Dass er sich in diesem Probenfeld so hervorragend schlug, zeigt vielleicht auch die Grenzen des Gesamtniveaus.
Fazit: kein neues 2004
Meine persönliche Reihenfolge: Schäfer-Fröhlich nahe an der Perfektion, dahinter Morstein, Frühlingsplätzchen und Halenberg gleichauf, dann eine Gruppe mit Goldloch, Kellers Kirchspiel, und dem Dellchen. Gräfenberg und Karthäuserhofberg ebenfalls auf tollem Niveau – das war es schon mit den Weinen, bei denen sich das Warten gelohnt hat. Alle anderen sind bei ordentlichem Trinkspaß weniger aufregend als in der Jugend. 2008 ist keinesfalls das neue 2004, eher das neue 2002 und nicht jedes kühle Jahr reift flächendeckend zur Weltklasse, wenngleich die in 2008 durchaus vorkommt.
Im Nachgang gab es noch einen extrem enttäuschenden Uhlen ‚R‘ von Heimann-Löwenstein, der nach geharztem Traminer schmeckte, ein sehr frisches Kalkofen GG von von Winning, das im Hauptfeld im guten Mittelfeld gelandet wäre und einen problematischen Österreicher ‚das beste‘ von Malat.