Der Rheingauer VDP betreibt hervorragende Öffentlichkeitsarbeit. Manchmal gehört dazu auch Multiplikatoren abzufüllen. Warum das gut und richtig ist, will ich gerne erläutern – schreiben. Denn darüber geredet, geposed und gepostet wurde schon viel.
Ich war bei einer Veranstaltung, die kurz und Prägnant Das Fest heißt. Sie fand zum dritten Mal statt. Wenn Sie sich in sozialen Netzwerken mit Wein beschäftigen, wissen Sie das eh schon. In der Vergangenheit war das Fest eine eher diskrete Angelegenheit, dieses Mal hatte #dasfest2017 einen eigenen Hashtag – die Zeiten ändern sich.
Guter Wein führt die Hand zum Glas
Das Fest ist eine von zwei regelmäßigen Veranstaltungen einer Gruppe von Winzern, die ungefähr die Hälfte der Mitglieder des VDP-Rheingau umfasst. Jedes Jahr im August am Wochenende vor der Wiesbadener GG-Premiere stellen die Rheingauer einem ausgewählten Fachpublikum ihre neuen GGs vor. Der Zugang zu den Weinen ist geführt, moderiert und mit wissenschaftlicher Begleitmusik. Im Winter, beim Fest, zeigen sie ausgewählte Weine des aktuellen dann zusammen mit ebensolchen des Vorgängerjahrganges. An einer langen Tafel stehen die beiden Jahrgänge in Fließrichtung des Rheins aufgebaut, unmoderiert, zur Selbstbedienung, die Begleitmusik hat 120 BPM.
In einem zweiten Raum stehen gereifte Weine in rauen Mengen zur Verfügung, mit denen man das irgendwann im Fying-Dinner-Modus servierte Essen begleiten oder den Absturz einläuten kann, ganz nach Gusto. Wer mag, kann auch einfach konzentriert weiter verkosten und hier zusätzliche Erkenntnisse gewinnen. Alle Weine stehen die ganze Nacht zur Verfügung.
Ich finde, das ist ein großartiges Konzept. Wein auf dem Niveau eines Riesling GGs sollte man gründlich analysieren – und man sollte sich mit solchen Weinen gelegentlich die Lampe anzünden, denn Wein, der dazu nicht verführt, ist verkopfter Mist. Bei den GGs des Rheingau sorgen die Erzeuger selbst für den Praxistest. Dankenswert.
2014 – der Jahrgang im Rheingau
Ich bin vor allem aus einem Grund in den Rheingau gereist: 30 Riesling GGs aus 2014. Vermutlich meine letzte Gelegenheit, diesen für mich so rätselhaften Jahrgang in solcher Breite zu verkosten.
Künstlers Kirchenstück mit verbranntem Gummi und satter Aprikose, wuchtig und süß, macht etwas satt. Die Hölle auch aromatisch eher warm, malzig, aber mit feinerer Frucht, fett aber tänzelnd und deutlich spannender. Josts Walkenberg hat auch heiße Reifen in der Nase, baut am Gaumen enormen Druck auf und zeigt im Abgang ein dermaßen fein phenolisches Finish, dass ich mich zwingen muss das auszuspucken. Gefährlicher Stoff. Diefenhardts Langenberg strukturell etwas pummelig und aromatisch in der Verschlussphase – das Baby schläft. Der Schlenzenberg mit Gummibärchen in der Nase, einem animierenden Bitterl am Gaumen und sehr viel Potential dank feiner Struktur. Weils Gräfenberg kann mich das erste mal glücklich machen (ist jemandem aufgefallen, dass ich den Wein 2015 mit keinem Wort erwähnt habe?). Ein ziemlicher Brummer mit reichlich Stoff, aber auch feinem Gerbstoff. Wohin die Reise wohl geht? Weiter, immer weiter geht die Reise für Jungs Hohenrain, den ersten Gänsehautmoment des Abends: stoffig, zum Kauen mit einer tollen Säure und unglaublich Saft. Der Siegelsberg sehr reif, mit Malz und Erdbeere, spannungsarm und schwierig – der Winzer meint, der kommt wieder. Oetingers Marcobrunn ist würzig, spannend, tief – und der zweite Gänsehautwein des Abends. Eberbachs Marcobrunn düster, rauchig, etwas bitter aber auch verführerisch – Darth-Vader-Riesling scheint sich zum Haus-Stil bei Eberbachs GGs zu entwickeln und ich groove mich zunehmend ein. Langs Wisselbrunnen, das abgelehnte GG, entwickelt sich gut, steht für mich immer noch genau auf der Kippe zwischen ‚kann man durchwinken‘ und ‚kann man ablehnen‘. Mehr Frische als viele, aber auch seichter als manche. Guter Wein. Barths Hassel ist verwirrend: satte Frucht, Erdbeere, Malz, reife Säure, klingt alles nach mastigem Monster, aber der Wein ist erstaunlich zart. Super! Dann kam Ress’ Nussbrunnen. In der Nase und auch am Gaumen etwas laktisch, aber das ist auf dem Rückzug. Darunter kriecht ein Monument hervor, Stoff und Druck tanzen mit pikanter Säure und feiner Phenolik, wenn sich die Aromen sortiert haben, wird das in ein paar Jahren einer der besten des Jahrgangs, nicht nur im Rheingau. Prinz’ Jungfer bietet Frische als Ergebnis von zackiger Säure und feinem Gerbstoff; Struktur und Spass vermählt. Fein. Über Kühns Doosberg und St. Nikolaus weiter unten mehr. F.B. Schönlebers St. Nikolaus mit betörender, klassischer Rieslingnase. Im Mund erst Tralala, dann stoffig und mineralisch/phenolisch bis zum Anschlag, im Abgang kommt eine tolle Säure hervor. Einer der großen. Der dritte St. Nikolaus stammt von Spreitzer, zeigt auch eine tolle Nase, ist am Gaumen aber viel dunkler und von der Säure her reifer. Schön. Allendorfs Jesuitengarten ist süß, satt, vibrierend, auch leicht malzig aber nicht zu fett. Schönlebers Wein aus gleicher Lage auch sehr gut aber am Ende mir zu üppig, Wiedervorlage. Schloss Johannisberg stellt mich vor Probleme. Ich bräuchte mehr Zeit und Muße. Johannishofs Hölle ist üppig, würzig, gut. Wegelers Rothenberg ist mir zu süß und ein bisschen plump. Wiedervorlage, die zweite. Dann vier mal Rottland: Ress gewohnt wild und würzig, komplex aber mit einer pikanten Säure, dank der das Spielerische nicht zu kurz kommt. Großer Wein. Mumm steht daneben wie der kleine Bruder im Konfirmationsanzug, deutliche Ähnlichkeit aber zivilisierter. Gefällt mir auch unglaublich gut und sei allen anbefohlen, denen der Ress zu wild ist. Der Johannishof ist üppig und stoffig, aber so saftig, dass ich schon wieder mit dem Spucknapf ringe. Leitz eher reif, in sich ruhend, schön. Kesselers Roseneck ist das zweite Nicht-GG, dass auf dem Tisch steht. Der Wein liegt über dem erlaubten Restzuckerwert. Ich würde ja ‚Rüdesheimer Berg Sexy’ auf’s Etikett schreiben, das fasst diesen feinherben Spitzenwein ganz gut zusammen: Herkunft, Anspruch, Suchtfaktor. Künstlers Schlossberg ist der letzte Wein und setzt einen fetten Punkt unter die Strecke – mehr dazu später.
Mann, bist Du fett geworden
Wenn sich das liest, als hätten die 2014er GGs binnen 18 Monaten ihren Charakter deutlich verändert, nicht immer zum Guten, in jedem Fall aber zum eher Molligen, dann beschleicht Sie das richtige Gefühl. Wer angesichts der Entwicklung des Jahrgangs weiter von den Zwillingsjahrgängen 2013/2014 redet, hat den Schuss nicht gehört. ‚2014 war von den nackten Wetterdaten im Wonnegau ein warmes Jahr‘ erzählte mir Philipp Wittmann am Abend des ersten Tages der 14er-Premiere. Dem Geschmack nach zu urteilen, gilt dies genauso für den Rheingau. Etliche Weine zeigen sich erheblich molliger und druckvoller als in der Jungweinphase. Wie unterschiedlich dazu 2013 ist, zeigten die ebenfalls verfügbaren 13er Hohenrain von Jung und Jesuitengarten von Allendorf. 2013 ist mit Pech das neue 2002 (was kein Anlass zu Trauer wäre) und mit Glück das neue 2004. 2014 erinnert mich bei dieser Probe auf einmal sehr an 2007. Die Weine hatten anfangs eine sehr zupackende Säure, die schon nach einem Jahr sehr gut integriert war. In der Folge gingen viele Weine in die Breite und etliche konnten die Erwartungen nicht ganz erfüllen. Vieles ist aber auch heute noch sehr gut und mir gefällt der Jahrgang außerordentlich. Natürlich ist es viel zu früh für die finale Einschätzung des – jaja, sie wissen schon.
Kühn und Künstler – Versuch einer Kritik
Kühn hatte beide 2014er auf den Tisch gestellt. Die Aahs und Oohs werden nicht weniger. Zeit mich zu outen. Ich finde den Doosberg weltklasse, weil er der ‚freundlichere’ Wein ist, mehr Riesling, weniger Intellekt. Aber ich finde ihn nicht singulär. Meine Frau bekam neulich ein Glas St. Nikolaus 2014 in die Hand gedrückt. Sie probierte, sprach ‚das kann ich nicht trinken, der Wein will alles auf einmal sein, nimm Du das‘ und gab es mir sofort weiter. Das beschreibt den St. Nikolaus ganz gut. Ein bisschen Orange, ein bisschen Sonne, Mond, und Sterne, ein bisschen Rheingau – und ganz viel Kühn. Ich bewundere das. Ich verstehe den Erfolg. Aber mir reicht ein Glas ab und zu. Auf einer solchen Party muss ich dem Wein nicht unbedingt begegnen – ihrem jetzt so fröhlich wirkenden Schöpfer allerdings unbedingt. Niemandem gönnt man diesen Erfolg nach harter Findungsphase mehr! Aber es muss mal gesagt werden: Wenn Sie der St. Nikolaus vor Rätsel stellt, müssen Sie sich nicht wie ein Trottel fühlen.
Und wo ich gerade beichte: Ich schreibe nur Verrisse, wenn ich so viel und gründlich probiert habe, dass ich Tagesform und Flaschenfehler ausschließen kann. Bei Künstler ist dieser Punkt jetzt erreicht. Ich habe ziemlich viel Künstler im Keller – leider. Nach den phänomenalen Weinen der 90er und der ersten Hälfte des letzten Jahrzehntes habe ich mir meinen frisch bezogenen Keller ab dem Jahrgang 2005 mit reichlich trockenen Künstler-Weinen gefüllt. Eigentlich keiner von denen reift(e) zu filigraner Schönheit früherer Jahrgänge heran. Bei der Kritik schneiden die Weine immer noch überragend ab, obwohl sie sich jung schon so prall zeigen. ‚Die werden grandios reifen‘ heißt es. Ich glaube es nicht und ich habe es auch noch nicht erlebt (also bei den Weinen nach 2004). Und auch die 14er und die 15er aus der Hochheimer Ecke laufen für mich schon wieder in die falsche Richtung. Dass er es kann und wie es geht, zeigt Künstler dafür mit den Rüdesheimer GGs aus 2015. 12,5% Alkohol und Finesse bis der Arzt kommt. Jeder Schluck davon ist wie ein Stromschlag. Grandios.
2015 – noch nicht zu bewerten
Denn über 2015 müssen wir noch reden. Ich habe auch hier alle 30 Exemplare probiert, aber keine Notizen gemacht. Die sind alle noch im Riesling-Kindergarten. Da ging es nur darum, mir zu merken, zu welchen Töpfen ich im Laufe des Abends immer wieder zum naschen zurückkehrte. Von Oetingers Marcobrunn, Jungs Hohenrain und Siegelsberg, Weils Graefenberg, Barths Schönhell, meine Wiesbadener Lieblinge bestätigten ihre Form. Weil ist der Perfektion noch ein Stück näher gerückt. Künstlers Rüdesheimer hatten wir schon. Und dann waren da noch der Schlenzenberg und Langenberg. Die haben eine Vorgeschichte.
Zum freundlichen Umgang der VDP-Winzer miteinander gehört, dass Vorsitzender Wilhelm Weil bei der sommerlichen Veranstaltung hervorhebt, wessen Leistung im Kollegenkreis für besondere Bewunderung sorgt. Als er 2015 die Arbeit von Max Schönleber im Keller des Weingutes Allendorf herausstrich, fand ich das in meinem Glas sofort wieder. Letzten Sommer pries er die Arbeit von Julia Seyffardt, die im Alter von 25 im elterlichen Dieffenhardtschen Weingut das Kellerregiment übernommen hatte. Diesen Enthusiasmus fand ich im Glas nicht, vielleicht weil die Weine in Wiesbaden keine Bestform hatten. Die Resonanz auf die beiden GGs war insgesamt nicht riesig.
Aber jetzt: Was für schöne Weine. Als ich keine Lust mehr hatte zu probieren und entschied, welcher Wein nun den geselligen Teil begleiten sollte, fiel die Wahl auf Julia Seyffardts 2015er Schlenzenberg – weil er mit all den Granaten mithielt und noch Extra-Trinkspaß draufsattelte. Als der Abend dann für mich zu Ende ging, schnorrte ich eine der nicht benötigten Ersatzflaschen, um in nüchternem Zustand meine Begeisterung zu überprüfen.
Weingut Diefenhardt, Martinsthal Schlenzenberg, Riesling GG, 2015, Rheingau. In der Nase jung, fruchtig, Gummibärchen, Apfel, Aprikose. Am Gaumen zunächst sehr fest, kräftige Säure, feine Phenolik, reife Aprikose, und ein leichtes Bitterl, dass erst animierend, nach einer Stunde aber ein bisschen zu dominant erscheint. Mit 24 Stunden Luft wird der Wein klarer, die Frucht dreht eher zu Apfel, sehr saftig, die Phenolik und das wieder dezentere (und animierende) Bitterl tauchen nur noch im sehr langen Abgang auf. Das ist intensiv aber nicht fett, genau die Balance, die Skeptiker vielen GGs gerne absprechen. Ab Hof 23,50 – was für ein Schnäppchen!
Ich danke dem VDP für die Einladung zur Veranstaltung und dem Weingut für die Musterflasche.