Altersmilde

Zugegeben, die Überschrift könnte als Provokation verstanden werden ob des grantelnden älteren Herren, an den ich heute zufällig geraten bin. Tatsächlich geht es aber gar nicht um Spinner und Blogs sondern um Veränderungen in meinem Wesen und die Headline kam mir in den Sinn, als ich am Sonntag den Wein öffnete, um den es hier geht.

Ich werde älter und damit einhergehend auch weniger konsequent in meinen Abneigungen. Meine Antipathie gegenüber dem FC Bayern gerät genauso ins Wanken wie meine strikte ABC-Trinkerschaft. ABC, was mein Lieblingsanglizismus ist und „Anything But Chardonnay“ heißt, war für mich immer tugendhafter Ausdruck des Riesling-Patriotismus. Weißburgunder – darf mal sein, Chardonnay? – schleich Dich!

Weingeschmack im Wandel

Und nun das: So geschätzte drei bis vier Flaschen Chardonnay pro Jahr sind es mittlerweile, die sich in mein Glas verirren.  Die Mischung aus recht kräftigem Säuregerüst, buttrigem Schmelz, feinen Holznoten und satter Mundfülle schmeckt mir zu manchen Speisen halt doch besser als Grau- oder Weissburgunder.

Ich rede von besternten oder mit einem -S- auf dem Weinetikett versehenen, Barrique-ausgebauten Brummern aus deutschen Landen. Die gibt es von immer mehr ernstzunehmenden Winzern und verglichen mit deren Riesling Großgewächsen sind sie sogar recht preisgünstig. Aktuell viel Spass macht mir der Jahrgang 2002, denn auch die einheimischen Chardonnays vertragen ein paar Jahre Flaschenreife. Seit Sonntag in bester Form präsentiert sich Wagner Stempel, 2002 Chardonnay ‚S‘, Rheinhessen, 14% Alk. In der Nase Butter, Haselnuss und Quitte mit riechbar viel Alkohol, der am Gaumen aber nicht störend in Erscheinung tritt. Im Mund nussig, sehr stoffige Textur, cremig aber mit akzentuierter Säure und etwas Muskat. Das Holz ist sehr gut eingebunden aber noch schmeckbar mit einer Toast-Note vertreten. Der Abgang ist ausgesprochen lang. Der Wein kratzt für mich an den 90 Punkten. Eigentlich hätte er sie verdient.

Aber ganz so alt bin ich dann doch noch nicht!