1971 trat in Deutschland ein Weingesetz in Kraft, zu dessen Auswirkungen eine drastische Verringerung der Zahl ausgewiesener Weinbergslagen von gut 30.000 auf weniger als 3.000 gehörte. Dabei wurden Lagen zusammengelegt und Parzellennamen als Zusatz abgeschafft. Einige berühmte Parzellen wurden zu eigenen Lagen. Aus den Lagen Bürgerslay, Thorney, Juffer u.v.m. wurde beispielsweise die Brauneberger Juffer, die Parzelle rund um die Sonnenuhr wurde als Juffer-Sonnenuhr zur Lage befördert (und damit gleich eine Ausnahme von der eigentlichen Weingesetz-Regel gemacht, keine Bindestrichlagen zu schaffen, wenn einer der Bindestrichpartner auch als Einzellage existiert). Seit fast 40 Jahren wird diskutiert, ob dieses Gesetz gute Seiten hat oder einfach nur schlecht ist – das soll hier aber nicht Thema sein, denn es fehlt mir an Sachverstand, um da mitzureden.
Die Wiedererweckung von Tradition ist in der Weinvermarktung ungefähr so populär wie die Verwendung von Kindern und Tieren in der Werbung (geht immer!), und deswegen tauchten in den Preislisten der besseren Winzer Deutschlands in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends zunehmend Weine auf, deren Bezeichnung ältlich klingende Namenszusätze trugen. Ein paar Beispiele: ‚(auf der)Lay‘, ‚Pergentsknopp‘ und ‚Vols‘, ‚Ganzhorn‘ oder ‚Scharz‘ waren alte Lagen-, Parzellen- und Katasternamen aus der Zeit vor 1971, die Teilstücke von ohnehin schon privilegierten Lagen (hier: Halenberg, Scharzhofberg, Braunfels, Im Sonnenschein und Niederberg-Helden) beschrieben. Diese alten Namen werteten die Weine auf, als Namenszusatz oder gleich als eigener (Marken)-Name.
Es gab nur ein Problem: die Verwendung war illegal.
Dabei spielt es keine Rolle, wie die Bezeichnung verwendet wird, ob als Zusatz oder Name, ob für Prädikatswein oder QbA, ob als eingetragene Marke oder einfach so. Was früher einmal Lage war ist heute Tabu (außer im Falle der Lagenumbenennung, den es neulich in der Pfalz gab, aber das ist eine andere Geschichte).
Wer denkt, im Obrigkeitsstaat Deutschland wäre dem sofort mit harter Hand begegnet worden, sah sich getäuscht. Die Retrowelle schwappte eine ganze Weile durch Deutschlands Weinkeller. Irgendein Wein hat dann aber wohl, um im Bild zu bleiben, das Fass zum überlaufen gebracht. Für den Jahrgang 2008 sucht man vergeblich nach den Prä-71er-Bezeichnungen. Einige Namen verschwanden schon vor ein oder zwei Jahren, aber mit dem 2008er scheint systematisch Schluss mit dem Revival. Aus dem ‚auf der Lay‘ wurde der ‚adL‘ , der Pergentsknopp wurde zum ‚P‘, dem Vols wurde ein z verpasst und er heißt jetzt Volz, was ich für eine gelungene Hintertür halte. Meinem Sprachsinn den heftigsten Schluckauf beschert die Verwandlung des Ganzhorn in den Ganz Horn – aber das ist meine unmaßgebliche Meinung.
Dieser hier ist einfach wieder die Niederberg-Helden Spätlese trocken:
Thanisch (Ludwig Thanisch und Sohn), Riesling ‚Scharz‘ (Lieserer Niederberg Helden Spätlese trocken), 2007, Mosel. In der Nase im Moment sehr zurückhaltend, ein wenig Apfel, ein bisschen Aprikose. Am Gaumen ist der Wein puristisch: keine Spur von Überreife, nichts fettes, karamelliges und keine dienende Restsüße. Grapefruit, Zitrus, Kumquat, leichter Bitterstoff, akzentuierte aber nicht zu heftige Säure, ziemlich trocken bei mittlerer Dichte und Druck. Der Wein ist auch nur mäßig mineralisch. Die Betonung liegt auf Frucht und Spiel und das wirkt gewollt und gekonnt. Der Abgang ist sehr lang.
Das ist ein klassischer trockener Modelriesling mit 12,5% Alkohol, wie er (Achtung, Phrase!) heute nur noch selten gemacht wird. Und damit meine ich keinesfalls einen dünnen Säuerling. Die Spätlese ist im beste Sinne ‚Retro‘, egal ob mit altertümlichem Namenszusatz oder ohne.