Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs

…war eine innovative aber nur mäßig erfolgreiche Band, die zum Soundtrack meiner Jugend ungefähr ein halbes, leicht vernebeltes Konzert in irgendeiner Schulaula beisteuerte. Trotzdem trage ich den Namen in meinem Gedächtnis, vermutlich weil er in einem Wort/Satz eine geistige Haltung seiner Epoche zusammenfasste: Ostprodukte sind ungesund. Die Eier bei Aldi kamen damals angeblich aus der DDR und den Hühnern wurde Karotin unters Futter gemischt, damit das Dotter leuchtend Orange ist – so raunte man sich zu.

‚Opa erzählt wieder vom Krieg‘ mag manch Leser jetzt denken und überhaupt: was hat das bitte mit Wein zu tun? Wenig – ich kann mich einfach nicht gegen diese Gedankenschübe wehren, die ich mal als (sehr) freie Assoziationen bezeichnen möchte. Denn ‚Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs‘ dachte ich neulich spontan, als ich bei ebay eine Auktion beobachtete, in der ein Sechserkarton mit Großen Gewächsen aus einer der renommiertesten Lagen der Ex-Täterä zum Dumpingpreis wegging. Normalerweise gehen GGs aus dem Jahrgang 2007 bei ebay zum Listenpreis bis hin zu 20% Aufschlag weg, Weine von Keller schaffen schon mal 100% Aufschlag, weniger bekannte bleiben auch eine ganze Ecke unter Ursprungspreis. Die Ossis jedoch haben es ganz schwer. Da kommt es zu massiven Abschlägen. Ich glaube, das liegt an alten Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs-Vorurteilen.

Einige Ost- GGs sind von Natur aus günstig. Das hier besprochene kostete gerade mal 19€. Da werden die absoluten Zuschlagpreise atemberaubend. Bei eben über 10€ pro Flasche (inklusive Porto!) ging die von mir beobachtete Auktion zu Ende. Normalerweise wäre ich vor Sorge um den ostdeutschen Weinbau zerflossen, wenn sich der Egoist in mir nicht so schamlos über sein Schnäppchen gefreut hätte. Der Zuschlag ging an mich.

Lützkendorf, Karsdorfer Hohe Gräte, Riesling Große Gewächs, 2007, Saale-Unstrut. In der Nase fruchtig mit Aprikose und Banane sowie mit einer herrlich cremigen Vanillenote und etwas Pistazie. Am Gaumen ist der Wein frisch, mit kräftiger Säure und schönem Spiel, Aromen von Apfel, Mandarine, Rhabarber. Er ist nicht sehr dick, eher elegant, wobei das keine höfliche Umschreibung für ‚dünn‘ sein soll, sondern uneingeschränkt positiv gemeint ist: mineralisch, zupackend und mit Tiefgang aber eben kein Bulldozer, was auch an den gut verdaulichen 12,5% Alkohol liegen mag. Dazu kommen ganz dezente Bitterstoffe, die den Wein animierend machen. Der sehr lange Abgang klingt mit kräftiger Säure aus. Ein hervorragender Wein und eine willkommene Abwechslung unter den GGs.

Ich bin mir sicher: Der macht keinen Krebs. Der macht ja nicht mal `nen dicken Kopf.

Einkaufsstrategie Jahrgang 2010

Es gibt viel zu lesen dieser Tage: Gleich in mehreren deutschsprachigen Blogs, Foren und Social Networks wird erhitzt darüber debattiert, ob man den Jahrgang 2010 in Deutschland schon abschreiben könne. Winzer melden sich zu Wort und berichten von besonderem Aufwand, der belohnt wurde und von drei Wochen im Oktober, die retteten, was zu retten war. Kritiker sind zerstritten und zeihen sich gegenseitig der Erfahrungslosigkeit. Konsumenten schreien empört auf, sie könnten es nicht mehr hören, wie die Produzenten und Händler versuchten, den letzten Mist noch hochzujazzen.

Wenn ich nicht mehr weiß, was ich glauben kann oder soll, hilft es mir meist, mich auf mich selbst zu besinnen. Und wenn ich dabei ehrlich (oder sogar schonungslos) bin, bringt mich das der Lösung ein ganzes Stück näher. Wie hier schon einmal beschrieben, kaufe ich zu viel Wein. Ich bin ein Getriebener. Es treibt mich die Angst, etwas zu verpassen. Den einen Wein wieder ins Regal zurückgestellt zu haben, von dem ich jetzt in einer Zeitschrift lese, er habe das Zeug zur Legende. Also kommt beständig mehr in den Keller, als ich zum Trinken wieder entnehme.

Wenn ich mir dann noch einmal durchlese, was an Fakten zum Jahrgang zur Verfügung steht, dann ziehe ich einen freudigen Schluss: ich habe jetzt Pause.

Wenn im Jahr 2011 Vertikalverkostungen des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends anstehen, werden wir sicher Überraschungen erleben. Selbst Jahre, die alles andere als perfekt waren, haben Weine hervorgebracht, die als Meister ihres Faches gelten. Der 2004er G-Max ist dem vernehmen nach so einer, besser als die Weine aus den starken Jahren 2005 und 2007. Und es würde mich nicht wundern, wenn bei einer Morstein-Vertikale der 2008er von Wittmann ein überraschender Abräumer wird. 2001 und 2002 werden sicher ein paar Sieger stellen, Zwofünf, -sieben und -neun sowieso, 2003 vielleicht, 2006 und 2010 ganz sicher nicht.

Auch 2006 hatte objektiv schwierige Wetterbedingungen. Auch 2006 erzählten die Winzer viel von strenger Selektion und die Weinkritik startete zunächst teilweise mit recht euphorischen Kommentaren. Am Ende hatten alle diejenigen Recht, die (wie heuer viele für den Zehner) weissagten, es werde auch 2006 Spitzenweine geben aber nur ganz vereinzelt und auch nicht von überwältigender Qualität. Am Wochenende gab es bei mir einen der besten Weine aus dem Jahr (nach landläufiger und auch nach meiner Meinung).

Dönnhoff, Hermannshöhle GG, Riesling QbA, 2006, Nahe. Die Nase ist süß und sauber: Apfel, Aprikose und viel Marzipan, Aloe Vera und Vanille. Am Gaumen ist der Wein dezent fruchtig mit Grapefruit und Mandarine. Das GG ist ziemlich trocken, ziemlich vollmundig und druckvoll, wobei der Alkohol (13%) gut integriert ist. Es wirkt recht animierend, dass der Wein etwas adstringierend ist, dazu extrem mineralisch – ein sehr ernsthafter Wein mit sehr langem Abgang. Guter Speisenbegleiter auch zu kräftigerem Essen. 90 Punkte. Jetzt trinkreif aber es herrscht keine Eile.

Legenden schmecken anders. Und so denke ich mir: Von 2006 lernen, heißt Einkaufen lernen.

Also werde ich 2011 meinen paar Stammwinzern mit Mindestmengen des 2010ers die Treue halten, Magnums vollständig weglassen, die vier Vertikalen vervollständigen, die ich ohnehin sammle und das war‘s. Hoffnung, dass ich signifikant weniger in den Keller bringe als ich wieder heraushole, habe ich kaum, denn es steht ja auch die Präsentation der 2009er Spätburgunder-Gewächse an. Und da zittre ich jetzt schon vor Angst, ich könnte was verpassen…

K(l)eine Geschichten zu Großen Gewächsen

Manchmal gibt es gar nicht so viel zu erzählen zu den Weinen, die ich trinke. Hier sind drei, die ich aber keinesfalls unterschlagen möchte.

Los geht es mit einem Riesling GG aus 2006. Davon habe ich bisher ganz wenige beschrieben, weil die meisten so grottig sind. Hier mal eine Ausnahme, wenngleich man aus dieser Lage von diesem Winzer in anderen Jahren viel besseres kennt.

Keller, Dalsheim Hubacker, Riesling Grosses Gewächs, 2006, Rheinhessen. In der Nase noch hefig und spontan – auch mit einem Tag Luft. Dazu Rhabarber, Aprikose, Kemmsche Kuchen und Aloe Vera, auch eine leichte Sellerie-Note. Im Jahrgangskontext ist das eine ziemlich saubere Nase, wenngleich sie nicht völlig frei ist von den würzigen Noten, die 2006 allgemein ‚auszeichnet‘. Am Gaumen macht der Wein erst am zweiten Tag Spaß. Vorher ist er verschlossen und karg. Dann kommt er mit ordentlicher Frucht (wiederum Rhabarber und Aprikose, auch ein bisschen vom mürben Apfel, der sich durch den Jahrgang zieht) und wenigen Reifenoten. Insgesamt eher frisch und im Abgang mit leicht kalkiger Mineralik. Noch etwas verschlossen aber schon so komplex, dass er sich zu Recht GG nennt. Im Jahrgangskontext mit das Beste, was ich bisher aus Rheinhessen zu trinken bekommen habe. Da das ein zweifelhaftes Lob ist, will ich es präzisieren: 90 Punkte.

In diversen Blogs und Foren kam vor kurzem aus für mich heiterem Himmel eine Diskussion auf, ob die 2007er Riesling GGs kein echtes Alterungspotential hätten. Das hat auch mich aufgeschreckt und so zog ich kurzerhand eines auf.

Wittmann, Westhofen Morstein Riesling GG, 2007, Rheinhessen. Das erste Mal, dass mir bei einem Wittmann Wein eine Spontinase unterkam, am zweiten Tag noch sehr hefig mit Grapefruit, etwas Aloe Vera und Marzipan. Am Gaumen sehr saftig mit Aprikose und mürbem Apfel aber auch leicht alkoholisch (13%) und mit einigen Gerbstoffen. Kompakt und etwas verschlossen. Der Abgang mit kalkiger Mineralik ebenfalls mit Gerbstoffen, die etwas austrocknen. Sehr verschlossen aber mit großartigen Anlagen.

Der Wein war ziemlich genau so, wie man es zu diesem Zeitpunkt erwartet. Hätte ich mir schenken sollen – Blogs und Foren haben auch Nachteile. Ich tauge nur begrenzt zum Orakel aber ich glaube, dass ich genug Morstein im Leben getrunken habe, um eine Prognose zu wagen: In zwei bis drei Jahren werde ich diesem Wein zwischen 93 und 96 Punkte geben.

Viele ‚Erste Gewächse‘ von Nicht-VDP-Erzeugern sind nicht mehr als hübsche halbtrockene Spätlesen – so kann man es fast jedes Jahr von denen lesen, die an den offiziellen Verkostungen teilnehmen. Ich kann es nicht beurteilen, weil ich zu wenige der fraglichen Weine kenne. Heute ist allerdings eines in meinem Glas und einige Attribute stimmen: Halbtrocken – jep, Spätlese – jep, hübsch – untertrieben.

Egert, Hattenheimer Wisselbrunnen, Riesling Erstes Gewächs, 2005, Rheingau. Ein Nasenwein: ich könnte stundenlang dran schnüffeln. Herrlich gereift mit Noten von Erdbeere, Rhabarber, Aprikose, Apfel, Orangenschale, einer Spur Nuss, Kräutern und  vielem mehr. Am Gaumen eine herrlich gereifte, saftige, halbtrockene Spätlese mit leichter Würze aber ohne Alterstöne, dazu Aprikose und Litschi sowie eine verhaltene Mineralik, die im sehr langen Abgang die Oberhand gewinnt. Tief aber trotzdem süffig, auch wenn beim zweiten Glas der Alkohol (13%) spürbar wird. 90 Punkte.

Abbitte

Ich glaube, jeder, der sich intensiv mit Wein auseinandersetzt, hat sie: seine persönlichen ‚überschätzten‘ Winzer. Das sind jene Betriebe, die selten bis nie einen wirklich überzeugenden Wein auf die Flasche bringen aber in den einschlägigen Führern regelmäßig als Deutschlands Spitze bezeichnet werden. Dass das eher eine Inkompatibilität von Winzerstil und persönlichem Geschmack ist, kommt gar nicht in Frage, schließlich hat man einen geschulten Gaumen und schon wirklich viele Weine dieses Betriebes verkostet. Ich erwische mich immer wieder bei diesen Gedanken, habe ich mal wieder was Enttäuschendes von H****, W*** oder L***** im Glas.

Dabei müsste ich es besser wissen, denn als ordentlicher Neoliberaler sollte ich zur Kenntnis nehmen, dass alle diese Betriebe über Jahre hohe Preise durchsetzen, ausverkauft sind und in den besten Restaurants auf den Karten stehen – und der Markt irrt schließlich nicht.  Wenn dann noch ein Winzer auf einmal diverse Weine produziert, die mir gut gefallen, ohne dass besagte Führer einen Stilwechsel des Betriebes verkünden, gehen mir endgültig die Argumente aus; dann hat sich wohl schlicht mein Geschmack verändert.

Nach einigen großartigen Momenten mit Rebholz-Weinen darf ich mich als bekehrten Zweifler outen, wenngleich die Weine im Basis-Segment immer noch keinen Kaufreflex auslösen. Aber die GGs sind teilweise gigantisch. Das erfuhr ich diese Woche wieder einmal am eigenen Leib mit diesem hier.

Ökonomierat Rebholz, Birkweiler Kastanienbusch, Riesling Grosses Gewächs, 2005, Pfalz. In der Nase reif und würzig: mürber Apfel, Minze, Aloe Vera, Estragon und etwas Grapefruit. Am Gaumen ist der Wein ziemlich kantig, die Säure ist vergleichsweise mild aber der Wein ist sehr trocken, kommt mit einigen Gerb- und Bitterstoffen daher und ist vor allem enorm mineralisch. Pfirsich und Grapefruit blitzen auf und setzen einen saftigen Kontrapunkt. Im Abgang ist der Wein sehr trocken, rauchig-mineralisch und lang. 13,5% Alkohol treten nicht störend in Erscheinung. Komplex, druckvoll und sehr strukturiert – ein großer Wein.

Aber L***** ist wirklich überschätzt…

Frommer Wunsch

Über den Winzer habe ich schon geschrieben, was mir zu ihm einfällt. An seinen Weinen erkenne ich regelmäßig meine Grenzen. Ich wünsche mir, irgendwann mal eine Verkostungsnotiz formulieren zu können, die einem Kühn-Wein meiner Meinung nach gerecht wird. Die folgenden Sätze sind öffentliches Üben.

P.J. Kühn, Oestrich Doosberg, Riesling ‚3 Trauben‘, 2005, Rheingau. Vielschichtige Nase, die neben reifem Pfirsich auch Muskat, und einen ganzen Kräuterkorb zeigt, dazu auch unangenehme Noten: Azeton, Alkohol und flüchtige Säure aber stören nur begrenzt und lassen sich wegschwenken. Am Gaumen sehr saftig und auch hier vielschichtig von ganz groß bis ganz grob. Der Alkohol meldet sich mit 13,5% gelegentlich zu Wort, manchmal dominieren Gerbstoffe, dann kommt wieder eine so süße Frucht zum Vorschein, dass man daran zweifeln möchte, es mit einem trockenen Wein zu tun zu haben. Mandarine blitzt auf, Liebstöckel, rauchige Mineralik, kantige Säure. Der Abgang ist zu jeder Zeit sehr lang und angenehm, wenngleich immer auch alkoholisch. Der Wein ist im besten Moment groß und im Schnitt für mich noch um und bei 91 Punkten.