Die Sache mit den Erdbeeren

Es gehört für mich zu den eher schwierigen Momenten des Weinlebens, wenn mir Menschen mit der Behauptung gegenübertreten, sie könnten Lagen blind erschmecken. Ich will nicht abstreiten, dass ich selber schon Zeuge war, wie in geselliger Blindverkostung der eine oder andere Bekannte einen erstaunlichen Volltreffer gelandet hat. Dabei waren die Parameter aber vorab eingegrenzt. Auch mag es bei den großen Crus aus Bordeaux oder der Champagne solche geben, deren Charakteristik so ausgeprägt ist, dass Freaks blind Chateau/Produzent und ungefähren Jahrgang erschmecken. Bei Deutschen Lagen bin ich jedoch sehr skeptisch.

Wie immer, wenn ich es mir in meinem Weinweltbild bequem mache, taucht irgendwo ein Wein – oder in diesem Fall eine Lage – auf, die mein pauschales Urteil Lügen straft. Es geht um den Ürziger Würzgarten, jene Lage an der Mittelmosel, die von Fans liebevoll ‚ÜrzWürz‘ abgekürzt wird. Wer sich im Internet umtut und Informationen einholt über Rieslinge aus dem ÜrzWürz, dem begegnen Erdbeeren (gern auch mit Schlagsahne). Mehr als eine Quelle tut kund, dass Rieslinge aus dem ÜrzWürz erzeugerunabhängig häufig nach Erdbeeren mit Schlagsahne riechen und auch ein bisschen schmecken. Dieser Duft ist ziemlich einmalig und gestattet es, diese Lage in Blindverkostungen zu bestimmen. Ich war immer skeptisch, denn man kann alles in einem Wein erschnüffeln, wenn man gesagt bekommt, dass es darin sei. Und auch ich habe, offen verkostet, schon viele Erdbeeren im ÜrzWürz gefunden.

Am Wochenende hatte ich dann mal wieder eines dieser Erlebnisse. Ein ÜrzWürz aus dem schwierigen Jahr 2006 war im Glas und ich hatte etwas Zeit und Muße, was bedeutet, dass ich mir ein paar Notizen machte. Ich hatte den Wein ohne langes Nachdenken aus dem Hamsterregal gezogen und dachte an alles, nur nicht an die oben geschilderte Lagencharakteristik. Der Wein bot eine komplexe Nase, zu der es reichlich zu notieren gab. Doch da war noch so ein Ton in Nase und Gaumen, den ich besonders fand aber nicht greifen konnte. Er passte nicht in das gängige Raster. Ich musste mir bei meiner besseren Hälfte Rat holen, die nach einem kurzen Schnuppern sofort wusste: ‚der riecht nach Erdbeeren mit Sahne‘.

Rebenhof, Ürziger Würzgarten, Riesling Spätlese trocken, 2006, Mosel. In der Nase Blüten, Aloe Vera und Aprikose – und dieser besondere Ton. Am Gaumen bietet der Riesling gutes Spiel, ist sehr straff mit spürbarer aber nicht zu krasser Säure, Aromen von Dörraprikose und ein Hauch Erdbeere, sehr kräuterwürzig, mineralisch und ziemlich trocken. Im Abgang lang, mineralisch und herrlich saftig, es schwingt über die volle Länge dieses merkwürdige Erdbeeraroma mit. Eine der besten trockenen Mittelmosel-Spätlesen aus dem Problemjahr 2006, auch wenn jahrgangstypisch die Frucht eher dezent kommt und Würze und Mineralik im Vordergrund stehen.

Ich glaube nicht, dass ich den ÜrzWürz blind bestimmen kann, werde aber zukünftig nicht protestieren, wenn es jemand anderes von sich behauptet.

Weinrallye #31 – Faszination Wein

Faszination Wein ist das Thema von Bernhard Fiedlers Aufruf zur Teilnahme an der Weinrallye #31 und dankenswerterweise hat er so frühzeitig und dauerhaft an diese erinnert, dass ich es endlich schaffe, auch einmal teilzunehmen. Die Geschichte, die ich hier erzählen will, versucht gar nicht erst zu erklären, was die Faszination Wein ausmacht. Ich schildere nur Symptome – dafür aber vielleicht solche mit hohem Wiedererkennungswert.

Vor einigen Jahren begleitete mich meine damalige Freundin auf eine Weinreise an die Mosel. Im Zuge diverser Vor-Ort-Verkostungen bei guten Winzern der Region verwandelte sie sich dabei von einer reinen trocken-Liebhaberin mit Hang zu italienischen Leichtweinen (um nicht P… G… zu sagen) zu einer Verfechterin feinherber bis fruchtsüßer Rieslinge. Diese Wandlung war für sie mit solch spürbarer Entdeckerfreude verbunden, dass sie etliche der besuchten Winzer mit ihrer Begeisterung ansteckte. So mancher nahm sich besonders viel Zeit und holte edles aus dem Probenkühlschrank, um meiner Teuersten ein noch fröhlicheres Lächeln auf das Gesicht zu zaubern. Die Faszination Wein kann wohl selbst gestresste Winzer jederzeit überkommen.

Beim Besuch des Weingutes Molitor nahm sich der freundliche Herr Lua aus dem Verkaufsteam nicht nur besonders viel Zeit für uns, er kroch auch immer tiefer in den riesigen Kühlschrank im Probenraum, um angebrochene Pretiosen hervorzuzaubern – wie schön, dass edelsüße Weine wohltemperiert unbeschadet Wochen überdauern. Ganz zum Schluss fand sich eine Zeltinger Sonnenuhr Beerenauslese aus dem Jahr 1994, in der noch ein winziges Schlückchen drin war, zum Teilen zu wenig und daher meiner Liebsten allein vorbehalten. Ihre Begeisterung – pure Faszination Wein – war so spürbar, dass der noch erhältliche Wein als Einzelexemplar im Einkaufskorb landete. Zuhause angekommen erhielt er einen Ehrenplatz im Keller.

Zeit verging und es näherte sich der Tag, als aus der Freundin die Ehefrau wurde. Und es wird keinen überraschen, der der Faszination Wein erlegen ist, dass ich schon Monate vorher den Entschluss gefasst hatte, die Beerenauslese heimlich in die Flitterwochen mitzunehmen. Es würde sich schon eine Gelegenheit finden, den Wein mit der besonderen Vergangenheit zum Anstoßen auf eine besondere Zukunft zu verwenden.

Aus Gründen, die hier zu erläutern den Rahmen sprengte, ging es in den Flitterwochen auch in die Wildnis des zu Alaska gehörenden Kodiak-Archipels. Ein an Safari-Unterkünfte erinnerndes Camp war Ausgangspunkt einer Reihe von Expeditionen und Schauplatz urgemütlicher Abende. Da wir nach Ende der Angel- und vor Beginn der Jagdsaison urlaubten, waren wir die einzigen Gäste. Die Mahlzeiten nahmen wir gemeinsam mit der Betreiberfamilie, und den Angestellten im großen Blockhaus ein. Am letzten Abend gab es ein Menü nach unseren Wünschen und das war die Gelegenheit: krönender Abschluss sollte sie sein: die Sonnenuhr BA. Auch wenn die kleine Flasche dann für mehrere Personen herhalten musste, wollte ich auch andere an der Faszination Wein teilhaben lassen.

Und der Funke sprang über. Der Koch kam aus dem schwärmen nicht mehr heraus. Ein Bär von einem Mann, der nach 20 Jahren in der Navy (die er sichtbar nicht in der Kombüse verbracht hatte) noch einmal das College besucht und ‚Cuisine Arts‘ studiert hatte und den immer noch eine gewisse Aura von Kriegertum umgab, saß da und strahlte mit meiner Frau um die Wette. Dieses Bild, für immer in meiner Erinnerung gespeichert, illustriert wie kaum ein anderes die Faszination Wein.

Markus Molitor is in the house...

Ob er die leere Flasche behalten dürfe, er würde sie gerne in seine Sammlung aufnehmen, bat er. Wir willigten gerne ein, nicht ohne neugierig nachzufragen, was denn seine Sammlung sei. Und da kam die Antwort, die man sich eigentlich hätte denken können: In einem Aufenthaltsraum des Personalgebäudes gab es eine ganze Sammlung leerer Flaschen der seltensten und teuersten Weine der Welt. Denn es ist ein gemeinsamer Nenner der Faszination Wein – mögen die Geschmäcker auch verschieden sein, der eine Etiketten und Prestige, der andere Schnäppchen und Geschmack suchen – für uns Infizierte ist der Unterschied zwischen einem großartigen und dem perfekten Moment nur eine Frage der passenden Weinbegleitung. Und so war ich nicht etwa ein seltener Spinner, der einen edlen Wein in den entlegensten Winkel der Welt schleppt, ich war ein Normalfall.

Markus Molitor, Zeltinger Sonnenuhr, Riesling Beerenauslese, 1994, Mosel. Nase: als wäre mitten in einer Ananas-Mango-Plantage ein Dieseltank leckgeschlagen. Gaumen: So viel Spiel wie selten im Leben. Abgang: Hält bis heute an. Urteil: Das ist sie, die Faszination Wein.

Füllwein (12) – Pinot Edition

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für erwähnenswert befunden habe.

Im März trinke ich in normalen Jahren schon wieder Weisswein. Der ausserordentlich lange Winter führte bei mir zu erheblich mehr Spätburgundernotizen. Daher hier gleich drei Pinots.

Reinhold und Cornelia Schneider, Spätburgunder -C-, 2004, Baden. Der Wein duftet vergleichsweise zurückhaltend nach Himbeere und Leder. Am Gaumen ist er von mittlerer Dichte und entfaltet maßvollen Druck: Kirsche, Erdbeere, etwas Holz und Vanille, gereifte aber präsente Tannine. Der Abgang ist eher kühl (im Sinne von Menthol) und 14% Alkohol voll integriert. Summa summarum ein hervorragender Spätburgunder mit spannender Struktur und einiger Finesse.

Robert Mondavi, Pinot Noir Private Selection, 2004, Central Coast California, USA. Mit dieser leicht schweißig-laktisch-sauerkrautigen Nase geht der Mondavi kinderleicht als Deutscher Spätburgunder durch. Dahinter erahnt man noch ein bisschen Himbeere, aber auch das kommt hierzulande vor. Am Gaumen ist der Wein hervorragend balanciert: saftig, beerig (Erd- und Himbeere), mit spürbarer Säure, gereiftem Tannin, Spuren von Holz und einem insgesamt süffigen Charakter bei voll integrierten 13,5% Alkohol. Langer Abgang, großes Vergnügen.

Ludwig Thanisch & Sohn, Spätburgunder unfiltriert, 2007, Mosel. Als der Wein jung war fand ich ihn schauderhaft, weil dünn, völlig überholzt (obwohl der Wein in überwiegend gebrauchten Barriques ausgebaut wurde) und mit stechender Säure – was für ein Irrtum. In der Nase immer noch recht viel Holz, etwas Erd- und Himbeere, leichte Noten von Leder und Zigarrenkiste. Am Gaumen ist die Säure zurückgetreten und der Wein ist ein bisschen cremig geworden. Er ist mineralisch, von eher schlanker aber nicht dünner Struktur, süffig ohne banal zu sein und am Gaumen überhaupt nicht vom Holz dominiert. Der Abgang ist sehr lang, fruchtig und mineralisch. Nicht so gut wie der 2006er des Gutes aber auf Augenhöhe mit 2004 und 2005.

Füllwein (11)

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für erwähnenswert befunden habe.

Domaine Bourillon-Dorleans, Vouvray Coulée d’Argent, 2008, Vouvray AOC sec (Touraine, Loire, Frankreich). Dieser eher halbtrockene Vertreter eines Chenin Blanc ist ungemein spannend und lässt mich wieder jammern: ich müsste mich ausführlicher mit der Rebsorte auseinandersetzen. Ein oder zwei Flaschen pro Jahr finden ihren Weg zu mir und egal woher sie kommen, meist machen sie neugierig – auf die großen trockenen Südafrikaner genauso wie auf die von der Loire, auf die aus dem Stahltank wie auf die aus dem Holzfass. Allein, es fehlt die Zeit und der Platz im Keller. In der Nase ist der Wein sehr fruchtig mit Quitte und Aprikose sowie etwas Walnuss. Am Gaumen finde ich ihn saftig, körperreich und relativ dick aber nicht marmeladig. Aromen von Melone, Ananas und Bratapfel treffen auf einen Hauch Holz und Vanille (der Wein war zur Hälfte sechs Monate im Barrique). Das Geschmacksbild ist halbtrocken und endet auf einen langen salzig-mineralischen Abgang. Ich könnte mir vorstellen, dass der Wein ziemlich spektakulär reifen kann.

Josef Rosch, Leiwener Klostergarten, Riesling Kabinett (fruchtsüß), 2008, Mosel. Eine klassische Pfirsichnase über der aber ein Hauch Kaugummi schwebt (so richtig derbe künstlich a la Hubba Bubba Erdbeere). Am Gaumen Apfel und Melone, sehr saftig mit richtig kräftiger Säure, gepuffert von viel Süße. Insgesamt ordentliches Spiel und ein langer Abgang mit einer Spur Mineralik. Hier hatte ich schon vom 2006er des gleichen Weines berichtet und im direkten Vergleich hat der Problemjahrgang die Nase vorn. Das könnte sich mit Flaschenreife noch ändern, ich glaube aber eher nicht.

Weingart, Schloss Fürstenberg, Riesling Kabinett, 2007, Mittelrhein. Mit 0,8 Gramm Restzucker setzt dieser Riesling einen Kontrapunkt zu den gelegentlichen fruchtsüßen Kabinetten in meinem Glas. Wer nur an ihm riecht, würde es kaum glauben, denn in der Nase ist der Wein fruchtig und süß. Zum klassischen Pfirsich gesellt sich Blütenduft. Am Gaumen ist er dann allerding furztrocken. Die Säure ist präsent, wird jedoch statt von Restzucker hier von einer durch und durch packenden Mineralik gepuffert. Auch im langen Abgang ist der Wein vor allem mineralisch, wenngleich er ebenfalls ein wenig Frucht zu bieten hat. Ein wirklich großes Vergnügen nicht nur für Freaks oder Puristen.

Stiländerung bei Heymann-Löwenstein?

Neulich erhielt ich einen Anruf vom Weingut Heymann-Löwenstein. Die freundliche Mitarbeiterin des Hauses wollte mir Wein verkaufen. Ich habe schon Weinfreunde mosern hören, dass dies ja Methoden wie beim Zeitschriftenwerben seien und ob das Gut wohl Absatzprobleme habe – ich empfinde das einfach als freundlichen Service. So verpasst man es nicht, limitierte Weine rechtzeitig zu bestellen, etwa in diesem Fall die Jubiläumscuvée ‚R 30‘, die der Winzer anlässlich des 30-jährigen Gutsgeburtstags exklusiv in Magnumflaschen füllt. Ich glaube nicht, dass es lange dauert, bis dieser erfreulich zurückhaltend bepreiste Wein ausverkauft ist. Und so konnte ich meine Bestellung bequem rechtzeitig aufgeben.

Auf eine Subskription der im Herbst erscheinenden Weine verzichtete ich jedoch. Zu viele Flaschen Röttgen und Uhlen aus den letzten Jahren warten in meinem Keller auf die Trinkreife. Dies erklärte ich meiner Gesprächspartnerin und bat sie, mich wieder anzurufen, wenn es ein paar Analysedaten zu den Weinen gäbe, damit ich einige der schlankeren Vertreter auswählen könne. Als ich ihr erklärte, mir seien einige der Weine in den letzten Jahren zu wuchtig geworden, um sie jung zu trinken und ich hätte jetzt einen Überhang an reifebedürftigen Löwenstein-Rieslingen kam von ihr eine Antwort, die ich nicht erwartet hatte: Ja, das sehe der Winzer auch so und deswegen sei man ja gerade dabei, bei einigen Weinen auf einen schlankeren Stil umzuschwenken. Im Zuge dessen, sei man im letzten Herbst auch in einigen Lagen der erste (!) Betrieb gewesen, der die Traubenernte begann. Heymann-Löwenstein als Ernte-Starter. Das hielt ich bis dato für ungefähr so wahrscheinlich, wie einen staufreien Ferienbeginn am Kamener Kreuz.

Nun habe ich keinen Anlass an der Richtigkeit der Aussagen meiner Gesprächspartnerin zu zweifeln. Deswegen kann ich den Herbst kaum abwarten. Es wird spannend sein, welche Weine einen neuen Stil präsentieren und wie der Winzer das in sein Terroir-Bild einpassen wird. Ich persönlich hoffe, dass der Röttgen einer Schlankheitskur unterzogen wird. Der 2007er hat sich jung sehr fett präsentiert und die gestern geöffnete Flasche zeigt höchstens einen Hauch von Entwicklung.

Heymann-Löwenstein, Winningen Röttgen, Riesling erste Lage, 2007, Mosel. In der sehr süßen Nase kandierte Früchte, getrocknete Aprikosen, Grand Manier und Marzipan. Der Wein riecht sehr überreif. Am Gaumen ist der Röttgen ein dicker Brummer. Karamell und Aprikose mit gefühlten 30 Gramm Restzucker werden nicht ausreichend von der sehr reifen Säure abgepuffert. Eine sehr ausdrucksstarke Mineralik hilft zwar ein bisschen, trotzdem trinkt sich der Riesling im Moment wie ein Süßwein mit etwas zu viel Alkohol und etwas zu wenig Spiel. Der lange Abgang ist wahnsinnig mineralisch.

Insgesamt ist mir der Wein im Moment zu süß und zu mastig. Ich habe die Hoffnung, dass er sich irgendwann, wenn die Süße sich mit zunehmender Reife zurückzieht, richtig groß präsentiert. Beim 2004er Uhlen-R war das nach zwei Jahren schon zu erahnen und ist heute der Fall. Bei diesem Röttgen habe ich eher den Eindruck, es könnte noch bis 2015 oder sogar länger dauern. Warten wir es ab.