Das Gesellschaftsspiel

Eine kleine Warnung vorab: Da Eigenlob bekanntlich stinkt, könnte es dem Leser nötig erscheinen sich beim Lesen dieser Zeilen die Nase zuzuhalten.

Ich habe vor ein paar Tagen eine Weinprobe veranstaltet. 12 Flaschen Großes Gewächs und vergleichbares vom Riesling aus dem Jahrgang 2007 schenkte ich zehn Weinfreunden zur Begutachtung ins Glas. Es handelte sich um eine Blindverkostung, das Thema war zwar bekannt, die teilnehmenden Weine jedoch nicht. Solche Proben können viel Spass machen oder auch in langweiliges und übertriebenes Wein-Sezieren abdriften. Dazu sitzen zu solchen Gelegenheiten bei mir Menschen mit unterschiedlichem Erfahrungsschatz beieinander und die Gruppe zerfällt im schlimmsten Fall nach dem zweiten Wein in die Schweiger und die Experten.

Dieses Mal war einiges anders. Ich habe ein Experiment gestartet, dass ich als geglückt betrachte. Da ich im Jahr 2008 einem Anfall von Shopping-Wut erlegen bin, stapeln sich in meinem Keller viele Weine des Jahrgangs 2007. Insgesamt über 50 verschiedene Rieslinge eigneten sich für das Probenfeld. Also fertigte ich eine Liste an und ließ diese jedem Teilnehmer mit der Aufgabe zukommen, er möge sich einen Wein aussuchen, den anderen Teilnehmern gegenüber aber Stillschweigen über seine Wahl walten lassen.

Zum Start der Probe gab ich dann das Motto aus, jeder dürfe nur dann seinen Wein ausposaunen, wenn er der Meinung sei, er habe ihn gerade im Glas. Zusätzlich forderte ich dazu auf – jedoch explizit ohne Zwang – jeder möge sich das bitte im Laufe des Abends trauen. Um selber blind mit probieren zu können, bitte ich meine sehr viel bessere Hälfte immer die Weine in neutrale Flaschen umzufüllen und durchzunummerieren. Dieses Mal manipulierte ich diesen Prozess jedoch so, dass mein eigener Wunschwein an erster Stelle stand. So konnte ich mit gutem Beispiel voran gehen und schon nach dem ersten Wein behaupten, ich glaubte zu erkennen was das ist. Ich habe die Manipulation sofort nach Ende der Probe gestanden.

Der Effekt war prima. Die weniger versierten Weintrinker empfanden das ganze als schönen Spass. Den Profis schien die bevorstehende Aufgabe ein wenig Demut einzuimpfen – wenngleich das ein sehr starkes Wort ist, meine Gäste sind keinesfalls vorlaute Weinschnösel und die Beschreibung der Situation ist bitte mit dem größtmöglichen Wohlwollen zu verstehen. Insgesamt kam ein flüssiges Gespräch in sehr entspannter Runde zustande. Erkannt wurde eigentlich nur ein Wein, der spätere zweitplatzierte von Molitor. Der war allerdings der süßeste im Feld und kam als letzter, was die Sache etwas einfacher machte. Ich konnte noch einen Wein von Leitz erahnen, kannte aber das gesamte Teilnehmerfeld und deren Alkoholwerte (bei dem der Leitz herausstach), weswegen das keine große Kunst war.

Meine Proben-Notizen veröffentliche ich hier nicht. Ich habe verschiedentlich darüber geschrieben, wie wenig geeignet ich mich für die Bewertung von Wein anhand eines Probeschlucks halte. Ein paar generelle Eindrücke will ich aber schildern. Ich habe in den letzten zwei Jahren sehr viele mittelgewichtige Rieslinge aus 2007 getrunken. Regelmäßigen Lesern dürfte das kaum verborgen geblieben sein, ebenso wenig wie die Tatsache, dass ich mit dem Jahrgang ausgesprochen glücklich bin. Die mittlerweile verbreitete Skepsis gegenüber 2007 ist für mich nicht nachzuvollziehen. Diese Probe war für mich die erste größere Inspektion der GGs des Jahres und auch die machen mich richtig glücklich. Eine offensichtlich kaputte Flasche war dabei, eine weitere, die unerklärlich schwach war. Doch alle anderen fand ich mindestens sehr gut. Sogar der zehntplatzierte, mein Wunschwein, gefiel mir noch ausnehmend gut. Die Runde sah das nicht ganz so euphorisch, Einigkeit herrschte aber bei den Gewinnern des Abends. Mit einigem Abstand siegte ein Durbacher Plauelrein GG von Andreas Laible, dann kam der Wein von Molitor, gefolgt von einem Pechstein GG von Buhl. Die weiteren Ergebnisse fallen verschieden aus, sobald man die statistische Auswertungsform verändert. Der Molitor ist vermutlich nicht gesetzlich trocken, insofern kann man darüber streiten, ob er als letzter Wein in einer solchen Probe einen unzulässigen Vorteil hat. Nicht darüber streiten sollte man, dass es ein Klassewein ist. Ich habe mittlerweile eine weitere Flasche davon getrunken – über mehrere Tage in Ruhe. Jetzt kann ich auch was halbwegs sinnvolles dazu schreiben.

Markus Molitor, Niedermenniger Herrenberg Auslese (tr.) **, 2007, Mosel. In der Nase frisch und süß, Aprikose, Aloe Vera, ein bisschen Ananas. Am Gaumen etwas zu süß für trocken (der Wein trägt die Bezeichnung ,trocken‘ nicht offiziell, wird aber als trockene Auslese verkauft), dafür herrlich saftig, frisch, mit milder aber präsenter Säure, leicht cremig aber nicht diffus, sehr mineralisch, fruchtig, tief. Alles drin, alles dran, sehr langer, harmonischer Abgang mit einem kleinen Bitterl, das einem angenehm das Mund im Wasser zusammenlaufen lässt.

Der dümmste Spruch der Weinwelt

Die Weinwelt bietet beinahe grenzenlose Vielfalt, da sind pauschale Aussagen immer gefährlich. Je nach persönlichem Blickwinkel sind sie lustig, albern oder ärgerlich. ,Die besten Bioweine machen die Winzer, wo die Nachbarn mit dem Hubschrauber spritzen‘ (bitte älteren Winzer, schweren Dialekt und braune Kordhose dazu denken) ist ein gutes Beispiel dafür. Als Gelegenheitszyniker finde ich den sehr lustig, wäre ich Bio-Winzer schwölle mir wohl der Kamm.

,Der Wein ist überbewertet‘ ist ein Spruch, der mich eigentlich kalt lässt, da ich es mit dem bewerten von Wein eh nicht so habe und auch selten auf anderer Leute Punkte schiele. Gleichwohl verstehe ich auch bei dieser Aussage, dass sie manchem gehörig die Laune vermiest.

Mein persönlich meist gehasster Spruch ist vermutlich dieser hier: ,Ich trinke keinen Rotwein, durch den ich durchgucken kann!‘ – was natürlich mit meiner bedingungslosen Liebe zu Deutschem Spätburgunder zusammen hängt.

Dieser an sich schon alberne Spruch – schließlich trinke ich den Wein nicht der Farbe, sondern des Geschmacks wegen – ist besonders ärgerlich, weil er nicht wenige Winzer dazu verleitet ihre Spätburgunder zu vermasseln. Denn auch wenn es keiner zugibt, so mancher Winzer schielt schon auf die Dunkelweintrinker, wenn er seinen Spätburgunder in einer Art und Weise aufmotzt, die diesen gerecht wird, dem Wein aber nicht.

Zum Einen schütten etliche Winzer fünf bis fünfzehn Prozent Dorn- oder Dunkelfelder in ihren Spätburgunder. Zugeben tut das niemand, die Dunkel(sic!)ziffer ist aber nicht zu verachten. Ich leide an einer Dornfelderallergie, meine diesen Kniff meist rauszuschmecken, bin aber bereit zuzugeben, dass ich auch schon leichte, süffige Spätburgunder in der Zehn-Euro-Liga getrunken habe, denen der Schuss Fremdwein ganz gut zu Gesicht stand. Und dann sind da die Winzer, die ihre Weine zu Tode mazerieren. ,Trockeneis und eine Woche in die Ecke stellen‘ kommentierte Dirk Würtz lapidar, als wir neulich beim Vorglühen zum Vinocamp an ein solches Exemplar gerieten. Seiner Aussage, das gäbe eine schöne Farbe, kille aber die Herkunft, mag ich nicht widersprechen.

Ich bekenne also: Ich liebe Rotweine, durch die ich durchgucken kann. Gerade jetzt im Sommer, abends beim Grillen, leicht gekühlt aber nicht kalt. Zwei Exemplare trinke ich derzeit regelmäßig. Einer enthält ein Prozent Dornfelder, aber nur zwecks Gefahrenabwehr. Als der Winzer seine Fässer befüllte, reichte die Menge nicht aus um das letzte Fass randvoll zu machen. Um Oxidation zu vermeiden sollte man das aber. Normalerweise geht man ins Lager, holt ein paar Flaschen vom letzen Jahr, entkorkt die und füllt das Fass auf. Da aber alles ausverkauft war, mussten ein paar Liter Dornfelder herhalten. Die weniger als ein Prozent Zugabe schmecke aber nicht einmal ich als ,Allergiker‘ heraus und blickdicht ist er auch nicht geworden.

Thanisch (Ludwig Thanisch&Sohn), Spätburgunder ,unfiltriert‘ im Holzfass gereift, 2009, Mosel. In der Nase Vanille, Zimt, Sauerkirsche und Pflaumenkompott. Am Gaumen milde Säure, eher cremig, Pflaume, Holz und Rauch, etwas Mineralik, die Frucht ist süß, der Wein eher schlank. 13% Alkohol sind eher unauffällig, der Abgang sehr lang. Für die Anlass-Trinker: Ein sommerlicher Spaßwein.

Steinemtz_Spaetburgunder_Spaetlese_2007Erstaunlich haltbar sind diese einfachen Weine obendrein. Von dem hier hatte ich eine Kiste im Keller verbaselt. Jetzt ist sie wieder aufgetaucht und das keineswegs zu spät.

Günther Steinmetz, Mülheimer Sonnenlay Spätburgunder Spätlese, 2007, Mosel. In der Nase Sauerkirsche, Himbeere, Kräuter und dezent Vanille; am Gaumen mittleres Volumen, ordentliche Säure, die dem Wein Frische verleiht, sehr feines Tannin, Fruchtaromen von Kirsche und Himbeere jedoch nicht süß, etwas Holz. 12,5% Alkohol sind durchaus präsent, dazu ist der Wein ein bisschen mineralisch, sehr langer Abgang. Keinesfalls ein einfacher Wein aber einfach süffig.

P.S. Die Diskussion über ähnlich alberne Sprüche fand dann bei Facebook statt; https://www.facebook.com/groups/hauptsachewein/permalink/478058608946983/?comment_id=478059308946913&offset=100&total_comments=128

Süße Probe

Ich war zu einer Weinprobe eingeladen – einer besonderen Weinprobe. Martin aus Berlin veranstaltet regelmäßig epische Weinschlachten mit über 30 zueinander passenden Weinen. Die bekanntesten sind sein Berlin Riesling Cup der Grossen Gewächse und sein Berlin Gutsriesling Cup. Dieses Jahr gab es erstmals einen Berlin Kabinett Cup, der den feinherben und fruchtsüßen Leichtweinen gewidmet war, die ein bisschen PR dringend nötig haben, werden sie in ihrem Heimatland doch immer noch belächelt, obwohl sie ein seltenes Alleinstellungsmerkmal der hiesigen Weinkultur sind.

Ein gutes Dutzend Teilnehmer fanden sich zur Blindprobe ein, darunter überwiegend Profis vom Weinhändler bis zum Chefredakteur der Vinum. Das nötigte mir Respekt ab. Mit lauten Kommentaren hielt ich mich in dieser Runde zurück. Da ich zwischen zwei Teilnehmern aus der ebenfalls vertretenen Enthusiastenfraktion saß, hatte ich aber angenehme Tischgespräche und regen Austausch zum jeweiligen Glasinhalt.

Ich habe schon vielfach geschrieben, dass ich Proben für sehr eingeschränkt aussagekräftig halte. Fünf Minuten mit fünf Zentilitern sind bestenfalls eine Momentaufnahme. Deswegen veröffentliche ich auf meinem Blog auch keine Probenberichte. Dazu verkleben 33 restsüße Weine den Gaumen derart, dass die gleiche Probe zwei Tage später mit umgekehrter Reihenfolge vermutlich andere Ergebnisse hervorbringt. Die vielfach geäußerte Meinung, solche Wettstreite hätten keinerlei Aussagekraft mag ich aber nicht teilen. Es gibt Weine, da wird es still im Raum. Da wissen alle, das ist Klassestoff im Glas. Die würden auch bei einer Wiederholung strahlen. Diese Weine gewinnen zu Recht. Sie mögen in drei Monaten oder zwei Jahren zehn Plätze weiter hinten liegen – aber nicht, weil sie schlechter geworden sind, sondern weil andere Weine sie überholt haben. Denn es gibt auch Weine, die ich unruhig und unsauber fand, nur um nach dem Aufdecken zu wissen, dass nicht der Wein, sondern der Verkoster (ich) schwach war. Molitor hatte Fassproben zur Verfügung gestellt, die ich großteils schwierig fand. Nun kenne ich alle Molitorkabinette der letzten 8 Jahre und weiß, da kommt noch was. Und mit dem Wissen um die Herkunft, konnte ich mir sogar vorstellen, was da noch kommt. Nach dem Aufdecken dürfen aber die Bewertungen nicht mehr verändert werden. Dass Herr Molitor bei dieser Probe nicht besser abgeschnitten hat, ist meine Schuld.

Ich würde das Ergebnis der Verkostung so zusammenfassen: was dort gewonnen hat, war Spitzenwein, den zu besorgen sich lohnt. Was verloren hat, muss noch lange nicht schlecht sein. Wenn man diese Gebrauchsanweisung befolgt, sind Juryverkostungen ein sinnvolles Instrument der Sortimentsplanung für den eigenen Keller. Lustiges aus der Kategorie ,Blindproben machen demütig‘ gab es auch. Da war dieser Wein, der so herrlich strahlte und dessen noch bessere Bewertung vielleicht daran scheiterte, dass einer der Anwesenden laut die Meinung äußerte, dieser Wein sei auf frühe Fröhlichkeit getrimmt und in zwei Jahren spätestens am Ende. Nach dem Aufdecken stellte sich heraus, es war ein Scharzhofberger Kabinett von Egon Müller, dem Produzenten, der gar nichts trimmt und dessen Weine zu den langlebigsten der Weißweinwelt zählen. Oder die Diskussion um einen Petrolton, den jemand ins Reich der Unmöglichkeit verwies, weil so junge Weine keinen Petrolton haben könnten. Aufgedeckt wurde ein J.J. Prüm, der einzige 2009er im Feld. Es gab auch Momente, bei denen einige ihr Können aufblitzen ließen, blind den Schäfer-Fröhlich aus 33 Weinen erkannten oder treffend das Anbaugebiet bestimmten. Das wichtigste aber: es war kein Wettstreit der Verkoster, es ging nur um den Wein.

Als ich nach der Probe daheim ankam, stellte ich fest, dass meine Frau während meiner Abwesenheit etwas höchst vergnügliches getan hatte: einen fruchtsüßen Kabinett getrunken. Es war der Ockfener Bockstein 2011 vom St. Urbanshof, dessen 2012er Variante zu den Gewinnern des Abends gehört hatte. Sie hatte mir noch etwas übrig gelassen. Am nächsten Tag gönnte ich mir ein Glas davon.

St. Urbanshof, Ockfener Bockstein Riesling Kabinett, 2011, Mosel. In der Nase sehr sauber, blumig, mit Aloe Vera und Aprikose. Am Gaumen Melone, Pfirsich und Maracuja, dazu auch eine Spröde etwas gerbstoffige Note. Das Spiel ist nicht so faszinierend wie beim 2012er. Der Wein hat vermutlich weniger Säure. Er ist aber auch nich pappsüß, sondern zeigt schon, wohin die Reise geht: in wenigen Jahren ist das ein formidabler Essensbegleiter mit geschmacklich dezenter Restsüße, feiner Frucht und unerhörter Leichtigkeit.

Anders als für einige meiner Mitstreiter bei der Probe, sind Restsüße Kabinette für mich keine Weine für 30 Grad im Schatten, sondern der schnellste Weg zum perfekten Essensgebleiter. Wo ich bei der fruchtsüßen Spätlese zehn und mehr Jahre warten muss, bis sie diesen tollen Mix aus Würze, Frucht und Spiel bei nur dezenter Süße bringt, der sie so einzigartig macht, kriege ich das beim Kabinett schon nach der Hälfte der Zeit (und erfreulicherweise auch zum halben Preis).

Bleiben die zentralen Botschaften: ,Kauft mehr Kabinett‘ und ,Danke für die Einladung‘…

Wein von den Hängen des Hades

Ich erhalte regelmäßig E-Mails, in denen irgendjemand findet, sein Produkt, sein Shop oder seine Website sei genau das richtige für meine Zielgruppe und ich sollte doch unbedingt darüber im Schnutentunker schreiben.  Ich finde diese Art der Akquisition legitim, handelt es sich doch bei den beworbenen Themen um Weinthemen und mein Blog handelt von Wein. Was nicht passt wird ignoriert, also fast alles.

Vor einigen Wochen erhielt ich eine solche Mail von der Firma Winemeister. Die publiziert einen Supermarktweinführer als Smartphone-App, also eine Art digitaler ,Super Schoppen Shopper‘. Dieses Produkt passt nicht zu meinem Blog, trotzdem entschied ich mich darüber zu schreiben, denn bei Winemeister handelt es sich um ein Startup aus Berlin Mitte. Da ich selber bei einem Startup in Berlin Mitte arbeite, war ich neugierig, wer wohl hinter diesem steckt. Ich schrieb zurück: ,Ich berichte gerne über Winemeister, wenn ihr mir was über die Menschen dahinter erzählt‘. Dieser Artikel ist also meiner Neugier geschuldet und keine bezahlte Redaktion, verdeckte PR oder sonstiges (wenngleich Eike die Pizza bezahlt hat).

Denn auf eine Pizza traf ich mich schließlich mit Jan Eike Thole, 25 Jahre alt und Gründer von Winemeister. Zwei Mitstreiter hat er gewonnen: seinen Bruder Henning, der für die Technik verantwortlich zeichnet, sowie Jan Konetzki, für Weinbewertung zuständig und im Hauptberuf Sommelier im Restaurant ,Gordon Ramsey‘ in London. Eike ist kein Weinexperte. Nach dem Jurastudium bedrohte das Leben ihn mit dem Anwaltsberuf und so suchte er fieberhaft nach einem Ausweg. Diverse digitale Ideen hatte er schon hin und her gewälzt als er eines Tages bei Rewe in Mitte stand und eine Flasche Wein zum Abend suchte. Er war überfordert und er stellte fest, dass keine der vielen Apps auf seinem Smartphone ihn in dieser Situation zu unterstützen vermochte. Er kaufte sich ein Buch, Cordula Eichs ,Super Schoppen Shopper‘. ,Da las ich dann über den Sekt Auerbach Halbtrocken den „kann Lothar Matthäus auf seiner nächsten Hochzeit ausschenken, der arme…“. Das kann man lustig finden, ich wollte aber etwas über Wein lernen‘ schildert Eike seine für ihn unbefriedigende Erfahrung mit dem Führer.

So entwickelte er die Idee für die Winemeister App. Ein Sommelier testet und bewertet die Supermarktweine der Republik. Die Weine werden nach Anlass, Geschmack oder Preis sortiert. In die App integriert bietet die Video-Weinschule einen Start in die Welt echten Weingenusses und dazu kann der Nutzer direktes Feedback in Form von eigenen Bewertungen einstellen. Den Weg zum nächsten Händler bietet die App dank GPS und Maps-Integration gleich mit. Zwei Haken hat die Sache noch. Da ist der Anspruch des Sommeliers: Der arbeitet in einem Drei-Sterne-Restaurant. Die besten Weine der deutschen LEH-Landschaft entlocken ihm gerade mal eine Bewertung von dreieinhalb Gläsern auf einer Skala von Null bis Fünf. Dem Weinfreak mag das einleuchten, der Normalnutzer wundert sich. Das Umschwenken auf eine Preis-Leistungs-Skala, die höhere Bewertungen zulässt, hat das Team diskutiert aber verworfen. Und dann ist da noch die Sache mit dem Geschäftsmodell. Woran soll das Team mit einer kostenlosen App verdienen? Bisher bietet die Winemeister App einen integrierten Weinshop. Da finden sich Weine, die richtig Spaß machen. Dass beim Nutzer der Eindruck entstehen könnte, die Supermarktweine werden absichtlich ab- um das Shopsortiment aufzuwerten, bestätigt Eike freimütig. Der wahre Grund sei jedoch, dass man sich aus dem Sortiment eines Großhändlers durch Verkostungen einfach richtig guten Stoff ins Angebot geholt habe.

Auf ein Glas Wein mit Gründer Eike
Auf ein Glas Wein mit Gründer Eike

Die App erschien am 12. Januar und hat schnell 10.000 Downloads erzielt. Ein erstes Update erscheint Ende des Monats. 500 Bewertungen von Weinen aus dem Sortiment von Aldi, Rewe, Kaufland und dergleichen bot die App zum Start, mittlerweile sind es 650. Jedes zweite Wochenende fliegt Jan aus London ein und probiert sich durch das, was Eike eingekauft hat, denn alle Weine werden gekauft, wirtschaftliche Verflechtungen mit dem Handel bestehen nicht. Ziel ist es irgendwann alles probiert zu haben, was die deutschen Supermärkte bereit halten. Auch die Expansion nach England ist in Arbeit. Das Team von Winemeister finanziert sich den Traum von der eigenen Firma noch ohne externes Kapital. Das schafft kurze Entscheidungswege.

Ich gehöre nicht zur Zielgruppe der App, weswegen ich mich mit Prognosen zum Erfolg des Unterfangens zurückhalte. Den Bruch im Geschäftsmodell halte ich für ein Problem, doch im Gespräch deutet Gründer Eike an, dass das letzte Wort bezüglich möglicher Umsatzströme noch nicht gesprochen ist. Einen Beitrag zur Hebung der Weinkultur vermag ich zu erkennen. Nicht zuletzt aufgrund der Weine im Sortiment des Shops. Dieser hier gehört dazu (nicht gesponsert, sondern meinem eigenen Keller entnommen):

St. Urbanshof, Wiltinger Alte Reben, Riesling Kabinett feinherb, 2011, Mosel. In der Nase ist der Wein sehr blumig, dazu Eisbonbon und Banane – angenehm. Am Gaumen ist er trotz noch extrem viel Kohlensäure leicht dropsig. Mit drei Tagen Luft bessert sich das Bild: Pistazie, Mandarine, sehr schönes Spiel, angenehme Süße, leichter Gerbstoff im langen Abgang und unauffällige 10,5% Alkohol ergeben einen sehr feinen, wenngleich viel zu jung getrunkenen Moselriesling.

Die Winemeister App bei iTunes

Und bei Google play

Gute Vorsätze (1)

Ich hoffe, alle, die diese Zeilen lesen, sind wunderbar ins neue Jahr gerutscht. Meine besten Wünsche allen Lesern und von Google irrtümlich hierher verwiesenen. Ich habe in letzter Zeit einige Jahresrückblicke gelesen und kann meinen ganz kurz fassen: schön war‘s.

Ich habe 2012 vor allem meine etwas zu großen Vorräte an Mittelklasse-Rieslingen aus dem Jahr 2007 vernichtet. Das hat erstaunlich viel Spaß gemacht. Ein typischer Vertreter dessen, was mein Glas in 2012 gefüllt hat, ist beispielsweise dieser hier.

Leitz, Rüdesheimer Bischofsberg Riesling Spätlese trocken 2007, Rheingau. In der Nase voll, dick und süß; reifer Pfirsich, etwas Aloe Vera – ein ziemlich üppiger Riesling halt. Im Mund grüßt die prägende Säure und etwas Kohlensäure. Der Riesling wirkt auch am Gaumen ziemlich dick und erstaunlich gereift (für einen Wein unter Schraubverschluss). Ein leicht cremiges Mundgefühl steht in Kontrast zur kalkigen Mineralik, die fast an Tannin erinnert. Das ist ein satter, fruchtiger Wein, der im Abgang etwas austrocknend wirkt, was einen schönen Gegensatz ergibt. Der Alkohol ist präsent, obwohl es nur 12,5 % sind. Sehr langer Abgang, sehr schöner Wein.

Für 2012 hatte ich keine guten Vorsätze gefasst, vor allem, weil mein Leben Anfang letzten Jahres gerade sehr im Fluss, der Weg mithin das Ziel war. Für 2013 hab ich mir aber viel vorgenommen. Zu viel, um es in einen Artikel zu quetschen. Der Januar ist ja noch lang.

Ein Vorsatz lautet, auf jeden Fall wieder zum Vinocamp nach Geisenheim zu fahren. Da werde ich dann eine Session initiieren zum Thema ,neid- und vorbehaltloses Verlinken unter Weinbloggern‘. Das mag für Nicht-Blogger jetzt langweilig klingen, aber eigentlich geht es um genau sie, die Leser, also lesen Sie ruhig noch ein bisschen weiter, selbst wenn Sie nicht bloggen und das Vinocamp Ihnen Schnuppe ist.

Ich gebe mir zwar Mühe, meine Leser zu unterhalten, jedoch vernachlässige ich sträflich, ihnen die gelungene Unterhaltung neuer und alter Kollegen nahe zu bringen. Dabei bin ich kein Einzelfall. Ein anderer Teilnehmer sagte beim letzten VinoCamp sinngemäß, dass wir Weinblogger ein fürchterlich misstrauisches Volk seien. Neuankömmlinge würden erstmal argwöhnisch beäugt, an eigenen Maßstäben gemessen und nur zurückhaltend eingemeindet. Recht hat er. Dabei sollte jeder neue Blogger eine, ich gestatte mir die direkte Sprache, willkommene Sau sein, die jeder alte für ein paar Stunden durchs digitale Dorf treibt. Die ersten Tausend Leser sollten die Morgengabe der Altvorderen sein. Das motiviert zum Weitermachen und wenn die Qualität nicht stimmt, dann ist das Blog eh schnell Geschichte.

Vorgestern bin ich über so einen Neublogger gestolpert. Max schreibt unter dem Titel ,Gustumas/Sinneswelten‘ über das Verkosten. Interessante Fakten mischt er mit fundierter Meinung. Das sollten Sie sich mal anschauen. Leider hat er keine Kommentarfunktion, denn auf seine gut begründete These, dass Verkostungsnotizen, die vorwiegend aus Aromen bestünden, sinnlos seien, hätte ich ihm gerne einen protestierenden Kommentar hinterlassen. Dann also hier (ohne dass ich das von ihm gesetzte Thema klauen will). Aber bevor Sie weiterlesen gehen Sie erst mal hier hin und lesen Sie, worauf ich mich überhaupt beziehe (Husch Husch, zu Tausenden bitte).

Neues Blog zum Thema SensorikIch halte Weinbeschreibungen mit Aneinanderreihungen von exotischen Aromen auch für Zeitverschwendung, doch gerade der Riesling ist zum Beispiel ein Wein, den man gut über ein paar Schlüssel-Aromen klassifizieren kann. Es gibt die molligen, siehe oben, die haben immer was von reifem Pfirsich und Dörraprikose, gern gepaart mit Malz, es gibt die strengeren, die oft duftig daher kommen, zum Beispiel dieser hier:

Jos. Rosch, Selection J.R., Riesling Spätlese trocken, 2007, Mosel. In der Nase leicht kräutrig, dazu Pistazie, Aloe Vera, verhalten fruchtig mit Aprikose, leicht blumig. Die obendrein mit einem kleinen Spontistinker aufwartende Nase empfinde ich zwar als typisch für einen Riesling aber eher auf der kargen Seite. Am Gaumen ist der Wein von mittlerem Volumen aber großer Intensität mit deutlicher Säure, ziemlich wenig Restzucker und viel Mineralik. Dabei glänzt der Selection J.R. mit unaufdringlichen 12,5% Alkohol und einem sehr langen Nachhall. Ich finde wiederum Pistazie, etwas Birne aber insgesamt wenig Frucht. Ein leicht cremiges Mundgefühl passt – sonst wäre mir das Spektakel am Gaumen zu fruchtlos. So ist es ein Wein von enormer mineralischer Dichte, den auch trinken kann, wer‘s nicht so mit den kratzigen Rieslingen hat. Für Liebhaber letzterer ist er jedoch großes Kino.

Es gibt auch noch ein oder zwei andere Typen trockenen Rieslings. Pistazie, Aloe Vera, Dörraprikose, blumig (meinetwegen auch Blüten oder Blumenwiese), reifer Pfirsich, Kemm‘sche Kuchen und zwei oder drei weitere reichen als Aromen vollkommen aus, um mir eine Ahnung zu verschaffen, ob ein Riesling vom Typ her eher auf den Punkt gelesen ist oder im April des übernächsten Jahres geerntet á la Molitor und Löwenstein, ob er vollreif oder strahlend ist oder wie immer man die Typisierung betreiben will. Deswegen freue ich mich über Aromen in Weinbeschreibungen. Dazu habe ich gelernt, dass Banane ein Jungweinaroma ist, Vorhandensein oder Abwesenheit sagt bei deutschen Weißweinen einiges über den Entwicklungsstand, Haselnuss und Vanille vermitteln einen Eindruck von der Wirkung eines möglichen Holzfassausbaus aus und und und. Max‘ Grundbedenken, dass ob unterschiedlicher Empfindlichkeiten Aromenbeschreibungen eingeschränkt aussagekräftig sind, ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen.

Nachdem ich im vergangenen Jahr endgültig den Punkten abgeschworen habe, werde ich 2013 also versuchen, die Aromen in den Griff zu kriegen. Ab 2017 bin ich dann perfekt und nehme Eintritt von denjenigen, die mir beim Weintrinken zusehen wollen. Max bekommt Rabatt – aber nur, wenn er dann noch bloggt.