Deutschlands viertes Forum

Heute ist ein neues Weinforum für den deutschsprachigen Raum an den Start gegangen. Es heißt schlicht ‚Das Weinforum‘ und ist eine Ausgründung unzufriedener Vielschreiber-Mitglieder und Moderatoren von Deutschlands größtem Weinforum talk-about-wine. Zumindest sind es lauter sogenannte ‚Senioren‘ letztgenannten Forums, die im neuen für Inhalte und Leben sorgen. Eine modernere Software, Einbindung von Blogs und anderer Social-Media-Plattformen und eine etwas breitere Betreiberbasis sind die weiteren Unterschiede zu existierenden Foren. Ich wünsche den Betreibern viel Spaß und Erfolg.

Es passt ganz gut zum Anlass, dass ich die letzten Tage einen Wein im Glas hatte, dem man auch einen gewissen Seniorenstatus zubilligen kann:

Knipser, (Dirmsteiner Mandelpfad) ‚Himmelsrech‘, Riesling Großes Gewächs, 2005, Pfalz. In der Nase zeigt sich am ersten Tag etwas Petrol, was jedoch nach einiger Zeit verfliegt. Es bleibt dann der Eindruck eines klassisch gereiften GGs: ziemlich dick, würzig und würdig gereift mit Aprikose, Apfel, Kräuterbeet, Walnuss und einem Hauch Karamell. Am Gaumen ist der Wein ziemlich trocken, wiederum würzig, sehr kalkig-mineralisch, mit Zitrus- und Apfelaromen und reifer Säure. Mit 12,5% Alkohol bewegt er sich in meinem persönlichen Zielkorridor, dabei entwickelt er ähnlichen Druck wie die etwas hochprozentigere Konkurrenz, die ich in den letzten Monaten im Glas hatte. Der Abgang ist sehr lang, mineralisch und ein wenig austrocknend.

Die Entdeckung der Langsamkeit

Das Weingut Koehler-Ruprecht zeigt in vielerlei Hinsicht zwei Gesichter. Zum einen produziert es mit der Kallstadter Saumagen Auslese trocken ‚R‘ einen Wein, der gesucht und rar ist wie sonst nur Kellers G-Max, zum anderen sind die anderen Rieslinge des Hauses in der allgemeinen Wahrnehmung eher durchschnittlich. Markentechnisch fährt man zweigleisig: ‚normale‘ Weine segeln unter der Koehler-Ruprecht-Fahne und Barrique-Weine unter dem Label ‚Philippi‘. Bei letzterem werden die Weine mit einem oder auch mehreren R’s benamt, wenn sie besonders gut sind und besonders lange im Fass lagen. Das Weingut wird in Medien als Deutscher Pionier des Holzeinsatzes gefeiert, und in Internet-Weinforen artikulieren einzelne Kunden Zweifel an der Fasshygiene des Hauses. Ich kenne nicht genügend Weine des Gutes, um eine fundierte Meinung dazu zu entwickeln, finde aber, dass das eine bemerkenswerte Spanne von Lob und Tadel ist.

Eindeutig positiv zu bewerten ist in meinen Augen die Politik des Hauses, Weine solange reifen zu lassen, bis sie fertig sind. In der Hinsicht ist Kallstadt das Lynchburg des deutschen Weinbaus. Wer keinen Keller für die Lagerung hat, aber mal einen gereiften Spätburgunder oder Chardonnay trinken will, kann hier Weine ab Gut erwerben, die teilweise sieben Jahre gelagert sind – nicht, weil sie keiner kaufen wollte, sondern weil das Gut sie erst nach dieser Zeit zum Verkauf freigegeben hat. So wie dieser Wein, der (wenn ich es richtig erinnere) erst 2007 in den Handel kam.

Koehler-Ruprecht, Philippi Chardonnay ‚R‘, 1999, Deutscher Tafelwein Rhein (Pfalz). In der Nase erstaunlich frisch aber auch zurückhaltend. Chardonnay mit nicht zu intensivem Holzeinsatz ist die erste Assoziation, ohne dass einzelne Aromen besonders hervorträten. Am Gaumen setzt sich die Täuschung fort: 2007 hätte ich wohl in einer Blindprobe getippt. Der Wein ist nicht sehr fett und nicht sehr holzlastig. Stattdessen treten Säure und Mineralik in den Vordergrund. Das sonst so akzentuierte buttrige Aroma, die Haselnuss, das cremige Mundgefühl – alles Fehlanzeige. Man ist aber nie versucht, auf etwas anderes als Chardonnay zu tippen. Alkoholische Wärme fehlt ebenfalls, der Wein hat mit 13,5% Alkohol auch ein Prozent weniger als die meisten Vertreter dieser Kategorie. Der erste Wein, der sich mir vor allem darüber definiert, was er alles nicht ist – irgendwie surreal. Es ist in jedem Fall der mineralischste Chardonnay, den ich bisher getrunken habe.

Als Essensbegleiter zu Huhn mit Erdnusssoße macht der Wein eine exzellente Figur. Solo danach weitergenossen entwickelt sich ein schöner Trinkfluss. Das ist eine wundervolle Erfahrung um und bei 90 Punkten und ein Erkenntnisgewinn.

Füllwein (18)

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für erwähnenswert befunden habe.

Dr. Bürklin-Wolf, Deidesheimer Langenmorgen ‚PC‘, Riesling QbA trocken, 2007, Pfalz. Ich habe schon lange keine ambitionierte Spätlese eines VDP Weingutes mehr getrunken, fiel mir auf, als ich den Korken aus dieser Flasche zog. Um es auf den Punkt zu bringen: mit 13,5% Alkohol ist dieser Wein nicht weniger wuchtig, als die meisten GGs aus 2007, die ich bisher getrunken habe. Aber er ist trotzdem sehr elegant. In der Nase erscheint er noch recht verschlossen mit viel Hefe und viel Zitrus, dazu etwas Aloe Vera und eine dezent süßliche Note. Am Gaumen ist er sehr balanciert: saftig mit mittlerem Druck, erscheint sehr trocken, was auch an dezenten Gerbstoffen liegen mag. Aromen von Aprikose und Apfel dominieren die Frucht, der Abgang ist sehr mineralisch – irgendwie gleichzeitig pfälzisch-barock und doch verspielt. Hat was Magisches.

Bernhard Huber, Malterdinger Spätburgunder QbA, 2004, Baden. In der Nase gekochte Beeren, Sellerie, einige grüne Noten, etwas Rauch. Am Gaumen ist der Wein sehr fruchtig, mit gekochter Erdbeere, Kirsche und Himbeere. Er glänzt dazu mit rescher Säure und sehr dezenten Holzaromen (der Wein ist in zweit- und drittbelegten Barriques ausgebaut). Es stellt sich eine schöne Balance zwischen Süffigkeit und Komplexität ein. 13,5% Alkohol stören nicht weiter, solange der Wein nicht warm wird. Überhaupt ist dieser Spätburgunder von der Sorte, die unheimlich in die Breite gehen, wenn sie Zimmertemperatur erreichen – dann wird’s brandig und marmeladig. Kleine Portionen zügig zu vertilgen, ist eine wunderbare Alternative bei diesem gelungenen Wein.

Günther Steinmetz, Brauneberger Juffer *, Riesling Auslese feinherb, 2003, Mosel. Ich sei kein großer Fan der Rieslinge dieses exzellenten Rotweinproduzenten, schrieb ich vor geraumer Zeit. Das ist ein pauschales Urteil, zu dem es Ausnahmen gibt. Ausgerechnet im Problemjahr 2003 ist Stefan Steinmetz ein hervorragender Riesling der etwas schwereren Kategorie gelungen. In der Nase immer noch mit Spontan-Noten aber auch mit Mango und Aloe Vera, kommt der Riesling am Gaumen relativ süß daher. Trotzdem zeigt er viel Spiel. Zu Aromen von Karamell, Kemmschen Kuchen und Ananas gesellt sich eine rauchige Mineralik. Im sehr langen Abgang spürt man etwas die 11,5% Alkohol.

Abbitte

Ich glaube, jeder, der sich intensiv mit Wein auseinandersetzt, hat sie: seine persönlichen ‚überschätzten‘ Winzer. Das sind jene Betriebe, die selten bis nie einen wirklich überzeugenden Wein auf die Flasche bringen aber in den einschlägigen Führern regelmäßig als Deutschlands Spitze bezeichnet werden. Dass das eher eine Inkompatibilität von Winzerstil und persönlichem Geschmack ist, kommt gar nicht in Frage, schließlich hat man einen geschulten Gaumen und schon wirklich viele Weine dieses Betriebes verkostet. Ich erwische mich immer wieder bei diesen Gedanken, habe ich mal wieder was Enttäuschendes von H****, W*** oder L***** im Glas.

Dabei müsste ich es besser wissen, denn als ordentlicher Neoliberaler sollte ich zur Kenntnis nehmen, dass alle diese Betriebe über Jahre hohe Preise durchsetzen, ausverkauft sind und in den besten Restaurants auf den Karten stehen – und der Markt irrt schließlich nicht.  Wenn dann noch ein Winzer auf einmal diverse Weine produziert, die mir gut gefallen, ohne dass besagte Führer einen Stilwechsel des Betriebes verkünden, gehen mir endgültig die Argumente aus; dann hat sich wohl schlicht mein Geschmack verändert.

Nach einigen großartigen Momenten mit Rebholz-Weinen darf ich mich als bekehrten Zweifler outen, wenngleich die Weine im Basis-Segment immer noch keinen Kaufreflex auslösen. Aber die GGs sind teilweise gigantisch. Das erfuhr ich diese Woche wieder einmal am eigenen Leib mit diesem hier.

Ökonomierat Rebholz, Birkweiler Kastanienbusch, Riesling Grosses Gewächs, 2005, Pfalz. In der Nase reif und würzig: mürber Apfel, Minze, Aloe Vera, Estragon und etwas Grapefruit. Am Gaumen ist der Wein ziemlich kantig, die Säure ist vergleichsweise mild aber der Wein ist sehr trocken, kommt mit einigen Gerb- und Bitterstoffen daher und ist vor allem enorm mineralisch. Pfirsich und Grapefruit blitzen auf und setzen einen saftigen Kontrapunkt. Im Abgang ist der Wein sehr trocken, rauchig-mineralisch und lang. 13,5% Alkohol treten nicht störend in Erscheinung. Komplex, druckvoll und sehr strukturiert – ein großer Wein.

Aber L***** ist wirklich überschätzt…

Mein erster Pinot Noir

‚Ohje, Opa erzählt vom Krieg!‘ mag manch Leser jetzt denken. Will der uns wirklich von seiner ersten Flasche Spätburgunder berichten? Vermutlich war’s ein Untertürkheimer Bratschenberg Spätburgunder lieblich von der Tankstelle und ein Picknick mit einem hübschen Mädchen an einem lauen Sommerabend und… HALT. Dies ist kein Blog für Altherrenphantasien und ich will auch gar nicht von meiner ersten Flasche Spätburgunder schreiben. Berichten muss ich von meiner ersten Begegnung mit Friedrich Beckers ‚Pinot Noir‘ Tafelwein, jenem fast mythisch verklärtem Wunderstoff, der sieben Mal in Folge vom Gault Millau zum besten Spätburgunder Deutschlands gekürt wurde, jenem 90-Euro-Geschoss, dass vielen als Keimzelle des Deutschen Pinot-Booms gilt.

Der ‚Pinot Noir‘ von Becker wird als Tafelwein gefüllt – seit jeher. Ursprünglich war das wohl eine Notwendigkeit, weil die Verwendung von Barrique-Fässern beim Ausbau deutscher Weine einige Zeit nicht den Segen der Weinkontrolle fand und die Füllung als Tafelwein eine Möglichkeit darstellt, die Weinkontrolle zu umgehen – aber das ist kein gesichertes Wissen, sondern Hörensagen. Mittlerweile gäbe es keine Probleme mit der Behörde, aber vielleicht genießt Herr Becker eine stille Rache, indem er den Weinkontrolleuren einfach diesen Zauberstoff vorenthält: Keine Prüfung, keine Musterproben.

Den ‚Pinot Noir‘ zu bekommen ist kein schwieriges Unterfangen. Ganz ohne Subskription erhält man ihn bequem auch Wochen und Monate nach Erscheinen noch bei vielen Händlern. Ich kaufte meine Flasche bei Erscheinen irgendwann 2007 und genoss seitdem die Vorfreude. Letzte Woche feierte ich die zwischenzeitliche Wiederkehr des Sommers mit diesem Wein zu einem Grillabend mit Lamm, Geflügel, Tomatensalat und einem ordentlichen Weißbrot – 22 Grad Lufttemperatur und den Wein bei 17 Grad serviert, lediglich eine Stunde im Dekanter, zwei Mitstreiter mussten blind mittrinken und waren vor Verzückung gelähmt. Ich war zwar wissend, konnte mich aber auch nicht mehr bewegen: ohne wenn und aber mein bisher größtes Rotweinerlebnis.

Becker, ‚Pinot Noir‘, Deutscher Tafelwein Rhein, 2005, (Pfalz). Die Nase ist wahnsinnig intensiv und sehr typisch. Auch wenn der Schwerpunkt auf rohem Fleisch (Tartar) und Kirschfrucht liegt, ist der Wein in der Nase weich und sehr anziehend (ich versuche, die bescheuerte Phrase ‚die Nase ist wahnsinnig sexy‘ zu umschiffen). Am Gaumen ist der Wein von einer geradezu kristallinen Struktur. Alles ist an seinem Platz: straffe Säure, moderates Tannin, dezent in Erscheinung tretender Holzausbau, wieder diese recht animalischen Aromen von rohem Fleisch, satte Kirschfrucht, Bleistift, rote Beeren. Der Nachhall ist vielschichtig, komplex, ultralang. Und wieder fällt mir nur ein Wort ein, dass ich gewöhnlich vermeide: präzise. Dieser Wein ist so präzise, dass ich glatt die Scheu verliere, das Wort zu benutzen. 100 Punkte.