Ich habe mir einen Traum erfüllt. Keinen überkandidelten, eigentlich unerfüllbaren oder sonst wie spektakulären. Einen, den viele Menschen haben und sich regelmäßig erfüllen. Aber die Vorbereitungszeit ist verdammt lang, man kann sich 9 Jahre drauf freuen (Glas halb voll) oder muss mindestens 9 Jahre drauf warten (Glas halb leer). Und man braucht einen Keller, nicht irgendeinen, sondern einen geeigneten Keller. Spätestens jetzt haben Sie es erraten, oder? Riesling GG 2005: die Versöhnung der Erzfeinde weiterlesen
Schlagwort: Rheinhessen
VDP Großes Gewächs Präsentation Wiesbaden 2014
Tag 1 der Wiesbadener GG Präsentation ist geschafft. Eines weiß ich jetzt schon, 400 Weine werde ich nicht verkosten. Dazu sind die Eindrücke zu Vielfältig und die Weine zu fordernd. Am Ende des ersten Tages habe ich zwar schon eine gewisse Vorstellung vom Jahrgang 2013, verkneife mir aber das Fazit oder pauschale Urteil. Stattdessen hier nur meine Eindrücke der verkosteten Weine nach Gebiete sortiert. VDP Großes Gewächs Präsentation Wiesbaden 2014 weiterlesen
Die After-Show-Party
Das schönste an einer Weinprobe ist für viele das Bier danach. Da ich Bier nicht gut vertrage, bin ich nicht in Versuchung: Für mich ist das schönste an einer Weinprobe die Weine danach. Das liegt auch daran, dass die meisten von mir besuchten Weinproben keine professionellen Verkostungen, sondern Versammlungen von Enthusiasten sind. Und nach dem offiziellen Programm beginnt bei solchen das etwas planlose aber umso begeistertere Querbeet-Blind-Probieren. Nach der letzte Woche beschriebenen Lembergerprobe war es wieder soweit und diesmal oblag es mir, den Zeremonienmeister zu geben.
Diesem Zeremonienmeister kommt die besondere Rolle zu, die Stimmung seiner Gäste zu spüren und den dazu passenden nächsten Wein zu finden. Dabei sollte er Selbstbeherrschung an den Tag legen, der Versuchungen sind viele. Er ist der einzige, der weiß, was die Gäste im Glas haben und das gilt es, die anderen niemals spüren zu lassen. Idealerweise lenkt er sie behutsam in die richtige Richtung, stellt der Reihe nach Konsens über Rebsorte(n), Anbaugebiet, Jahrgang und weiteres mehr her, denn das größte Vergnügen bei der After-Show-Party ist das gemeinsame Erraten des Glasinhaltes. Jede hochgezogene Augenbraue bei weit am Glasinhalt vorbei zielenden Mutmaßungen gilt es zu unterdrücken. Überhebliche Moderatoren sind die schlimmste Form des Party Poopers. Also steuert er demütig und mit Pokerface den Dialog der Gäste bis er in der Hoffnung aufdeckt deren Geschmack getroffen zu haben.
Los geht das Ratespiel häufig mit einem Reparaturwein, nach Rotweinproben meist einem süßen Riesling. Letzte Woche startete ich meinen Job unter erschwerten Bedingungen, denn nur zwei Mitstreiter gelüstete es nach einer Auslese, der Großteil wollte noch ein wenig weiter die Reste aus den Rotweinflaschen nachverkosten. Also öffnete ich eine Halbflasche. Kaum war das Plopp des Korkens verklungen, änderten jedoch alle Teilnehmer ihre Meinung. Also folgte eine ganze Flasche einer weiteren Auslese – die After-Show-Party trägt auch den Beinamen ‚Stunde der Kühlmanschetten‘. (Kühlmanschetten sind sowieso das wichtigste Weinzubehör, wenn mehr als drei Weinfreaks in einem Raum sind).
Eine weitere Versuchung, der es zu widerstehen gilt, ist der Wunsch möglichst teure Flaschen zur blauen Stunde zu öffnen. Schließlich haben die Gäste schon mehr als 20 Weine probiert, da geht es nicht mehr um die letzte Feinheit, sondern um ein paar Überraschungsmomente. In meinem Weinvorrat befinden sich Flaschen, die ausschließlich solchen Gelegenheiten vorbehalten sind – meist Restflaschen eines ehemals größeren Postens besonderer Weine. Die zweite Runde läutete genau so ein Wein ein: Kellers Neumond von der Weinentdeckungsgesellschaft. Und hier ging es mit mir durch, einer der Tipps zum Riesling war zu eindeutig (‚Dieser Wein ist ein Unikat‘). Der Neumond war rasch identifiziert. Trösten konnte mich der Glasinhalt: so gut wie letzte Woche hat sich der Keller bisher noch nicht präsentiert. Nach kurzer Erläuterung der Weinentdeckungsgesellschaft kam der nächste Wein offen ins Glas, meine letzte Flasche ‚Roter Baron‘ – Knipsers Beitrag zum Projekt. Aber Höhen und Tiefen liegen nah beieinander – der Rote Baron war uncharmant. Drei Tage später trank ich den Rest der Flasche und er hatte seine sehr kantige Art abgelegt, war ein angenehmer Rotwein; der Zauber der frühen Flaschen ist aber wohl dahin.
Einen letzten Wein hatte ich noch im Köcher. Es galt eine Scharte auszuwetzen. Knapp ein Jahr ist es her, dass ich mich mit der Hälfte meiner Gäste zu einer kleinen frugalen Probe mit dem Thema ‚Bordeaux unter 25 Euro‘ zusammengefunden hatte. Ich hatte – halb scherzhaft, halb größenwahnsinnig – angekündigt, den Siegerwein mitzubringen. Einen Abend vor dem Showdown feierte ich eine gelungene Generalprobe mit dem Wein um dann Tags darauf mit einer schwachen Flasche den letzten Platz zu belegen. Die allerletzte Flasche Rollan de By 2003 lag seitdem zur Ehrenrettung bereit. Und da war es, das versöhnliche Ende. Es war die perfekte Flasche eines perfekt gereiften Bordeaux. Einzig ein Luxusproblem tat sich auf: Wenn man für 15 Euro so gute, langlebige Rotweine aus Bordeaux kaufen kann, warum soll man dann überhaupt etwas anderes trinken, fragte einer der Gäste. Aber das war vermutlich eine Scherzfrage.
Und das gab es zu trinken:
Kerpen, Wehlener Sonnenuhr Auslese **, 2006, Mosel: Sehr gut aber jahrgangsbedingt auch sehr dick. Hält sicher noch eine Weile
Ludwig Thanisch & Sohn, Brauneberger Juffer Auslese **, 2005, Mosel: Schlanker als der Kerpen, mit angenehmen Gerbstoffen, die der Süße etwas entgegenstellen.
Keller, Neumond, Riesling, 2009, Rheinhessen: Derzeit in fantastischer Verfassung, wer einen hat, jetzt öffnen und nicht dekantieren.
Knipser, Der Rote Baron, o.J., Pfalz: Derzeit lieber nicht anfassen oder länger dekantieren.
Chateau Rollan de By, 2003, Bordeaux: Der Wein ist seit nunmehr 9 Jahren unverändert eine Granate.
Weinrallye No. 68 – die perfekte Weinkarte
Christoph verwandelt sein Blog ‚Originalverkorkt‘ heute in die Aktionsplattform zur 68. Weinrallye und bittet um Antworten auf die Frage: ‚Wie sieht Eure perfekte Weinkarte aus?‘ Das ist ein weites Feld und ich liebe weite Felder. Also legen wir los. Die perfekte Weinkarte deckt jedes Anbaugebiet nach drei Kriterien ab: Jugend, Grandezza und Klassik. Von der Mosel könnte man also Knebel für die Jugend, Molitor für die Grandezza und Thanisch (Ludwig & Sohn, keine Witwen und Waisen) für den klassischen Stil und hervorragendes Preis-Leistungsverhältnis nehmen. Aus der Pfalz… Haha, Felix schreibt eine Weinkarte? Klar, und der Mond besteht aus Käsekuchen.
Ich bin aus Hamburg und in Hamburg sieht die ideale Weinkarte tatsächlich so aus. Aus jedem Dorf ’n Köter, möglichst prominent, dazu ein paar Newcomer oder wiedererstarkte Traditionsbetriebe, vor ein paar Jahren waren das Winter, Kranz und Schloss Lieser, heute sind es Wechsler, Bickel-Stumpf oder Ress. Letztere geben der Karte einen Hauch von Avantgarde und bedienen die Klientel mit dem kleineren Budget.
Gegen diese telefonbuchdicken Weinkarten, die sich wie das Who-is-Who der Weinwelt lesen ist nichts einzuwenden. Ich bin nur nicht der richtige Gast dafür, da ich, was Deutschen Wein angeht, auf lauter Positionen treffe, die ich auch daheim im Keller habe.
Nun lebe ich seit anderthalb Jahren in Berlin. Irgendjemand stellte vor ein paar Tagen bei Facebook die Frage zur Diskussion, ob Berlin Deutschlands Weinhauptstadt sei und es gab allen ernstes ein paar Zweifler (die München gern zu selbiger küren wollten). Man hätte auch darüber diskutieren können, ob der Papst katholisch ist – die Frage ist ähnlich knifflig zu beantworten. Berlin, Deutschlands Weinhauptstadt, hat einige Weinkarten im Angebot, die dem Hamburger Konzept vollständig zuwider laufen und gerade deswegen so gut sind. Meine erste Begegnung mit einer solchen hatte ich im Restaurant Reinstoff. Ivo Ebert serviert ausschließlich Weine aus Spanien und Deutschland. Wer sich nun fragt, ob man ohne Frankreich eine Weinkarte von Klasse zusammenstellen kann: das Reinstoff hat mittlerweile zwei Michelin-Sterne. Die teilweise wilden Spanier, die Ebert auch glasweise ausschenkt, heben so manches Gericht in höchste Höhen. Dass Molitor zum Repertoire gehört, versteht sich von selbst…
Und dann saß ich neulich in meiner Lieblingsweinbar, dem Rutz, als mir der Sommelier ein Glas zum probieren hinstellte. ‚Hier, die Flasche hat ein Gast gerade mit wenig schmeichelhaften Worten zurückgehen lassen.‘ Es handelte sich um einen weißen der Domaine de l’Horizon. Sommelier Billy Wagner hatte den Wein als Speisenbegleiter vorgeschlagen, der Gast fand ihn schaurig und verlangte ‚Chardonnay aus dem Barrique, von irgendwoher‘. Das schöne an meiner Lieblingsweinbar ist, sie verkaufen keine Weine, die von irgendwoher kommen oder schmecken, als könnten sie von irgendwoher kommen. Ich finde die Karte im Rutz fast grandios (es fehlt halt Molitor), besagter Gast sah das vermutlich anders und wünschte sich in dem Augenblick bestimmt nach Hamburg. So gibt es sie nicht, die ideale Weinkarte. Es gibt nur gute Weinkarten und für jede gute Weinkarte den idealen Gast.
Was wäre denn, wenn man das Hamburger mit dem Berliner Modell vermählte? Dann wäre die Karte dick wie zwei Telefonbücher und der ganze Pfiff raus (aber jede Menge Molitor drin). Wenn ich eine Weinkarte in die Finger kriege, versuche ich ein Konzept zu erkennen. In Berlin erkenne ich es regelmäßig. Berliner Weinkarten sind wie Frankfurter Zeitungen: dahinter steckt immer ein kluger Kopf – nur bitte nicht meiner. Ich genieße lieber die wilden Spanier in Rutz und Reinstoff oder trinke zuhause Weine, die schmecken, als kämen sie von irgendwoher. Die können auch richtig gut sein, so wie dieser:
Wittmann, Chardonnay -S-, 2005, Rheinhessen. Der Wein riecht nicht, er duftet: ziemlich frisch aber auch typisch für einen gereiften Chardonnay. Da ist etwas Butter, Haselnuss und Karamell, aber auch Ananas und Mandarine. Am Gaumen verfügt der Wein über schöne Säure und ein paar Gerbstoffe, das raut ihn etwas auf und bildet einen schönen Kontrast zur cremigen Buttrigkeit der Rebsorte und des Barrique-Ausbaus, der Vanille zum Aromenspektrum beisteuert. Der Chardonnay ist konzentriert und hat 14% Alkohol ohne dick zu sein oder gar schwer. Diese Balance aus Frische, Gewicht und Reife macht ihn zu einem faszinierendem Wein. Der Abgang ist sehr lang und mir eine Spur zu süß, sonst wäre ich restlos geplättet.
Ringelpietz mit Anfassen
Zu behaupten ich sei gestern zu einer Probe eingeladen gewesen, wäre die Untertreibung des Jahres. Ich war Gast bei einer Premiere und ich denke, das dargebotene Stück wird der Terroir-Diskussion neue Nahrung geben. ,Wurzelwerk‘ heißt es und die Einladung gab sich geheimnisvoll. Wer und was mich in der Berliner Weinbar Rutz erwarten würde, blieb unklar. 4 Winzer begrüßten schließlich die Gäste: Der aus meinem vorletzten Blogbeitrag bekannte Johannes Hasselbach (der mich über unser Wiedersehen im Argen gelassen hatte), seine Schwester Stefanie Jurtschitsch samt Gatte Alwin vom gleichnamigen Langenloiser Weingut aus dem Österreichischen Kamptal, sowie Max von Kunow, Saar-Star vom derzeit omnipräsenten Weingut von Hövel.
Die vier hatten Paul vom Weinblog ,drunkenmonday‘ als Moderator mitgebracht – ein Studienkollege von Ehepaar Jurtschitsch und Max von Kunow aus Geisenheimer Tagen. Dessen Lebenspartnerin Julia, Organisatorin der Veranstaltungsreihe Winevibes, hatte das Event auf die Beine gestellt. Sollte dem geneigten Leser der Verdacht kommen, im fünften Jahr meines Bloggerdaseins würde ich langsam von der Berliner Weinmafia adoptiert, ich wüsste kein Gegenargument …
So erfuhren wir erst einiges über die Protagonisten, den hartnäckigen Verfechter der Spontanvergärung von Kunow, der solange gegen Geisenheimer Windmühlen ritt, bis er den Spitznamen ,Sponti‘ verpasst bekam, die Hasselbach-Tochter, die das elterliche Weingut gegen das des Gatten tauschte, was ziemlich spontan den eigentlich branchenfremden Bruder ins Spiel brachte und über den Österreicher, der zwar wohlwollend aber unmissverständlich als das geschildert wurde, was Arbeitspsychologen eine ,Ideenschleuder‘ nennen.
Sodann wurde das Projekt vorgestellt: Die Winzer hatten Trauben getauscht und spontan vergorene Rieslinge produziert. Das klingt harmloser als es ist, denn die vier Winzer hatten im ständigen Kontakt Parzellen ausgesucht, von denen eine zeitgleiche Reife zu erwarten war, dann telefonisch den Lesetermin koordiniert – der mehrfach verschoben werden musste, weil es immer irgendwo regnete – und schließlich an einem Tag parallel gelesen, die Trauben nach Rheinhessen gefahren, je 500 Kilo getauscht und in die jeweiligen Keller verfrachtet – das alles während die Hauptlese in den Betrieben im vollen Gange war.
Wurzelwerk – Traubentausch und Terroir
Um vergleichbare Bedingungen zu erhalten wurde allen Trauben 13 Stunden Maischestandzeit verordnet, zwei Drittel der Ware verbrachte diese bei Tempo 150 auf der Autobahn. Ein Gäransatz für den Notfall war ebenfalls im Gepäck, kam aber nicht zum Einsatz (das ist ein Gebinde mit angegorenem Traubenmost aus Spontangärung, der als Starthilfe zum Most geschüttet worden wäre, hätte dieser die Spontangärung verweigert). In der Folge versuchten die Winzer den Wein möglichst allein zu lassen. Kühlung war nicht nötig, da 300 Liter sich im Stahltank nicht so erwärmen, dass die Kellerkühle sie nicht von allein im erträglichen Temperaturbereich hält (Most erwärmt sich bei der Gärung und wird er zu warm, verliert der Wein an Aroma). Im Keller der Jurtschitschs wurden die Tanks später in die wärmste Ecke gerollt um die Gärung am Laufen zu halten, denn trocken sollten sie werden, die neun Weine (und wird der Most zu kalt, stellen die Hefen die Arbeit ein).
Individuelle Entscheidungen trafen die Winzer hinsichtlich des Zeitpunktes der Schwefelzugabe, bezüglich der Menge hatten sie eine Obergrenze vereinbart. So präsentierten uns die Winzer ihre neun Weine mit der Anmerkung, sie hätten alles in ihrer Macht stehende getan, um persönliche Vorlieben und Stilistik auszuschließen. Der Weinberg, die Trauben und der Keller seien die Faktoren, die die Weine kennzeichneten, die wir nun zu verkosten bekämen. Dann schenkten sie endlich ein.
Scharzhofberg, Heiligenstein, Rothenberg, es gibt schlechtere Rieslinglagen – aber keine besseren. Dazu drei Betriebe, die mindestens als renommiert gelten: was würde uns erwarten? Wir erhielten alle neun Weine gleichzeitig und die Verkostung fand blind statt. Das erstaunliche: die Mehrzahl der Teilnehmer erkannte alle Weine korrekt. Dabei half, dass wir nur die Matrix erkennen mussten: waren die Weine zuerst nach Lage oder nach Keller sortiert und wie dann weiter? Mir erschienen Wein eins und vier sehr exotisch fruchtig zu duften, die Weine zwei, fünf und acht hatten eine Malz-Note im Abgang, die mir sehr vertraut erschien und die Weine sieben bis neun waren sehr verschlossen, würzig und andersartig. Wein fünf schmeckte für mich wie ein klassischer Rothenberg von Gunderloch – dieses mal allerdings diesseits meiner persönlichen Schmerzgrenze für ,erdige Noten‘ – und die ersten drei Weine zeigten die filigranste Mineralik. Daraus ließen sich Vermutungen ableiten: Die Aufstellung war nach Lagen sortiert, die erste war der Scharzhofberg, die letzte der Heiligenstein – für mich fremdartig – und die zweite der Rothenberg, weil er übrig blieb. Die Ordnung der Güter war jeweils zuerst der Saar-Keller (die exotische Frucht in der Nase), dann der Gunderloch (Malz und Karamell im Abgang) und dann der Kamptaler (weil er übrig war). So gelang mir die vollständige Zuordnung, obwohl ich nur einen einzigen der Weine kannte und erkannte.
Und was bedeutet das für die Theorie vom Terroir? Mindestens 50 Prozent der Indizien kamen aus dem Keller. Da waren offensichtlich nicht nur die importierten Hefen involviert. Wie sich die Aromen mit der Reife entwickeln, wie die Weine in ein paar Jahren schmecken und welchen Einfluss der Jahrgang auf die Balance von Keller und Berg hat – all das wollen die Winzer noch herausfinden. Deswegen geben sie nur 200 der 300 Liter in den Verkauf und werden das Projekt fortsetzen. So bunkern sie ausreichend Material um die nächsten zehn Jahre weitere Geschmackstests zu veranstalten.
Deklarationstechnisch bewegen sich die Wurzelwerk-Weine auf TetraPak-Niveau: ,Europäischer Wein‘ steht als Herkunftsangabe auf dem Etikett, die Lagennamen sind verfremdet und die Rebsorte fehlt, schließlich ist es nur so möglich Trauben über EU-Grenzen zu bewegen. Preislich bewegen sie sich hingegen auf oberstem GG-Niveau: 300 Euro kostet die dekorative Holzkiste mit neun 0,5l-Flaschen. Qualitativ liegen sie ziemlich weit vorn: von den neun probierten Weinen fand ich einen groß (Scharzhofberg aus dem Jurtschitsch-Keller), vier ausgesprochen gut und nur einen schwach (Rothenberg aus dem von-Hövel-Gewölbe). Aber aus der Konstellation geht schon hervor: das ist nur eine Momentaufnahme. Der Preis rechtfertigt sich eher über das zu erwartende Verkostungsspektakel im interessierten Kreis. Zum Wegsüppeln ist der Wein nicht gemacht, eher für Weinkreise, die zusammenlegen und sich Stoff für eine spannende Lehrprobe besorgen.
Ich füge jedem Artikel eine Weinbeschreibung an und schreibe nur über Weine, die ich in Ruhe getrunken habe. So ein Glück, denn das sicherte mir am Ende der Probe eine fast volle, angebrochene Flasche ,to-go‘. Es war Wein Nummer 8, einer von den ausgesprochen guten.
Gunderloch, ,Der Heilige Stein‘ Fass No 8/9, 2012, Europäischer Wein. In der Nase noch ganz jung – eine Woche nach der Füllung dominieren Hefe und Jungweinaromen wie Banane die Nase. Dazu riecht er duftig-blumig. Am Gaumen ist der Riesling mittelmäßig trocken, zeigt eine schöne Säure, ist aber auch etwas cremig und füllig wie es vom langen Hefelager zu erwarten ist. 12,5% Alkohol sind unauffällig. Klassische Rieslingaromen wie Aprikose und mürber Apfel dominieren, Sahnekaramell und eine schöne Würze bringen aber das gewisse Etwas. Der sehr lange Abgang ist leicht malzig, süß und sehr mineralisch.
Wer einmal die neun Wurzelwerk-Weine nebeneinander verkostet hat, wird nie wieder davon reden, dass Spontanvergärung die Vergärung mit ,weinbergseigenen‘ Hefen sei. Stattdessen wünscht er jedem Jungwinzer, der den elterlichen Betrieb auf Sponti umstellen will, eine wohlmeinende Kellerflora. Für das Wurzelwerk kann ich derweil resümieren: Jede Traube kriegt den Keller, den sie verdient.
Und das gab es zu trinken:
Der Scharzhofberg alias DER SCHATZ-BERG
1/9: Von Hövel 2012er “Der Schatz-Berg” (Scharzhofberg), Saar
2/9: Gunderloch 2012er “Der Schatz-Berg” (Scharzhofberg), Rheinhessen
3/9: Jurtschitsch 2012er “Der Schatz-Berg” (Scharzhofberg), Kamptal / Österreich
Der Rothenberg alias DER ROTE BERG
4/9: Von Hövel 2012er “Der Rote Berg” (Rothenberg), Saar
5/9: Gunderloch 2012er “Der Rote Berg” (Rothenberg), Rheinhessen
6/9: Jurtschitsch 2012er “Der Rote Berg” (Rothenberg), Kamptal / Österreich
Der Heiligenstein alias DER HEILIGE STEIN
7/9: Von Hövel 2012er “Der Heilige Stein” (Heiligenstein), Saar
8/9: Gunderloch 2012er “Der Heilige Stein” (Heiligenstein), Rheinhessen
9/9: Jurtschitsch 2012er “Der Heilige Stein” (Heiligenstein), Kamptal / Österreich