Viele Menschen glauben, die ProWein sei ein Schlaraffenland: endlich einmal all die berühmten Weine probieren, die weit jenseits der eigenen Kaufkraft liegen. Doch tatsächlich ist die ProWein ein Schlachtfeld des Misstrauens. Zweit- und Drittweine der berühmten Güter stehen offen zur Verkostung. Die Schätze stehen unter den Tischen oder in den Séparées. Wer an die ran will, wird vorher mindestens nach einer Visitenkarte gefragt, wenn nicht gar nach weitergehender Legitimation.
Während mir dieses Abklopfen in Deutschland meistens erspart bleibt, bin ich in der Italien-Halle dem gleichen Misstrauen ausgesetzt wie jeder andere – und gerade die Vinitaly-gestählten Winzer sind besonders gut bei der Bildung einer Wagenburg um ihre Pretiosen. Deswegen nahm ich auf der diesjährigen ProWein zum zweiten Mal das Angebot einer Florentiner PR-Agentur an, gemeinsam eine Auswahl ihrer Klienten zur Verkostung zu besuchen. Der Geleitschutz erspart die abschätzenden Blicke. Also ging es mit Betreuung unter anderem zu Luce, Ornellaia und der Fattoria Le Pupille. Weil noch ein bisschen Zeit bis zum nächsten Termin blieb, ließ ich mich noch zum Besuch der Weingutsgruppe der Familie Franchetti bewegen. Von der hatte ich noch nichts gehört, was aber nur beweist, wie wenig Ahnung ich von Italien habe.
Altes Geld am Ätna und in der Toskana
(Sehr viel) altes Geld und eine Neugründung in der toskanischen Pampa, bei der die lokalen Rebsorten gemieden und stattdessen voll auf die Super-Toskaner-Karte gesetzt wird, dazu ein neu aufgestelltes aus zusammengekauften alten Weinbergen bestehendes Weingut in der Trendregion Ätna – von allein wäre ich nie zu diesem Tasting gekommen. Herr Franchetti selbst sei eher scheu und meide Veranstaltungen wie die ProWein, erfuhr ich noch, bevor ein selbstbewusster junger Mann eine schwungvolle Verkostung startete, die Überraschungen bereit halten sollte.
Der Start ging allerdings voll in die Hose. Es gab Chardonnay, vom Ätna. Wie sehr ich den einheimischen Carricante mag, kann man hier lesen und hier hören. Ich halte es schlicht für überflüssig, Chardonnay am Ätna zu pflanzen. Und dann war der Wein merkwürdig süß. Ich traute mich kaum, das zu sagen. Die PR-Dame sprang mir aber bei, sie sei auch gerade irritiert. Es lag wohl an den kurz zuvor verkosteteten Weinen von Castello di Querceto. Die sind dermaßen Old-School und klotzen mit Tannin, danach schmeckt Chardonnay wie Riesling Spätlese – selbst wenn er null Gramm Restzucker hat, wie der ‚Passobianco‘ von Passopisciaro, wie das Ätna-Weingut der Franchettis heißt.
Etna Rosso DOC zum Verlieben
Die Stimmung kippte zum Positiven, als der nächste Wein ins Glas kam. Ein Etna Rosso höchster Güte zum Schnäppchenpreis von gut 20 Euro:
Passopisciaro, ‚Passorosso‘, 2016, Etna Rosso DOC, Sizilien. In der Nase italienische Kitschkirsche (nicht übertrieben verdichtet) und Pferdeschweiß, durchaus nobel, aber nicht sehr vielschichtig. Aber am Gaumen: Diese Säure ist so toll, dazu sehr feines, aber nicht zu vernachlässigendes Tannin, kühle Eukalyptus-Note, Alkohol gut eingebunden, im Abgang mineralisch/phenolisch, aber nicht austrocknend. Wahnsinnig schön. Süffig, aber mit Anspruch und dem Potential für ein paar Jahre.
Auch der Dritte Ätna-Wein gefiel mir ausnehmend gut. Den schlicht ‚Franchetti‘ getauften Rotwein kann man getrost als kleine Verrücktheit bezeichnen. Der Gutsverwalter stammt aus dem Latium und hat seine einheimische Lieblingssorte Cesanese d’Affile an den Ätna verpflanzt. In der Cuvée mit dem hier ebenfalls exotischen Petit Verdot kommt etwas außergewöhnliches Zustande. Doch die Zeit drängte und wir wandten uns den Toskana-Weinen zu.
Tenuta di Trinoro – internationale Klasse
Pflichtschuldig schenkte der Gastgeber den Zweitwein ‚Le Cupole‘ ein, ohne groß zu erklären. Der gefiel mir ganz gut und war mehr als eine 08/15-Bordeaux-Cuvée. ‚Und dann machen wir noch einen Merlot für Menschen, die Merlot sehr lieben‘ leitete der junge Mann den nächsten Wein ein und ließ keinen Zweifel daran, dass er dieser Zielgruppe eher nicht angehört. Die PR-Dame neben mir wurde etwas verlegen. Das sei doch ein sehr schöner Wein, bemerkte sie tapfer. ‚Das ist ziemlich viel Schokolade‘ rutschte mir raus. Bevor ich das bereuen konnte, hakte mein Gegenüber ein: ‚Das ist SEHR viel Schokolade‘ und mir dämmerte, dass der Mann wohl kein normaler Angestellter des Weingutes war. Schon hatte er die nächste Flasche in der Hand: den Erstwein.
In Deutschland kostet der ‚Tenuta di Trinoro‘ rund 150 Euro, im Rest der Welt teils deutlich mehr. Er gehört in die Kategorie internationaler Kultwein und er ist von unbestreitbarer Qualität. Aber er konnte mich nicht berühren. Ich beschrieb meine Eindrücke ehrlich und mit Respekt, aber eben ohne Begeisterung. Schön, dachte ich: habe ich jetzt auch mal getrunken. Auf zum nächsten Termin. ‚Sie müssen unbedingt zwei unserer Cabernet Francs probieren, aber sagen Sie nichts‘, insistierte mein Gegenüber und schenkte mir ‚Campo die Tenaglia‘ und ‚Campo di Magnacosta‘ ein. Ersterer war zwar sehr schön, mir in der Frucht aber zu üppig, während letzterer eine so kühl-elegante Frucht zeigte, dass ich ihn für einen der besten Cabernet Francs halte, die ich je probiert habe (sofern man das nach einem Schluck sagen kann). ‚Lassen Sie mich raten: der zweite hat ihnen besser gefallen. Beim ersten ist Ihnen die Frucht zu üppig, während Ihnen gerade die kühle Eleganz der Frucht beim zweiten sehr gefällt.’ Ich musste lachen. ‚Ich habe im Laufe der Verkostung den Eindruck gewonnen, dass wir den gleichen Geschmack haben. Jetzt müssen Sie auch noch meinen Wein probieren, aber bitte blind.’
Wahre Winzer machen Pinot – egal wo!
‚Meinen Wein‘, das ließ ja eigentlich nur einen Schluss zu, hier stand die nächste Generation vor mir. Und wer den Weinen seines Vaters* die gleiche Einstellung entgegenbrachte wie er selbst, der qualifizierte sich für den wertvollsten Wein, seinen eigenen (der aber eigentlich nur 50 Euro kostet, wenn man ihn denn bekommt). Also gab es ‚Sancaba‘ 2017 zu probieren. Ich probierte und rätselte: was könnte das sein? Bevor ich etwas sagen konnte, verplapperte sich die PR-Dame, die von unserem Dialog nichts mitbekommen hatte: ‚Ach, probiert ihr noch den Pinot?‘. Kaum jemand kriegt ein so perfektes ‚Och-Menno‘-Gesicht zustande, wie Franchetti Junior. Doch ich linderte seine Enttäuschung, indem ich offen zugab, dass ich in hundert Jahren nicht auf Pinot Noir gekommen wäre. Der Wein hat eine ganz eigene Aromatik, zeigt Wucht aber keine Hitzenoten. Auf 650 Höhenmetern entsteht ein sehr eigenständiger Toskana-Pinot, doch der nächste Termin rief.
Ich musste auch eine Woche nach der Begegnung mit Carlo Franchetti noch schmunzeln. Also entschied ich die Geschichte aufschreiben. Dazu forderte ich über die Agentur Musterflaschen am Weingut ab. ‚Campo di Magnacosta‘ und ‚Sancaba‘ bräuchte ich, da sie das Herzstück der Geschichte seien, andere Weine als Ergänzung wären willkommen. Die Anfrage landete wohl bei einem Vinitaly-gestählten Wagenburgbauer, denn das Weingut entschied, ‚Passorosso‘ und ‚Campo di Tenaglia‘ (!) müssten reichen.** Was tun? Nichts schreiben wäre blöd. Also verkostete ich den ‚Passorosso‘ zuhause (Ergebnis oben) und nahm den Cabernet Franc mit zum gemeinsamen Cabernet-Franc-Trinken mit Freunden. Im gut sortierten Probenfeld ging er unter. Die Frucht ist einfach zu üppig.
Tenuta die Trinoro, ‚Campo di Tenaglia‘, 2016, Rosso Toscana (Cabernet Franc), Italien. In der Nase dezent stallig, sehr blumig, ein bisschen Pflaumenkompott. Am Gaumen ordentliche Säure, superreiche Frucht (hoch vier), keine Paprika, nix Grünes, aber auch keine Marmelade, sogar ein bisschen ätherisch. Der Alkohol ist bestens integriert; spürbare Tannine, gar nicht so fein, aber nicht so grob, dass der Wein rustikal wirkte. Schöne Länge.
*Anmerkung: Wie das Weingut mir in Reaktion auf diesen Artikel mitteilte, ist Carlo Franchetti nicht der Sohn, sondern der (sehr viel jüngerer) Cousin von Andrea Franchetti.
** Wie das Weingut erklärte, waren die angeforderten Weine schlicht ausverkauft beziehungsweise noch nicht gefüllt