Ich war ein Jahr im Trento unterwegs – sozusagen. Grund war eine reizende Begegnung mit einer Dame, deren Probleme wir alle gerne hätten.
Camilla Lunelli ist glücklich: endlich ein vernünftiges Risotto. ‚Sie glauben nicht, wie viel weichgekochtes Risotto man essen muss, wenn man italienischen Wein im Ausland repräsentiert‘, erklärt sie mir lachend. Camilla Lunelli weiß, dass die meisten Menschen sie um dieses Problem beneiden würden. Also spart Sie sich die Drama Queen. Außerdem hat irgendjemand dem Küchenchef im La Banca erklärt, dass heute Gäste aus Italien da sind. Er serviert ein Risotto mit der Konsistenz eines Knuspermüslis – und Camila Lunelli ist glücklich.
Ferrari ist kein Prosecco
Im Laufe dieses Lunches, bei unserer zweiten Begegnung auf der Ferrari-Party im Rahmen der ProWein und während der folgenden Monate, die ich Signora Lunelli auf Instagram folge, kriege ich eine Idee, was es – abgesehen von Begegnungen mit weichgekochtem Risotto – heißt italienischen Wein im Ausland zu repräsentieren, zumindest wenn man Lunelli mit Nachnamen heißt: Oscars, Grammys, Emmies – nicht alle jedes Jahr, aber regelmäßig ziemlich viele der glamourösesten Galas sponsert Ferrari oder ein anderes Unternehmen der Gruppe. Die heißt Grupo Lunelli, weil Camilla keine angestellte PR-Lady, sondern die überaus erfolgreiche Co-Chefin dieser Weingutsgruppe ist. Bruder und Cousins übernehmen die weniger glamourösen Aufgaben der Produktion und Distribution. Neben den berühmten Schaumweinen der Marke Ferrari keltern die Lunellis auch Stillweine in drei Weingütern im Trentino, der Toskana und in Umbrien. Eine Mineralwasserquelle, Schnapsbrennerei und gastronomische Angebote gehören ebenfalls zur Gruppe.
Außerdem halten die Lunellis seit einiger Zeit noch eine hälftige Beteiligung an ‚Bisol‘. ‚Es war frustrierend: wir konnten uns noch so sehr auf die Positionierung der Ferrari-Schaumweine als Trento DOC Metodo Classico konzentrieren, ein Großteil der Endverbraucher dachte immer, Ferrari sei ein Prosecco.‘ Also löste Sie das Problem, wie man so ein Problem eben löst, wenn man die Oscars, Grammys und Emmies sponsert. Die Familie erwarb 50 Prozent eines der bekanntesten und größten Premiumproduzenten des Prosecco-Gebietes. Jetzt präsentiert Camilla Lunelli wo immer möglich die beiden Marken parallel, damit jeder kapiert: das eine ist ein Prosecco, das andere ein Trento DOC.
Trento: älter aber unbekannter
Trento DOC, die relativ unbekannte Schaumwein-Appellation im Norden Italiens, noch etwas nördlicher, vor allem aber älter als die Franciacorta, von dieser jedoch in Sachen Bekanntheit um Längen abgehängt. Das hat viel mit einem weiteren Luxusproblem der Camilla Lunelli zu tun: ‚Ich bin ein bisschen neidisch auf die Kollegen in der Franciacorta, die haben mehr als zehn hauptamtliche Mitarbeiter im Konsortium und machen einen tollen Job bei der Image-Pflege‘.
Sie kann da nicht mithalten, zum einen, weil die Kollegen aus der Lombardei rund doppelt so viel Schaumwein produzieren, aber vor allem, weil sie die Lasten besser verteilen können. ‚Von den 9 Millionen Flaschen Trento DOC produzieren wir bei Ferrari ungefähr fünf Millionen‘ erklärt sie mir. Bei einer Umlage der Kosten – üblicherweise pro Flasche – müsste Familie Lunelli 56 Prozent des Marketingbudgets finanzieren. ‚Das dann herstellerunabhängig auszugeben macht betriebswirtschaftlich keinen Sinn‘, fährt Sie fort und muss nicht extra erwähnen, dass sie das Geld stattdessen für das Sponsoring der Oscar-Gala verwendet.
Und doch versteht sich Camilla Lunelli als Botschafterin des ganzen Gebietes und macht für den Rest unseres Lunches etwas, was einem bei Produzententerminen eher selten passiert. Sie schildert mir eine Sicht auf ihre Heimat durch die neutrale Brille und gibt mir konkrete Tipps, was man – abgesehen von Ferrari – aus dem Trento DOC mal getrunken haben sollte. Leider hat kaum einer ihrer Wettbewerber einen deutschen Importeur, am ehesten Endrizzi und Cesarini Sforza begegnen einem gelegentlich im Fachhandel. Während wir uns also darüber unterhalten, welche Fremdschäumer das Aufspüren lohnen, verkosten wir das Ferrari-Portfolio.
Die Ferrari-Kollektion im Schnelltest
Wir starten direkt mit dem Ferrari Maximum Non-Vintage Blanc de Blanc. Den gibt es in Deutschland für deutlich unter 20 Euro, weswegen man sich mit dem einfachsten Basis-Ferrari gar nicht beschäftigen muss. Der Maximum liegt 30 Monate auf der Hefe und kommt ziemlich weinig daher, eher fruchtig-warm als mineralisch-frisch. Die Perlage extrem fein, aber mit der reifen Frucht und reifen Säure eher ein Speisenbegleiter als ein Aperitif. Letztere Funktion übernimmt der Perlé BdB 2013, der 5 Jahre auf der Hefe lag. Er kommt ohne Zukauf aus und ist daher in künftigen Jahrgängen aus ökologischem Anbau. Familie Lunelli bewirtschaftet alle eigenen Flächen seit 2017 bio-zertifiziert. Frischere Nase, griffigere Säure, exotischere Frucht, noch feinere Perlage und angenehm mineralischer Abgang. Ein Ausrufezeichen für weniger als 25 Euro.
Für die Riserva Lunelli baut die Familie Grundweine in 4000-Liter-Fässern aus österreichischer Eiche aus. Der 2008er in unserem Glas ist barock. Er braucht Luft. Nachdem er die hatte, finde ich reichlich Bratapfel in der Nase. Am Gaumen wird’s cremig, weinig, zeigt sich aber auch reife Säure und sorgt für Struktur. Die Feinheit der Perlage ist nicht ganz auf dem Niveau, das ich nach 100 Monaten Hefelager erwartet hätte. Trotzdem ein Bombenwein, vor allem, da wir immer noch nicht die 50-Euro-Marke gerissen haben. Bevor wir diese Linie überschreiten, naschen wir noch den Perlé Rosé 2013. Der füttert mein Vorurteil, dass Rosé-Schaumwein im besten Falle lecker, aber unterkomplex ist. Ich habe bisher nur wenige Ausnahmen getroffen. Dieser Rosé ist auch lecker, aber einfach. Dafür bereitet er den Weg für die grandiose Giulio Ferrari Riserva del Fondatore 2007. Von dem ordere ich ein Verkostungsmuster, weswegen Sie weiter unten eine längere Beschreibung finden.
Ein Jahr im Trento DOC
Ein Jahr ist diese wirklich angenehme Begegnung her. Damals beschloss ich, mich intensiver mit der Materie Trento DOC auseinanderzusetzen. Einige Tipps hatte ich ja schon, ein paar weitere fand ich im Internet. Also kaufte ich mir (die folgenden Weine sind keine Musterflaschen) diverse Flaschen aus diversen Quellen. Eine fand Einzug ins Podcast, andere tauchten im Laufe meines Trento-DOC-Jahres bei Instagram auf. Den Anfang machte ein Endrizzi. Der Piancastello Trento Brut Riserva 2013 zeigte vor allem warme, reife Frucht, Aprikose, Orange und mürber Apfel. Dann kam Reife in Form von Nuss und Brioche, insgesamt eher warm, aber auch sehr elegant, mit ausreichend Säure; 13% Alkohol muss man lesen um es zu glauben. Voll, aber elegant, seidig, lebendig und sowas kostet 19,50 Euro! Von Cesarini Sforza fand ich eine Riserva 2010 Extra Brut und die setzte vergleichbar molliger Frucht noch mehr vibrierende Frische entgegen – Begeisterung für 21 Euro.
Die Cuvée de Abate Riserva 2008 feierten wir im Podcast. Ich trank mich bei Abate Nero aber auch durch die restliche Kollektion und fand sie bockstark, sogar den Non-Vintage Rosé: in der Nase null Frucht, sehr würzig, am Gaumen dafür umso mehr Frucht, extrem beerig, wahnsinnig süß in der Anmutung, nicht im Geschmack, da wirkte das ganze sehr brut, feine Perlage, feine Reifenoten, ziemlich nobel und wirklich konkurrenzfähig (21,50 Euro, Abate Nero gehörte zu den hochpreisigen in diesem Feld voller spottbilliger Bubbles).
Radsportlegende Francesco Moser überzeugte mit seinem 51,151 (22€) ebenso wie Pedrotti mit dem Brut Nature (16€) und Maso Martis mit der Brut Riserva 2014 (26€). Enttäuschungen blieben aus, auch wenn Frescobaldi mit dem Brut lediglich solide lieferte, dafür kostete der Wein nur 13,50 Euro. Doss24 von Valle di Cembra war der schwächste Wein im Feld – und immer noch lecker trinkbar, wenngleich für knapp 20 Euro der einzige, der sein Geld für mich nicht wert war.
Alle Extras (fast) inklusive
Das schöne am Trento DOC ist, dass die Aufpreise für Jahrgangsbubbles und langes Hefelager so gering ausfallen. Bei vielen Erzeugern sparte ich mir die Basis und stieg gleich ziemlich weit oben ein. Den Vogel schoss die Cantina Valdadige mit dem Celebrer Millesimato 2014 ab. 50 Monate Hefelager, 17 Euro – und der Wein ist richtig gut. Balter Pas Dose 2011 (28€) bezeugte eine weitere Eigenschaft der Trento DOCs: die Weine sind fast alle sehr trocken oder gar nicht dosiert. Die eher reife Frucht, die dem etwas wärmeren Klima (im Vergleich zur Champagne) geschuldet ist, reicht vollkommen aus.
Zwei Erzeuger waren noch mit mehreren Weinen am Start: Die Genossenschaft des Cembra-Tals, Cembra Cantina di Montagna fand mit zwei Weinen aus der ‚Oro Rosso‘-Linie den Weg zu mir. Der Dosaggio Zero (15€) bot ein tolles PLV. Der einfache Brut mit seinem saftigen Spiel für 11,50€ setzte in Sachen Schnäppchen noch einen drauf. Mit seinem kreidigen Finish ist er ein Muss für Menschen, die bei Schaumwein auf die Frische der Champagne schielen, aber Angst vor zu aggressiver Säure haben.
Mein persönlicher Liebling unter den Entdeckungen war dann die Maison Levii mit zwei reinen Chardonnay-Schaumweinen. Der Pas Dose 2013 zeigte eine dem 50-monatigen Hefelager entsprechende Feinheit in der Perlage. Dazu war er relativ schlank, leicht cremig, aber mit schöner, kräftiger Säure. Zitrusfrucht und Kalk – das Vorbild war leicht zu erkennen, auch wenn die Frucht vollmundig erschien. Das wird nicht mehr lange nur 16,50 Euro kosten. Und dann der kleine Bruder, der Extra Brut 2014 in der im April 2019 degorgierten Version: mittelfeine Perlage, reife, schöne Säure, deutliche Brotrinde, gute Frische, eher körperreich, etwas Bratapfel und Kräuter, weinig, harmonische Dosage, nicht staubtrocken, aber angenehm kreidig/mineralisch im Abgang. Gefällt mir wahnsinnig gut und hat bei 12,50 Euro das vielleicht beste Preis-Genuss-Verhältnis, das ich bei Bubbles je im Glas hatte.
Wenn der Größte der Beste ist
Während dieses Jahres mit vielen verschiedenen Schaumweinen teils in Deutschland vollkommen unbekannter Erzeuger machte ich noch mal eine Flasche Ferrari auf. Es war der bereits erwähnten Perlé 2013. Auch im Lichte der Begegnungen mit so vielen guten Wettbewerbern war der noch beeindruckend. Am Ende steht daher für mich die Erkenntnis, dass – anders als bei Cinzano in Asti, Moët in der Champagne, Freixenet beim Cava oder Berlucchi in der Franciacorta – im Trento der größte Erzeuger tatsächlich auch der beste ist. Und sein Spitzenwein ist der uneingeschränkte Champion (95 Euro und auch hier stimmt das PLV):
Ferrari, Giulio Ferrari Riserva del Fondatore, 2007, Trento DOC, Italien. Der Wein ist nach dem Gründer des Hauses benannt. Dieser blieb kinderlos und wählte Camilla Lunellis Großvater, den Weinhändler Bruno Lunelli, unter diversen Bewerbern als Nachfolger aus. In der Nase frisch und hell und kreidig, mit etwas Brioche und getrockneten Kräutern. Am Gaumen mittelmollig, typische Chardonnay-Aromatik, dazu Akazienhonig und etwas Hefegebäck, dann bei allerfeinster Perlage ein sehr langer, mineralischer Abgang. Ein großer Prestige-Schaumwein.
Im Trento dominiert der Chardonnay und die Winzer haben die Möglichkeit, der Erderwärmung durch Ausweichen in die Höhe zu begegnen. Deswegen behaupten einige, das Trento sei prädestiniert die Franciacorta wieder zu überholen. Das würde die internationale Bekanntheit erhöhen und Verwechslungen mit Prosecco ein Ende bereiten. Damit einher ginge vermutlich auch gesteigerter Absatz und mehr Output der Wettbewerber, so dass sich ein schlagkräftiges Consortio bilden dürfte. Zwei der drei großen Probleme der Camilla Lunelli könnten sich also mit der Zeit von alleine lösen. Nur weichgekochtes Risotto wird sie wohl ihr Leben lang verfolgen.
Aber Sie hat großen Stoff zum runter spülen.