Drei Tage Wiesbaden, über 500 verkostete Weine (inklusive der beiden Abendveranstaltungen) – das verlangt nach einem Fazit.
Das wichtigste Vorweg: kaufen Sie sich aus dem Jahrgang 2021 (und auch aus 2020, sofern diese Weine jetzt erst auf den Markt kommen) einfach, was sie sowieso kaufen wollten. Wenn Sie bei mir nach Warnungen suchen, welchen Wein, der bei Ihnen auf der Kippe stand, Sie dieses Jahr auslassen sollten, muss ich abwinken. Mit einer Ausnahme vielleicht, zu der kommen wir später.
2021 ist ein Winzerjahrgang. Wer sauber (und fleißig) gearbeitet hat, der konnte einige gute Trauben ernten und wenn er dann im Keller bedächtig war, dann konnte er gute bis herausragende Weine produzieren, denn die allerbesten Weine kommen ja aus den Jahren, in denen die Trauben gerade eben reif werden. Es wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Einige Weine werden polarisieren.
Diese Geschichte erzählen Winzer und Händler unisono seit dem ersten Tag der Traubenlese 2021. Altmodisch ausgedrückt ist das ein Irrtum, neumodisch ausgedrückt ist das totaler Bullshit. Nicht einmal zwei Prozent der Weine in Wiesbaden war in meinen Augen ein Totalausfall, gerade mal ein Wein war so gruselig, dass ich niemanden finden konnte, dem er gefallen hat (und das war kein 21er). Dazu haben die Weine, die ich schaurig fand und andere nicht, in keiner Weise polarisiert. Es handelte sich entweder um milde Unterschiede in der Beurteilung (‚Na komm, grausam ist aber übertrieben…’) oder mich störte ein nicht ganz reibungslos verlaufener BSA, den andere nicht so schlimm fanden. Die Schuld liegt da klar bei mir: ich bin hochgradig pingelig, wenn es um diese Jogurt-Törtchen geht.
Ein Meer an ordentlichen Weinen
Andererseits gab es zum ersten Mal seit einer ganzen Weile keinen Wein in der Diskussion beim Mittagessen, bei dem alle juchzten, sofern er nur erwähnt wurde. Keiner fragte nach 100-Punkte-Kandidaten, weil keiner selbst während der Verkostung mit 100 Punkten liebäugelte. Wir verkosteten ein Meer von sehr guten Weinen, von denen viel weniger herausragend waren als in den letzten Jahren. Dazu waren die herausragenden auch nicht ganz so herausragend wie meist.
Die wahre Geschichte des Jahrganges lautet also: 2021 war ein Jahr, in dem es schwer war, hocharomatische, vollkommen reife und gesunde Trauben mit ausgewogenen Säurewerten und gutem Mostgewicht zu erzeugen. Manche waren aromatisch spannend, aber monstersauer, andere waren analytisch sehr ordentlich, aber aromatisch karg. Alles nicht so schlimm: erst wenn Trauben beides gleichzeitig sind, ist die K… am dampfen. Entsprechend schwer war es perfekte GGs zu produzieren. Die guten Winzer sind näher ran gekommen als die nicht so guten. ‚Näher‘ war aber selten wirklich nah. Es war aber auch keine Raketenwissenschaft, was Gescheites auf die Flasche zu kriegen. Allerdings habe ich große Einigkeit bei den Kollegen festgestellt, wenn es um das Pinot-Jahr 2020 geht. Das ist definitiv unterdurchschnittlich gut.
Ein paar Granaten kommen noch
Es wird Ausnahmen geben, weil es die immer gibt und weil in jedem Jahr irgendwo ein unerhörtes Mikroklima herrscht oder einer Lage ihre normalerweise hinderliche Besonderheit zum plötzlichen Vorteil gereicht. Und weil uns das in Wiesbaden nicht gleich aufging, werden das dann berühmte Irrtümer werden. Wenn dann in acht Jahren ein Weinfreund eine Flasche einer dieser Ausnahmen sozialmedial verwertet und dazu schreibt: ‚Diese Pfeifen von selbsternannten Experten, die 2021 niedergeschrieben haben, sind doch alle ahnungslos‘ – dann verweisen Sie den gerne hierher. Denn um es einmal klar zu sagen:
2021 ist ein überdurchschnittlich guter Jahrgang, wenn man die Durchschnittsqualität oder die minimale Zahl der Ausfälle bei den GGs betrachtet. Ein paar Highlights werden sich noch herausstellen – ich vermute allerdings erst in drei bis vier Jahren. Dass die Weinkritik sich irrt wie beim Jahrgang 2004, wo die Highlights nachher Legion waren, halte ich für unwahrscheinlich.
Und was ist jetzt mit der Pfalz, fragen sich vermutlich viele Leser des Tickers? Das ist die eine Ausnahme, die ich erwähnte. Die Pfalz hat bei mir nicht gut abgeschnitten. Mir haben sehr viele Weine nicht zugesagt, nicht weil sie schlecht waren. Ich mochte den Stil nicht. Für mich war das ein Rückfall in alte Zeiten. ‚Wir puffern viel Säure halt mit ein bisschen mehr Zucker weil die Pfalz ist ja immer ein Maul voll Wein, die darf das.‘ Und weil nicht ganz so viel aromatischer Druck da war und um die Säure noch ein bisschen zu stabilisieren/senken blieben viele Weine länger auf der Hefe liegen (das dabei in den Wein übergehende Extrakt ist identisch mit dem Geschmacksverstärker ‚Hefeextrakt’ in Brühwürfeln die auf Glutamat verzichten).
Die Pfalz als Zankapfel
Diese beiden Maßnahmen zusammen puffern (zumindest an meinem Gaumen) aber auch andere Aspekte wie Gerbstoffe und machen die Weine für mich limonadig (sofern Frucht da ist). In meinen ersten Jahren in Wiesbaden hat die Pfalz gefühlt meistens so geschmeckt. Dann wurde sie ‚steiniger‘ und ich fand das prima. Jetzt sind wir wieder beim alten Muster und das hat auch Fans. Die fühlen sich (möglicherweise seit langem endlich mal wieder) verstanden, abgeholt, bestätigt. Und die lieben und feiern das dann. Ich nicht. ‚Recht haben‘ ist da aber das vollkommen falsche Kriterium.
Anders zu agieren, haben viele Winzer in Rheinhessen beschlossen. Hier kommt auf die kräftige Säure noch eine spürbare Phenolik obendrauf. Puffernder Zucker? Fehlanzeige – der ist leider vergoren. Das sind Weine, die Menschen in meiner Blase wahlweise salzig, steinig, mineralisch oder ähnliches nennen. Viele Fans des anderen Stils finden das anstrengend und sind entsprechend von Rheinhessen dieses Jahr enttäuscht. Als ich die beiden Gebiete verkostet hatte, dachte ich bei mir, das Duell Rheinhesssen gegen die Pfalz ist dieses Jahr ausgegangen wie das Fußballspiel Bayern-Bochum am Sonntagabend. Ich hatte da noch keine Ahnung, dass die Weinwelt an dieser Stelle ernsthaft polarisiert ist: Wer ist Bayern? Wer ist Bochum? (Philipp Wittmann kriegt jetzt Schnappatmung, aber das ist ein Insiderwitz).
Und jetzt entscheiden Sie. Wenn Sie dieses Blog schon länger lesen oder gar die Weine aus meiner Vipino-Kollektion getrunken haben, dann wissen Sie meine Ausführungen sicher auf Ihre persönliche Vorliebe umzumünzen. Das heißt aber nicht, dass ich die Verantwortung für Ihren Einkaufszettel übernehme.
Hier ist die Liste der Weine, die mich spontan ganz besonders berührt haben:
Riesling
Van Volxem Scharzhofberger, Altenberg und Gottesfuss
Wittmann Morstein und Brunnenhäuschen
Baron Knyphausen Hohenrain 2020
Leitz Berg Roseneck 2020
Diel Pittermännchen
Gunderloch Rothenberg
Bassermann-Jordan Ungeheuer
Aldinger Gips Marienglas
Silvaner
Wirsching Kammer 2020
Weissburgunder
Bernhart Sonnenberg
Spätburgunder
Wagner Stempel Heerkretz
Dr. Wehrheim Kastanienbusch Köppel 2019
Rebholz Im Sonnenschein 2017
Becker Sankt Paul 2019
Dr. Heger Winklerberg Winklen „Rappenecker“
Michel Schlossberg
Heitlinger Königsbecher 2019
Burg Ravensburg Löchle 2019
Zwei Namen, die sich dieses Jahr auf meine Liste der richtig Guten gesetzt haben: Michel (das badische Weingut) und Claus Burmeister (Geschäftsführer Weingüter Burg Ravensburg und Heitlinger)
Hier geht es an Tag 1 um alles außer Riesling und Weissburgunder.
Hier geht as an Tag 2 um ganz viel Riesling
Hier geht es an Tag 3 und weitere Rieslinge und Weissburgunder
P.S. Wine of the Show war (trotzdem er nicht in der Liste auftaucht) Schätzels Naturwein-GG aus dem Pettenthal. Der ist großartig, in meinen Augen fast schon gefällig. Die Reaktion des amerikanischen Kollegen neben mir allerdings war ein Eintrittsgeld wert.
P.P.S. Kollege Raffelt ist auch schon mit allem durch. Sein Fazit finden Sie hier.
Ich komme mit der Beschreibung der Pfalz und der überragenden Kritik der Rings Kollektion von Sam Hofschuster, (der ja nun nicht als Restzucker-Fan bekannt ist :-D) irgendwie nicht überein. Kannst du hier vielleicht nochmal einen Satz zu schreiben?
Ich hab den Kreid nicht im Glas gehabt, deswegen kann ich dazu gar nichts sagen. Er ist auch kein GG.
Es sticht ja nicht nur der Kreid heraus. Auch z.B dem Saumagen attestiert er ja, dass er ein großer Wein ist. Mir geht’s auch gar nicht so sehr um die Punkte, sondern eher versuche ich die Diskrepanz zu erfassen. Wahrscheinlich muss ich dazu einfach selber probieren. Wunderte mich nur dass die Pfalz teilweise so schlecht abschneidet, Sam dem Weingut Rings z.B aber eher eine Overperformance attestiert.
Du hast das immer noch nicht verstanden, oder? Die Tatsache, dass ich den Saumagen oder Weilberg nicht erwähne heißt weder, dass sie mir nicht gefallen haben, noch dass ich ihnen Restzucker attestiere. Das ist allein Deine Interpretation und sie ist falsch. Der Saumagen mit seiner Schießpulvernase und der auf den ersten Schluck sehr leise Weilberg tauchen nicht auf, weil ich sie auf die Schnelle nicht bewerten konnte. Dass Rings‘ grundsätzlich zu den Trockensten in der Pfalz gehören, weißt Du ja als Fan vielleicht.
Entschuldige, ich bin wirklich noch Anfänger in der Welt der Weine. Ich wollte keine Diskussion vom Zaun brechen. Mir war das eben nur aufgefallen. Da du und Sam meine liebsten Weinkritiker seid und ich wahnsinnig viel von euch lerne wollte ich da nur mal nachfragen. Ich wollte auch wirklich nicht irgendwie sagen wie toll doch Rings ist. Ich weiß nichtmal dass die in der Pfalz zu den Trockensten gehören. Das du die Weine nicht so gut fandest hatte ich jetzt nur daraus geschlossen, dass du geschrieben hattest nur bürklin Wolf hat Normalform erreicht. Also nochmal: sorry wollte dich nicht irgendwie nerven, versuche nur zu lernen und hab mich gefragt wie sowas wohl zustande kommt. Die Welt der Weine ist für Neulinge oder für mich zumindest manchmal etwas schwer zu verstehen.
Es ist völlig normal, dass man diesen Eindruck nicht aus dem Kopf kriegt: wenn der Wein nicht erwähnt wird, ist er nicht gut. Stimmt aber halt nicht. Auch normal ist zu denken, dass sich eine generalisierte Kritik auf alle Weine bezieht, selbst wenn ich schreibe: viele Weine – was ja gerade nicht alle sind. Und was die Normalform angeht – bei Rings wäre die Normalform, dass mich alle drei Weine aus dem Stand glücklich machen. Das war jetzt nicht der Fall. Aber auch das bedeutet noch nicht sehr viel. Das Sam jetzt so begeistert ist, basiert auf einer dreitägigen Verkostung. Die muss man sowieso immer höher einschätzen als den schnellen Probeschluck. Manchmal lässt er sich allerdings auch von seiner Begeisterung davon tragen 😉
Vielen Dank für die wieder einmal tolle Berichterstattung!
Würdest du denn Bürklin-Wolf von der allgemeinen Pfalzkritik ausnehmen? Was ich bei Christoph Raffelt gelesen habe klingt jedenfalls nicht nach zu viel Zucker und insgesamt sehr positiv.
Ja, wollte ich noch irgendwo schreiben: einzig B-W hat Normalform erreicht. Dann habe ich gedacht: bei den Preisen ist Normalform ja die kleine Schwester von Halsabschneider – und hab‘s gelassen. Du weißt, was ich meine?
Ich denke, ja…. Vielen Dank!
Spannendes Fazit, vor allem was die Pfalz angeht.
Wenigstens haben wir nun eine geeinte Pfalz die wir letztes Jahr noch zerredet haben…
Dieses Jahr dann doch eher vielleicht ein paar Rheinhessen einkaufen, mal sehen.
Wie war denn die Reaktion des amerikanischen Kollegen (und allgemein) auf den Schätzle? Habe ich das irgendwo überlesen ?
Nee, das konnte ich nicht auch noch aufschreiben während der Verkostung. War halt typisch: der Wein ist total oxidiert, bitte Konterflasche (der Wein ist sicher oxidativer ausgebaut als Gunderloch & Co, aber vor allem war es der einzige 2020er im Flight). Dann hat man ihm das erklärt, dann guckte er ganz missmutig. Dann fand er den Wein total überholzt. Dann habe ich ihm erklärt, dass der Wein zweitbelegt im Stockinger ausgebaut wurde und dann hat er irgendwas in seinen Bart gegrummelt. Halt supertypische Situation, wo Menschen überfordert sind, wenn ein Wein gewohnte Pfade verlässt und man ums Verrecken nicht zugeben mag, dass das gelungen ist. Und das ganze gab es zwei Mal, erst beim Hipping, dann beim Pettenthal.
Weißt du, ob sich dieser Stilwechsel bei Schätzel jetzt durch alle Qualitätsstufen durchzieht, oder hat er das jetzt erstmal nur bei den GGs probiert? Die Beschreibungen von Christoph Raffelt und dir haben nämlich total neugierig gemacht, aber die GGs sind halt auch preislich ne eigene Liga…
Mehr Natürlichkeit zieht nach und nach überall bei uns durch… naturweiss, Steiner Silvaner und Fuchs Riesling sind schon länger ungeschwefelt und unfiltriert…
Danke Kai.