Spaniens Naturweinszene ist überschaubar und in Deutschland selten vertreten, doch es lohnt sich, ihre Erzeugnisse notfalls selbst zu importieren. Es gibt ungemein bereichernde Weine zu entdecken – sogar aus Verdejo.
Wer die Fotos von Esmeralda Garcia auf der Webseite ihres Weinguts betrachtet könnte leicht den Eindruck gewinnen, da sei die Praktikantin mit aufs Bild geraten. Doch die Winzerin ist bald 20 Jahre im Geschäft. Nach Ausbildung, Lehr- und Wanderjahren übernahm sie 2013 im 500-Seelen-Dorf Santiuste de San Juan Bautista die Weinberge ihres Großvaters, die gleichzeitig der Spielplatz ihrer Kindheit waren.
Verdejo de Segovia – uralt im Zipfel
Santiuste liegt in der Provinz Segovia, im südöstlichen Zipfel des Anbaugebietes Rueda und zeichnet sich gemeinsam mit ein paar umliegenden Dörfern durch sehr sandige Kalksteinböden aus. Dieser Sand hält seit jeher die Reblaus auf Distanz und so ist Esmeralda Garcias Heimat auch Heimat der ältesten Rebanlagen der Sorte Verdejo. Doch weil Verdejo seit den 80er-Jahren international vor allem als frischer Leichtwein reüssiert, machten viele dieser Anlagen Getreide- und Kartoffelfeldern platz. 130 bis 220 Jahre alt sind ihre Reben und man glaubt ihr sofort, wenn sie in der Weingutspräsentation davon berichtet, wie ehrfürchtig man mit der Rebschere vor diesen knorzigen Geschöpfen steht und denkt: jetzt bloß nichts falsch machen! Schließlich ist ihre Zeit mit den Reben nur ein kurzer Abschnitt auf deren Zeitstrahl. Also ist Zurückhaltung die oberste Maxime im Weingut Esmeralda Garcia.
Alte Reben wurzeln tief und geraten seltener in Trockenstress. Doch das reicht nicht als Antwort auf die sich verändernden Bedingungen. Eine dichtere Laubwand als Schutz vor Sonnenbrand ist ebenfalls Teil gängiger Konzepte. Mehr Blattgrün bedingt mehr Photosynthese und die führt zu mehr Zucker in den Trauben. Höhere Erträge helfen wiederum gegen zu kräftige Weine, doch da steht dann das Alter der Reben vor, die oft nicht die gleiche Traubenmenge erbringen wie jüngere Anlagen. Also versucht Esmeralda Garcia gar nicht erst, einen typischen weißen Rueda zu produzieren. Sie setzt stattdessen auf das volle Naturweinprogramm. Korbpresse, Tonamphoren, Ausbau auf der Vollhefe, keine Mikrofiltration, Verzicht auf Schwefel, Bezeichnung als Landwein aus Kastilien und Leon.
Kleine Entdeckung per E-Mail
Durch einen Händler-Newsletter erfuhr ich von Esmeralda Garcias Weinen und recherchierte ein bisschen. Was mein Dealer da behauptete, war kein Marketing-Gewäsch. Einschlägig beleumundete Freaks singen ein Loblied auf die Weine. Also orderte ich zeitnah ein Set. Die Lagenweine erscheinen im Jahrgang 2019 in Auflagen von 500 bis 600 Flaschen, lediglich vom Ortswein gibt es 11.000. Aus 5,5 Hektar Rebfläche stammen die Weine – wahrhaft niedrige Erträge. Bei Neu-Entdeckungen lade ich mir gerne Freunde zur Probe ein und da das Wetter eine solche unter freiem Himmel zuließ, versammelten wir uns zu acht. Die Winzerin hatte eine Reihenfolge vorgeschlagen, an die wir uns hielten.
Alle Lagenweine werden identisch produziert. Handlese, Langsame Pressung auf einer Korbpresse (also ohne Maischestandzeit), Vergärung in Tonamphoren, Ausbau auf der Vollhefe für 6 Monate, Abfüllung ohne Mikrofiltration und Zusätze. Alle Weine hatten weniger als 10 Milligramm Schwefel total und 13,5 Prozent Alkohol. Wir öffneten direkt zur Verkostung, hatten aber genug für eine zweite Runde nach einer Stunde.
Verdejo natur – klar und rein
Der Start war schwierig. Der erste Wein zeigte sich karg und verschlossen mit etwas Schärfe. Der Weinberg ‚Vallejo‘ liegt mitten im Dorf, ist von Häusern gegen Wind geschützt und hat eine Auflage von 2 Metern Sand bevor der Lehm kommt. Frische Nase mit sehr dezentem Stinker, extrem konzentriert und beißend mineralisch, aber kantig und abweisend. Ich wurde ein bisschen ängstlich. Doch rückblickend halte ich die Hoffnung für gerechtfertigt, dass dieser Wein einfach Reife braucht. Die nächsten drei Lagenweine zeigten sich nämlich grandios. ‚El Carrascal‘, auf 880 Metern höchstgelegener der vier Weinberge, ist ein Hochplateau mit 1,5 Metern Sandauflage. Die Reben sind 180-200 Jahre alt. Ein unglaublich konzentrierter Wein mit etwas Mostbirne in der Nase, am Gaumen aber frischerer Birnenfrucht und wahnsinnig charmantem Schmelz bei großer aromatischer Tiefe. Kräftig und harmonisch. Not your usual Verdejo, aber ein wunderbarer Wein.
So etwas ähnliches wie Typizität dann im ‚La Fuentecilla‘, dessen Herkunftsweinberg von einer Wasserader durchzogen ist, die auch an die Oberfläche durchbricht (daher der Name). Die Nase zeigt die würzig-blumigen Noten, die man dem Verdejo nachsagt. Am Gaumen wird’s wollüstig, denn im Abgang schleicht sich ein unglaublich leckerer Ton von gebrannten Mandeln ein. Nein, da war kein Holz im Spiel, allein man könnte schwören…
‚Extreme Saftigkeit mit der Frische unreifer Williamsbirne‘ beschreibt ein Mitverkoster die Stärke des ‚Vayuste‘ und mit ‚unreif‘ ist hier nichts Bittergrünes gemeint, sondern das Stadium bevor die Vollreife einsetzt. Der auf 800 Metern tiefstgelegene der Weinberge ist eine Mischanlage, in der Kiefern und 180-220 Jahre alte Reben durcheinander wachsen. 3 Meter Sand, gerade mal 30 Zentimeter Lehm und wieder zwei Meter Sand. Doch die Bäume spenden Schatten und halten morgens die Kühle fest. Im Abgang kommt eine schwächere Variante der gebrannten Mandel dazu. Blind wäre ich im Burgund, gehobene Liga und meilenweit entfernt von Naturwein. Das ist bockstark! Und alle Lagenweine kosten 18,50 Euro!
Der Ortswein ‚Arenas de Santyuste‘ kostet nur 14,50 und stammt aus allen vier Lagen. Abgebeert, langsam auf einer pneumatischen Presse gepresst und zu 70 Prozent in Edelstahl und 30 Prozent in Tonamphoren vergoren, ist er der Wein, der die deutlichsten Naturweinaromen zeigt und obwohl die Gruppe denen sehr zugetan ist (drei Teilnehmer handeln damit), kommt uns das nach der Feinheit der Lagenweine etwas zu rustikal daher. Allerdings sorgt der leichte Gerbstoff für einen zusätzlichen Frische-Kick, der den Wein in eine ganz andere Richtung bringt, die in anderem Set-up vermutlich bessere Bewertungen bringen dürfte.
Ganz erwachsen und in guter Gesellschaft
Nach der Probe, zum Essen, mussten sich die Weine mit allerlei Rahmenprogramm – natural und nicht natural – messen. Gestartet hatten wir mit Champagner aus gemischtem Satz, weiße Anschlussweine waren ein maischevergorener und ein im Kastanienholz ausgebauter Rias Baixas, ein natural Gamay, Weißburgunder von den Brand Bros., ungeschwefelter Trollinger und schließlich ein ganz konventioneller Pinot Noir. Sogar gegen die fantastischen Weine von Eulogio Pomares konnten die Verdejos bestehen. Da wächst was heran in Santiuste. Fehlt nur noch ein deutscher Händler, der das ins Programm nimmt.
Hinweis: auf eigene Rechnung erworbene Weine, die zwar keinen Händler in D haben, aber von mehreren spanischen Händlern nach Deutschland versandt werden. Sie finden sie leicht im Internet.
Update: Pinard de Picard hat eine winzige Menge für den Deutschen Markt zugeteilt bekommen.