Wenn heutzutage in einem Blog ein ‚Gastbeitrag‘ erscheint, ist das meist ein Euphemismus für Werbung. Auch mir werden ständig Gastbeiträge (samt Honorar für deren Veröffentlichung) angeboten. Ich lehne regelmäßig ab. Solcherlei Vorrede ist nötig, folgt doch ein Gastbeitrag. Ein Echter, von mir erbeten und mit einer guten Flasche Wein vergütet. Denn es sind zwei politische Bücher zum Wein erschienen, deren Blickwinkel schräg genug ist, um in dieses Blog zu passen. und da ein Weinfreund von mir zufälligerweise sehr tief im Berliner Politbetrieb steckt, war es für mich klar, wenn es zu diesen Rezensionen kommt, dann muss der Wolf es machen. Hier also zwei Buchbesprechungen von Dr. Wolf Albin.
Jochen Oppermann „Im Rausch der Jahrhunderte – Alkohol macht Geschichte“, Wiesbaden 2018*
Mit seinem Erstlingswerk hat sich der rheinland-pfälzische Realschullehrer Jochen Oppermann einiges vorgenommen, nämlich den Promillegehalt der (vorwiegend westlichen) Weltgeschichte zu dokumentieren. In 23 Kapiteln spürt der Autor von der Antike über das auch hier sehr finstre Mittelalter bis in die frühe Neuzeit und Moderne dem Restalkohol im Atem der Geschichte nach. Ob Bier, Wein oder Weinbrand ist ihm egal. Oppermann geht es darum, den Einfluss von Alkohol auf Kriege, Schlachten und Weltreiche in jeder Darreichungsform abzuschätzen. Sein durchgängiges Fazit: Nüchtern sei es bei Monarchen, Militärs und noch modernen Demokraten selten zugegangen. Alexander der Große, August der Starke und Winston Churchill waren trinkfest und das war auch gut so, jedenfalls so lange sie nicht übermäßig soffen, so sein Fazit.
Vieles von dem was der 38jährige Autor auf 290 Seiten an Geschichte und Geschichtchen ausbreitetet, kommt dem Leser seltsam bekannt vor, meint es an anderem Ort bereits gelesen zu haben. Egal. Aber ist es wirklich so weltbewegend, dass die kölnische Bürgerschaft ihre Unabhängigkeit vom Erzbischof über dessen Rausch erstritten haben soll, dass Kaiser Karl V. kaum Deutsch sprach doch dem Bier zugetan war und dass es flaschenweise Gründe gab, Willy Brandt den Spitznamen „Weinbrand Willy“ anzudichten? Wenn der Autor dann die christlich orthodoxe Missionierung Russlands der rauschbedingten Untätigkeit des zu Recht vergessenen byzantinischen Herrschers Michael III. zuschreiben möchte, nimmt er den Untertitel des Buches vielleicht selbst etwas zu ernst. Das Kapitel über die kulturgeschichtliche Bedeutung des Alkohols und vor allem des Bieres bei der Entstehung der ersten Stadtstaaten im Gebiet des Fruchtbaren Halbmonds kommt weitgehend ohne solche Brechstangenlogik aus und liest sich wirklich interessant. Hier erfahren wir immerhin, dass früher alles schlechter war. Diese ersten Biere waren noch mit Getreidekörnern aus dem Gärprozess versetzt und mussten durch ein Röhrchen konsumiert werden. Das bleibt eine der wenigen kulturhistorischen und interessanteren Ausführungen. Über die hygienischen Gründe, aus denen Menschen im Mittelalter heute unvorstellbare Mengen an Bier konsumierten, hätte man gerne mehr erfahren wie auch der Anspruch von Proletariern zu klären gewesen wäre, sich einen Teil des Lohns in (Leicht-) Bier auszahlen zu lassen. Stattdessen reiht der Autor eine historische Anekdote an die andere und – siehe da – bei der amerikanischen Unabhängigkeit stand möglicherweise irgendwo eine Schnapsflasche herum. Und dass die Soldaten im Zweiten Weltkrieg sich ihren Horror wegsoffen, überrascht auch nicht.
Macht Alkohol wirklich Geschichte? Mit der Kausalität solcher Erklärungen ist es selten weit her. Dächte man den Alkohol weg, wäre das osmanische Großreich trotzdem expandiert und die deutschen Einigungskriege hatten eine Logik jenseits von Bismarcks Vorlieben für Champagner. Möglicherweise sollte man die Fragestellung umdrehen: Wäre Sir Winston Churchill ohne seinen Sherry zum Frühstück, Champagner zum Lunch und Whisky zu allen Tageszeiten nicht ein noch besserer Staatsmann gewesen?
Für die Alkoholfahne, die bisweilen über der Geschichte weht, gäbe es andere, bessere und ernstere Erklärungen. Die Staatsmänner (Frauen sind keine dabei) brauchten ihr Quantum möglicherweise weniger, um Geschichte zu machen, als zu ertragen. Das Wort „Schlacht“ kommt nicht umsonst von „Schlachten“. Wer auf Menschen mit dem Schwert losgeht, trinkt sich vorher Mut an. Wer Churchills Biografie kennt, weiß wie wenig Zuneigung ihm sein Vater zeigte und wie unerbittlich das englische Bildungswesen des 19. Jahrhunderts war. Bismarck litt genauso wie Willy Brandt an Depressionen. Alexander der Große wuchs am Hof seines Vaters auf, wo Mord und Totschlag genauso wie im Palast des Sultans als übliche Methoden der Thronfolgeregelung galten. Und wie Caligula starben fast alle römischen Imperatoren eines unnatürlichen Todes. Nüchtern war so viel Gewalt wahrscheinlich wirklich nicht zu ertragen.
Das Buch „Mit Wein Staat machen“ widmet sich einem nur scheinbar ähnlichen Thema. Knut Bergmann schreibt zwar ebenfalls über historisches. Doch in „Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ geht es dem Berliner Bergmann weniger um den Weinhauch der Jahrhunderte als um die Frage des deutschen Selbstverständnisses und vor allem des Selbsteinschätzung seiner Staatsdiener. Der Staat präsentiert sich in Fahne und Hymne genauso wie in seinen Banketten und seiner Weinauswahl. Weinauswahl ist Staatsmarketing. Doch wie funktionierten und funktionieren Rituale, Zeremonien und Staatsrepräsentation hierzulande? Was schenkt man da seinen Staatsgästen aus?
Wenn Staaten zu Tisch bitten geht es viel um Symbolik. Wer sitzt wie nah am Herrscher, wie wertvoll sind die ausgeschenkten Getränke, wer wacht über die Tafel und wer über den Wein? Wie und was getafelt wurde, das war damals wie heute immer auch ein Zeichen von Macht und Selbstbild. Frankreich hat es beim Weinausschank weniger wegen der prestigeträchtigen Gewächse aus Burgund, Bordeaux und der Champagne einfacher als wegen eines ungebrochenen Selbstverständnisses als Grand Nation. Deutschland hat ebenfalls eine lange Geschichte im Weinbau doch eine kürzere Tradition als Nation, die zudem durch zwei Weltkriege eingeschnitten und über vierzig Jahre lang in zwei Staaten zerteilt wurde. Welcher Wein ist die beste Begleitung zum deutschen Wesen, wenn man gerade einen verbrecherischen Angriffskrieg verloren hat?
Die junge Bundesrepublik prägte das vom ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss ausgegebene „Pathos der Nüchternheit“, dem sein bescheidener Lieblingswein, Lemberger vom heimischen Brackenheimer Zweifelberg, wohl auch entsprach. Hochrangigen Staatsgästen schenkte man beim Bundespräsidenten dagegen immer wieder auch hochgeschätzte Vorkriegsware aus. Die Weinauswahl glich in den Wirtschaftswunderjahren und seinen kulinarischen Vorlieben einem Trial and Error-Vorgehen und allzu oft ging man auf die scheinbare Nummer sicher und griff auf Französische Weine zurück. Selbstbewusst war das alles nicht und sollte es wohl entsprechend der Gefühlslage der Zeit auch nicht sein. Das Leben für das Protokoll wurde später nicht einfacher, obwohl Deutschland prosperierte. Erinnert man sich an die Weinbau“kunst“ der 60er- und 70er Jahre, dann konnte die Staatsbediensteten bei der Zusammenstellung der bundespräsidialen Menükarten nicht eben aus dem Vollen schöpfen. Manche von Bergmann ausgegrabene Menükarte erzeugt sogar den Eindruck als habe man sich in der Villa Hammerschmidt schlicht keine Gedanken um die Weinauswahl gemacht. Der Genuss, so viel sei verraten, fiel gerade in der Bonner Republik oft genug hinten runter. Ob aus Mangel an qualitativ hochwertigem Wein, deutscher Sparsamkeit oder aus Lieblosigkeit; das Weinangebot blieb in doppelter Hinsicht bescheiden.
Nicht viel besser war es um die Weine der Bundeskanzler bestellt, obwohl der erste Amtsinhaber durchaus als vinophil gelten durfte. Konrad Adenauer erwarb seine Weinexpertise noch zu Weimarer Zeiten und war stolz auf seinen kleinen Vorrat an Steinberger Trockenbeerenauslese 1921, des für Süßweine größten Jahrgangs des vergangenen Jahrhunderts. Die Affinität des ersten Bundeskanzlers fand hingegen unter seinen Nachfolgern im Amt bis Helmut Kohl in den Kanzlerbungalow einzog kaum Nachahmer, die kurzzeitige Ausnahme Kurt-Georg Kiesinger einmal ausgenommen. Allein die Zahl der servierten fragwürdigen Sekte, vom Kessler Hochgewächs bis Deinhard Senior Sekt, lassen Staatsbankette im Kalten Krieg im Nachhinein als frugale Veranstaltungen erscheinen. Noch bis in die 80er Jahre soll es im Berliner Schloss Bellevue Flaschen eines 1973er Beaujolais Domaine des Ravaty gegeben haben. Die Würde des Weintrinkers war antastbar.
Doch welche Alternativen hätte es für das sonst hinsichtlich Essensauswahl und Rücksichtnahme auf die individuellen Bedürfnisse von Staatsgästen ausgesprochen rührige Staatsprotokoll gegeben? Ein breit vertretener Qualitätsanspruch im deutschen Weinbau existiert erst seit 1990. Vor 1994 durften selbst im VDP die verheerenden Großlagenbezeichnungen verwendet werden. Der Wechsel setzte erst zehn Jahre nach der Einheit ein. 1999 zog der Bundestag von Bonn nach Berlin. Im Jahr 2002 brachte der Verband dann die Ersten und Großen Gewächse auf den Weg. Seither wächst das Selbstbewusstsein der Berliner Republik synchron mit den Qualitätsanstrengungen im Weinbau.
Staatsgäste dürfen sich seit der Amtszeit von Horst Köhler jedenfalls darüber freuen, dass ein Drittel der ausgeschenkten Weine die qualitative Spitze des jeweiligen Weingutes darstellen, wie »Cuvée X« vom Weingut Knipser oder ein Silvaner Grosses Gewächs aus dem Würzburger Juliusspital. Die steigenden Durchschnittstemperaturen sorgen zudem dafür, dass ein selbst im weinselbstbewussten Kaiserreich offenes Problem mittlerweile eine Lösung gefunden hat. Wo passablen deutschen Rotwein hernehmen? Bis 1960 existierte mit dem Assmannshäuser Höllenberg eine international satisfaktionsfähige Weinlage, die von der gleichnamigen Domäne seit diesem Jahrgang aber restsüß ausgebaut wurde. Erst ab Mitte der 90er Jahre kamen u.a. mit den Weinen von Rudolf Fürst und Meyer-Näkel wieder roter Glanz aus heimischen Anbau ins Glas.
Das sind beileibe nicht die einzigen Nennungen in dem Buch, das neben einem Personen- sinnvollerweise über ein sechsseitiges Erzeuger- und Lagenregister verfügt. Hier ist von Abbotts & Delaunay bis zum Würzburger Stein alles aufgelistet, was sich auf knapp 330 Seiten und in mehr als hundert Jahren ausgeschenkt wurde und sich recherchieren ließ. Außerdem hat der Autor systematisch Menükarten der Bonner und Berliner Staatsempfänge gesichtet und damit echte Quellenarbeit geleistet. Wann ist seit Stuart Pigotts „Wein spricht Deutsch“ zuletzt überhaupt ein Werk erschienen, das nicht nur auf Blogs und in alten Büchern bereits publiziertes Wissen neu zusammengesetzt, sondern neu recherchiert ist? Mir hat die Lektüre viel Neues eröffnet.
*Die Links zu den Büchern sind Affiliate-Links. Wenn Sie die Bücher über diese Links bestellen, erhalte ich eine Provision, ohne dass das Buch für Sie teurer wird.
Für Amazon-Meider auch bei Thalia online erhältlich.
Jochen Oppermann „Im Rausch der Jahrhunderte – Alkohol macht Geschichte“*
Knut Bergmann „Mit Wein Staat machen – eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“*
Super Gastbeitrag! Da man alkoholisiert eher spontan unbedachter Entscheidungen trifft ist durchaus bekannt. Bei Anführer XY, welcher aber eh mit Standgas fuhr, frag ich mich ob diese eher umgekehrt bei zunehmender Nüchternheit und steigendem Entzug unzurechnungsfähiger wurden.
Die den Büchern übergeordnete Frage für mich, ist ein gesellschaftlicher Subtext, der die Frage aufwirft, wie in unserer Gesellschaft eine legale Droge konsumiert wird und was das mit ‚uns‘ als Gesellschaft macht. Alkohol ist ja kein harmloses Getränk und hat, neben den unvermeidlichen Langzeitschädigungen, auch sehr unmittelbare Auswirkungen. Es ist eine interessante Vorstellung, sich damit zu beschäftigen wie diese gesellschaftlich akzeptierten und oft sogar absichtlich bezweckten Räusche, die Geschichte vielleicht nicht gleich ‚verändert‘, sicherlich aber beeinflusst haben können.
Definitiv einen Gastbeitrag wert!
Was das, erste Buch angeht, so finde ich Fragestellung und Thema in jedem Fall interessant. Ich denke allerdings, es wird immer schwierig, wenn man „das eine Ding“ als Quintessenz dessen verkauft, was die Weltgeschichte beeinflusst habe. Ähnlich eindimensionale Ansätze kenne ich bereits von anderen Büchern, wo man versuchte Bier oder auch der Kartoffel einen derart umfassenden Einfluss zuzuschreiben. In entsprechenden Werken findet man in der Regel viele interessante und oftmals auch amüsante Anekdoten über den jeweils im Mittelpunkt des Interesses stehenden Gegenstand, dem jedoch fast immer eine zu große Bedeutung beigemessen wird. Gewiss habe auch ich mir schon die Frage gestellt, welche bedeutende historische Persönlichkeit welche Entscheidung vielleicht im Rausch getroffen haben mag und nicht umsonst wird auch immer wiederkehrend mal die Frage aufgeworfen ob Hitler nicht vielleicht drogenabhängig (oder wahlweise auch wahnsinnig) gewesen sei. Inwiefern aber gerade Entscheidungen, die von wenigen Individuen abhängig waren wirklich aufgrund eines Rausches so getroffen wurden, wie sie eben getroffen worden sind, oder ob es nicht auch ohne Rauschmittel zum selben Resultat gekommen sein würde, lässt sich nicht zweifelsfrei beantworten.
Ich denke man sollte dieses Buch daher einfach als eine Ansammlung von gewiss interessanten Anekdoten rund ums Thema Alkohol lesen, aber nicht als Antwort auf die Frage nach der Ursache weltpolitischer Entscheidungen.
Was solche Anekdoten angeht, so kann ich übrigens selbst noch eine beisteuern, denn der berühmte Henri de La Tour d’Auvergne, Vicomte de Turenne, Marschall von Frankreich, soll bei mir um die Ecke um die kampflose Übergabe einer Burg bzw. den Abzug der Belagerungstruppen gewettet haben, wenn er es schaffe, an jedem Burgtor einen Krug Wein zu leeren. Nach, wenn ich mich Recht entsinne 13 Krügen, brach er nach der Hälfte der Tore trunken zusammen und musste wohl nach eintretender Ernüchterung mit seinen Mannen abziehen.
Obs stimmt mag nun glauben oder auch nicht, unterhaltsam ist die Geschichte gewiss, aber nicht zwingend ein Beleg für den Einfluss des Alkohols auf den Verlauf der Geschichte, denn nachweisbar ist wohl nur, dass Turenne die Burg erfolglos belagerte, aber nicht weshalb.
Was im Übrigen die Mönche im Mittelalter und generell den Konsum von Alkohol als Alternative zu bakterienverseuchtem Trinkwasser angeht, ist mir bekannt, dass Mönche jedenfalls zur Fastenzeit um die zehn Liter Bier pro Tag tranken, man jedoch nicht vergessen darf, dass das Bier zur damaligen Zeit deutlich weniger Alkohol gehabt haben dürfte als heute und man in der Fastenzeit wohl besonders viel davon konsumierte.
Betreffend den Alkohol als Trinkwasseralternative muss man nicht bis ins Mittelalter zurückgehen um hier entsprechende Beispiele zu finden. Noch auf Expeditionen in die Tropen während des 19. Jahrhunderts wurden gerne alkoholische Getränke genossen, da das örtliche Wasser verseucht sein konnte und noch der berüchtigte „Kongo Müller“ soll sich aus diesem Grund seine Alkoholabhängigkeit zugezogen haben.
Bezüglich des zweiten Buches kann ich nur sagen, dass ich hier durchaus erstaunt bin, aber über dieses Thema auch bisher nie intensiver nachgedacht habe. Ich ging in meiner Naivität bisher davon aus, dass auf deutschen Staatsbanketten, wohl nur das Feinste von Feinen serviert wurde, eben auch aus dem Ausland. An das Selbstverständnis den Gästen natürlich Erzeugnisse des eigenen Landes servieren zu wollen und die Probleme, die die Billigsüßweinjahre ein Deutschland dabei wohl mit sich brachten habe ich nicht gedacht. Trotzdem bin ich hier ein wenig erstaunt, dass man sich hierüber wohl auch wenig Gedanken gemacht hat, denn auch in Jahren der Krise, gab es doch durchaus Betriebe mit einem hohen Anspruch an die Qualität ihrer Erzeugnisse, auch wenn das besonders im Rotweinbereich schwierig gewesen sein mag.
Interessanter Kommentar. Danke