Chianti Classico Tipps

Warten auf den Durchbruch

Ich hatte die Gelegenheit, etwas über 100 Chianti Classicos zu verkosten und mir ein paar besonders schöne zur ausführlicheren Verkostung nach Hause zu holen.

Ich warte. Schon eine Weile. Auf den Chianti-Classico-Boom. Er ist eigentlich ein Selbstläufer. Alle Voraussetzungen sind da. Aber noch bleibt er aus. Keine Ahnung warum. Immerhin bemüht das Konsortium der Winzer des Chianti-Classico-Gebietes sich jetzt wieder etwas intensiver um den deutschen Markt. Vielleicht ist das der Startschuss. Zumindest bot sich mir dadurch die Gelegenheit, einen Vortrag über die jüngsten Entwicklungen der Subzonen des Chianti-Classico-Gebietes zu hören. Ich bin jetzt wieder auf dem neuesten Stand.

Ich bin Chianti-Fan, das ist kein Geheimnis. Ich empfehle auch gerne Chianti, weil das eine Empfehlung ist, die einem nie um die Ohren fliegt. Gut, es gibt noch ein paar weitere Gründe, guten Chianti zu empfehlen, vor allem Classico. Zählen wir Sie doch mal auf. Sie sind schließlich auch die Gründe, warum ich an einen baldigen Chianti(-Classico)-Boom glaube.

Geschmacklich voll im Trend

Die Menschen stehen schwer auf Rotweine aus dünnschaligen Trauben, die im Abgang eher seidig wirken und einen guten Teil ihrer Struktur aus der Säure ziehen. Da kann man so schön begeistert ausrufen: ‚das ist total burgundisch‘ – sogar dann, wenn man die Weine des Burgunds dünn und sauer findet. Dann sind autochthone Rebsorten total schick, vor allem, wenn man ihnen ihre gelegentlichen Unzulänglichkeiten mit der Zugabe von ein paar Prozent guter alter Bekannter oder anderer autochthoner Rebsorten (ist eigentlich egal, hat beides gleich gutes Geschichten-Potenzial) austreiben kann. Eine komplizierte Herkunftsstruktur, die nur Kenner durchschauen, ist quasi ein Muss (alternativ ein vielen noch unbekanntes, uraltes, winziges Anbaugebiet). Premiumuntergruppen, die gar keiner mehr versteht, sind die Kirsche auf dem Kuchen. Die Zusatzzahl bei so einem Lottogewinn ist dann noch das Stichwort ‚Klimawandelgewinner‘.

The Grand Berlin
Das The Grand in Berlin bot einen stilvollen Rahmen

Ironie beiseite. Das ist tatsächlich so ziemlich alles, was beispielsweise den Mencia-Boom befeuert. Und es ist eins zu eins auf den Sangiovese übertragbar. Classico, das Kerngebiet, ist eine mit Qualität assoziierte Premium-Herkunft, Riserva und zuletzt Gran Selezione bieten Orientierung bezüglich Qualitätsstufen. Das Chianti-Gebiet hat dazu noch Modernisten und Traditionalisten zu bieten – unbezahlbar. Es lässt sich trefflich streiten – mit guten Weinen im Glas – ob die massive Gerbstoffextraktion durch gnadenloses Durchprügeln der Maische jetzt eigentlich Retro oder gestrig ist. Darf Kokos und Latte Macchiato ins Holz getoastet werden? Sind 15 Prozent Merlot im Classico der Untergang des Abendlandes? (Meine Antworten lauten übrigens Retro, ‚in Maßen‘ und nein, aber ich will niemanden beeinflussen …). Zuvorderst aber hat Chianti (nicht nur Classico) ein wunderbar einfach zu erklärendes Geschmacksbild: Kirsche, Schoko, Mon Chéri, spürbare Säure, Würze meist erst mit Reife, zumindest sehr selten dominant. Gleichzeitig ist diese Darstellung ausreichend pauschal, hat die Wirklichkeit doch noch mehr Facetten zu bieten, auch dank gelegentlich zugegebenen Merlots und anderer Sorten. Chianti Classico vermittelt einerseits immer mindestens etwas Anspruch, befriedigt aber mit satter Frucht auch immer die niederen Instinkte.

Chianti Classico – kleine Leistungsschau

So weit also mein Plädoyer für Chianti Classico. In Teil zwei kommt dann etwas mehr Sachlichkeit ins Spiel, wenn ich versuche, die neuen Chianti-Subzonen und Ihre Rolle auf den Etiketten zu erklären. Bis dahin einfach ein paar Tipps, wie Sie sich Chianti Classico schöntrinken können, wenn Sie meine Liebe noch nicht teilen. Die folgenden Weine hatten mir auf der Verkostung gut gefallen, weswegen mir der Veranstalter einige der übrig gebliebenen Konterflaschen nach Hause schickte. In Teil 2 folgen die Gran Seleziones.

Annata

2021
Best of Annata 2021

Castello Vicchiomaggio Guado Alto. In der Nase eher verhalten, Erdbeerjoghurt, rote Frucht und Zitronengras, ziemlich blumig, nicht sehr typisch, aber schön. Am Gaumen sehr leicht und federnd, enorm frisch, elegant, überraschend, zwischendurch taucht eine schöne Röstnote auf, die 14 Prozent Alkohol schmecken wie 12,5 (im Abgang dann nicht mehr, da sorgt der Alkohol für Wärme). Sehr schön.

Felsina Berardenga. In der Nase etwas schnapsiges Mon Chéri bei 13,5 Prozent. Sehr dunkle Schoko am Gaumen, staubtrocken, irre lecker und so was von geradeaus. Doch ist das nicht nur ‚lecker‘, es zeigt sich einiges an Potenzial dank sehr feinem Tannin und großer Tiefe. Verhalten, nicht zu protzig, das ist schon besonders gut.

Il Poggiolino Il Classico. In der Nase typisch, Kirsche, Schoko, aber auch etwas dunkler Tabak. Am Gaumen noch etwas dunkler, Bitterschoko, wieder Kirsche, Röstaromen, Teer, verdammt ernst und verdammt gut. Tolles, feines Tannin, schöne Säure, große Länge. Wow.

Tregole. In der Nase etwas stallig, dann leckerste Schwarzkirsche, dann erdig. Am Gaumen unfassbar attraktive Frucht. Meine Herren. Dann leicht rauchiges, gar nicht so feines Tannin, was aber ein schöner Kontrast oder Puffer zur Frucht ist, dann auch etwas Kakao. Toller Biss. Auf der wilden Seite von Hammerzeuch

2020
Best of Annata 2020

La Sala Del Torriano. In der Nase mehr Holz als alle davor, daneben weicher, auch etwas belegter, am Gaumen cremiger, weicher, die Frucht etwas weniger crisp, aber sehr anziehend, auf angenehme Weise ein bisschen marmeladig – das ist enorm verführerisch, aber nicht so elegant wie einiges davor. Die Defizite treten deutlich zutage, aber man hat das Suchtfaktor.

Poci. Hier bin ich unsicher. In der Kurzprobe war das ein fantastisches Mon-Chéri-Pralinchen. Jetzt habe ich einen völlig anderen Wein im Glas, der mich nicht begeistert. In der Nase sehr weiche Frucht in Richtung Erdbeersahneeis oder Erdbeerkaubonbon, am Gaumen ein bisschen krautig, schöne Säure, recht austrocknend, uncharmant. Das muss eine schlechte Flasche sein, wenngleich mir kein Flaschenfehler einfällt, der Mon Chéri in Cornetto Erdbeere verwandelt (Spaß beiseite, die krautigen Noten können schon von einem schlechten Korken kommen und zu viel Sauerstoff kann auch die Frucht belegt erscheinen lassen).

Vignamaggio Terre di Prenzano. In der Nase dezent gekocht, Kirsche und Erdbeere, auch etwas Himbeere, etwas Menthol, etwas Alkohol, am Gaumen ein ähnliches Fruchtkompott, aber auch etwas vegetabil, streng, würzig, ganz anders und dadurch sehr spannend.

Riserva

Best of Riserva

Ricasoli Brolio Riserva 2020. In der Nase blonder Tabak, Holz, Kirsche, ziemlich geradeaus. Am Gaumen gar nicht so satte Frucht, hat so eine schwebende Transparenz, die ich ziemlich spannend finde. Das kann am Ende auch dünn werden, aber das glaube ich nicht, eher sehr fein und enorm elegant (13,5 Prozent Alkohol). Feines Holz, passendes Tanningerüst, ausgesprochen interessant.

Lasala del Torriano Riserva 2018. In der Nase einerseits klassisch mit vornehmen Reifenoten, dazu aber auch eine leicht frische, grüne Kräuternote. Am Gaumen sattfruchtig, nicht ganz knackig, weil erste Reifenoten sich auch an der Frucht zeigen, viel dunkle Schoki, etwas Rauch, etwas mehr Teer, feinkörniges, aber noch leicht austrocknendes Tannin, noch nicht ganz trinkreif, wird ein dunkler Geselle mit nicht verleugneten 14 Prozent Alkohol bleiben dabei ziemlich faszinierend. Gefällt mir sehr gut.

Terreno Riserva 2019. Die Nase ist nicht sehr intensiv, Kuhstall, bisschen dunkle Kirsche, bisschen Holz. Der Gaumen startet mit sehr verführerischer Frucht, aber macht rasch zu, wird karg, etwas blutig und sehr fest, bissig, steinig, ganz anders, das ist so Laser, das ist ganz schön Liebling, in der Länge kommt dann auch Schoko, aber eigentlich ist der Wein nach hinten raus vor allem verschlossen.

Wie üblich können Steady-Unterstützer auch auf meine Originalnotizen zugreifen. Die kommen hier als PDF. Ich bitte zu bedenken, dass ich hier vor allem verkostet habe, um Weine zu bestimmen, die ich in Ruhe nachverkoste. Ich habe aber ein paar mehr ausgewählt als bestellt. Ihr findet also ein paar zusätzliche Tipps.

3 Gedanken zu „Warten auf den Durchbruch“

  1. Vielen Dank Felix! Eine kleine Ergänzung bzw. Anmerkung zu deinem herrlichen Plädoyer: kein Wein harmoniert m.E. besser mit dem Teig und der Tomate einer Pizza als Chianti Classico, was gar nicht soo einfach ist. Und wenn das Pairing wider Erwarten doch einmal nicht passen sollte, dann lasse ich die Pizza einfach weg 😉 Viele Grüße, Horst

  2. ☝️Hier ein Überzeugter! Neben dem geschilderten Geschmacksbild, das ich ebenfalls sehr liebe, liegt es bei mir aber auch an der italienischen Herbst- und Winterküche, die jetzt wieder vermehrt auf dem häuslichen Speiseplan steht – Pasta mit Ragù bspw. und dazu ein Chianti, passt einfach perfekt! PS: Aus Käufersicht bin ich ehrlicherweise nicht ganz unglücklich über den ausbleibenden Hype – die Preise bleiben so im Großen und Ganzen auf einem vernünftigen Level und auch einzelne, schnell ausverkaufte Weine sind eher selten.

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