Die Zahl portugiesischer Weine in meinem Keller ist einstellig, meine Kenntnisse des (Wein-)Landes dürftig. Höchste Zeit einmal hinzufahren – da kam die Einladung ins Dão gerade recht.
Portugalkennern mögen die Vereinfachungen zu weit gehen, aber für mich kann man die Geschichte des portugiesischen Weinbaus relativ simpel zusammenfassen: Obwohl vermutlich bereits im Jahr 4.000 vor Christus in Portugal Weinbau betrieben wurde, hat das Land keine nennenswerte Stillweintradition. Port und Madeira sind weltwichtig und geschichtsschwer, aber den Rest hat Diktator Salazar mit seiner Planwirtschaft auf Null gesetzt. Er verfügte, dass Port und Madeira Devisen erwirtschaften und die Regionen Dao und Bairrada Massenware zur Volksbetäubung bereitstellen sollten. Das Alentejo war für Salazar die Kornkammer Portugals. Um diese Strategie zu zementieren erließ seine Verwaltung eine Menge abstruser Gesetze. Über die aus dem Douro-Tal schrieb ich hier schon mal, im Dão ging es nicht minder repressiv zu: private Weingüter durften beispielsweise keine Trauben von Weinbauern kaufen. Alle Traubenbauern ohne eigenen Keller mussten ihre Trauben an Genossenschaften verkaufen.
Weinbau im Dão – von der Leine gelassen
Obwohl Portugal sich bereits 1974 des Salazarismus entledigte, drehte keine der nachfolgenden Regierungen die Daumenschrauben der Weinbranche nennenswert in Richtung Entlastung. Es war tatsächlich die EU, die den portugiesischen Weinbau ‚befreite‘, denn nachdem kurz nach Portugals Beitritt 1986 erste Klagen zu Weinthemen vor europäischen Gerichten eindeutige Urteile erbrachten, fielen die restlichen Hürden sehr schnell. Diese Befreiung leitete so etwas wie einen Aufschwung für Portugals Weinwirtschaft ein. Aber da die Basis nahe der Nulllinie lag, ist selbst nach riesigen prozentualen Steigerungen wirtschaftlich noch viel Luft nach oben: Einige Regionen Portugals liegen nicht mehr am Boden, aber sie knien eben über der Grasnarbe. Das Douro muss man separat betrachten, aber ansonsten kommt das hin.
Das Dão ist ein ideales Beispiel: 20.000 Hektar, 300.000 Hektoliter offizielle Weinproduktion – nein, hier werden keine Minierträge von 15 Hektoliter pro Hektar erwirtschaftet, drei von vier Trauben enden als Industriealkohol im Tetrapak oder als Wein aus Trauben der Europäischen Gemeinschaft (raten Sie mal, wo?). Im Dão kämpfen sogar die Genossenschaften ums Überleben (sechs von zehn sind in den letzten Jahren verschwunden). Die Zahl der echten Weingüter ist übersichtlich (aktuell 128), das Interesse an ihnen auch. Nach diversen Absagen ursprünglich angekündigter Teilnehmer waren wir schließlich zu Dritt auf einem Trip durch dieses mir von Bekannten als spannendstes Anbaugebiet Portugals angepriesene Kleinod. Uns gegenüber stand trotzdem alles, was Rang und Namen hat im Dão, einmal sogar bei einer Tischpräsentation 9 Winzer – bei drei Besuchern. Wir wurden überall freundlichst aufgenommen und beköstigt. Und ja, das weckt die Sympathie für den Underdog und den Willen besonders Nettes zu schreiben. Also habe ich etwas Abstand gesucht, schreibe mit Verzögerung – aber immer noch hoch angetan, denn es gab objektiv bemerkenswertes.
Dão-Weine – preiswert und anspruchsvoll
Das fing schon an mit einem ehrlichen Vortrag über den Zustand des Gebietes, gehalten von Tiago Macena, Önologe und ‚Flying Winemaker’, der sich gerade in Ausbildung zum Master of Wine befindet. Sein Fazit (in Einklang mit den Verantwortlichen des Gebietes): ein schärferes Profil wäre hilfreich. Der beste Weg zu diesem führe über die autochthone weiße Rebsorte Encruzado, denn die hat sich in den letzten Jahren als Ausgangsmaterial für fantastische Weine entpuppt. Leider wächst Encruzado nur auf eben über 200 Hektar im Gebiet. Die Ausweitung dieser Flächen ist in vollem Gange, doch bis eine nennenswerte Menge zur Verfügung steht, um die Welt damit zu bespielen, werden Jahre vergehen. Die Lösung wird also Zeit brauchen, doch immerhin hatte ich einen Anhaltspunkt, worauf es zu achten gilt: Encruzado. Dem werde ich noch einen eigenen Artikel widmen. (Ins Podcast hat er es schon geschafft).
Nach dem Vortrag dann ein Treffen mit einigen der besten Produzenten bei besagter Tischpräsentation (deren Encruzados ich ausspare). So eine Geisterveranstaltung hat Vorteile: wer kein Englisch sprach, rief einfach einen Kollegen als Dolmetscher zur Hilfe, und es war reichlich Zeit, um mir das Dão von denen erklären zu lassen, die es am besten verstehen, den Weinproduzenten. Eine, die viel Erhellendes zu meinem Bild beitragen konnte, war Lúcia Freitas. Gut ausgebildet arbeitete Sie bei diversen renommierten Produzenten der Region. Ihr Großvater hatte Weinberge und lieferte bei der Genossenschaft ab. Die ging den Bach runter. Der über 80-jährige pflegte weiter die Weinberge um Verwilderung vorzubeugen, die Trauben aber wollte niemand haben. Da hieß es Entscheidungen treffen. Also hat sie seit fünf Jahren ein eigenes Weingut namens Quinta da Mariposa, steht hochschwanger hinter dem Tisch und präsentiert feine Weine: Ihr roter 15er Dão DOC stammt aus gemischtem Satz. ‚Der Mencia, der hier Jaen heißt, fängt mit seiner runden Art den etwas sperrigen Touriga auf‘ erklärt sie mir. Deswegen habe sich die vermutlich von Pilgern auf dem Rückweg aus Santiago de Compostella ins Gebiet gebrachte Rebe so schnell durchgesetzt. Man findet sie selten sortenrein, auch nicht im Weinberg. Dieser wunderbare Alltagswein mit Pfiff kostet bei ihr 6 Euro.
Ihre Reserva 2014 (~12 Euro) kommt ohne Jaen aus, ist eine Cuvée aus Touriga Nacional, Alfrocheiro und Tinta Roriz (Tempranillo). Sie erklärt mir, dass die große Tag-Nacht-Temperaturdifferenz von bis zu 20 Grad während der phenolischen Reifephase Weine aus Touriga im Dão besonders elegant werden lässt. Ich erkläre Ihr, dass ihr mit etwas Neuholz wunderbar ausbalancierter Wein für den deutschen Durchschnittsgaumen leider immer noch flüssiges Schleifpapier ist. Sie lacht, weiß auch, dass die Deutschen Primitivo lieben. Immerhin die zweite deutsche Vorliebe kann sie bedienen: die Weine sind sehr preisgünstig. Trotzdem hat Sie noch keinen Händler in Deutschland. Denn portugiesische Rote sind anspruchsvolle Weine, selbst wenn sie günstig sind.
Natural im Dão – Geister gibt’s überall
In Deutschland erhältlich sind die Weine von Julia Kemper. Sie löste vor bald 15 Jahren den Weinbau aus der elterlichen Mischwirtschaft, stellte auf zertifiziert-ökologische Wirtschaftsweise um und erreichte deutliche Qualitätssteigerungen. Ihre weiße Cuvée ‚Curiosity‘ aus Malvasia und Encruzado liegt 18 Monate im Barrique, bringt viel Exotik und reichlich Stoff ins Glas, kostet aber auch schon 35 Euro. Ihr einfacher Dão Doc aus identischem Rebsortenmix hat nur 25% Neuholz und kommt ein bisschen zielstrebiger daher. Für 14 Euro ein echter Weinwert.
Antonio Madeira bringt mich etwas zur Verzweiflung. Er repräsentiert die winzige Naturweinfraktion des Dão, stellt ganz wunderbare Weine vor, redet aber eigentlich die ganze Zeit Blödsinn (es sei denn, man glaubt an Geister) und ist dabei nicht eben kollegial. Er mache Wein, alle anderen im Raum vergärten nur toten Saft (‚…fermenting dead juice‘). Was soll ich sagen? Er ist bei Bernd Kreis gelistet, was bezüglich der Weinqualität als Gütesiegel zu begreifen ist. Sollten Ihnen die Weine begegnen, probieren Sie sie unbedingt. Sollte Ihnen der Winzer begegnen…
Der völlige Verzicht auf Holz ist das Differenzierungsmerkmal der Quinta do Escudial. Die Basiscuvée 2013 aus Touriga, Tempranillo, Alfrocheiro und Jaen kommt wunderbar bunt daher, zeigt die Eigenschaften der einzelnen Sorten und legt ein Blümelein oben drüber, hat aber ausreichend Tannin. Ganz viel Wein für kleines Geld. Die Reserva (ein Jahr jünger aus 2014) besteht aus ungefähr dem gleichen Mix, allerdings als gemischter Satz gewachsen und verarbeitet. Auch wunderbar blumig, mit ziemlich viel Wucht (14% Alk) aber schöner Balance. Das Spitzenprodukt, 100% Touriga aus 2015 kann mich dagegen mit der leicht balsamischen Note nicht so abholen.
Touriga Nacional – geht auch ohne Holz
Ebenfalls ohne Holz präsentierten sich die Weine des Garagenweinguts Quinta dos Três Maninhos. Allerdings weiß Frank von Vinhoportugal zu berichten, dass es eine Holzausgebaute Reserva gibt. Die drei Weine auf dem Tisch machten mich aber auch sehr glücklich: Der Desalinhado 2017 mit leichter Mentholnote und viel bunter Frucht, der reinsortige Touriga ist einfach nur Bombe: tolle Frucht, tolles Tannin, toller Wein (für 20 Euro fast geschenkt). Unglaublich rund dann der Centenariae Vineae, ein hundert Jahre alter gemischter Satz – Harmonie pur, aber auch der eleganteste der drei Weine. Dass kein deutscher Händler das im Programm hat, kann ich gar nicht glauben.
Primado hat jetzt erst seinen 2010er roten gemischten Satz im Verkauf. Der gärt und liegt ein Jahr im Stahl, atmet dann ein Jahr im alten Holz, bevor es wieder für einige Zeit in Stahl und schließlich in die Flasche geht, in der er dann auf dem Weingut reift, bis der Winzer ihn trinkreif findet. Dann kommt er in den Handel. Riecht ein bisschen nach Stall, ist am Gaumen aber sehr elegant – und kostet gut 12 Euro. Der 2017er gemischte Satz von Dom Vicente kostet gerade mal 5 Euro ab Hof und ist ein sehr leckerer Alltagswein aus Handarbeit.
Quinta de Bella bietet die wunderbare Gelegenheit den 2015er Touriga in der Stahl- und Holz-Variante direkt zu vergleichen. Fruchtig-frisch, mit viel Veilchen und schönem Tannin der gestählte ‚Bella‘, mit erwartbarer Vanille und Kokos der ‚Dom Bella‘, im Abgang aber auch mit einem schönen Spiel aus Veilchen-Aromatik und feiner Mineralik/Phenolik. Guter Stoff! Zum guten Schluss dann Pinot Noir, was sonst? Egal wie abwegig es scheint, in jeder Ecke der Weinwelt gibt es einen, der es versucht. Der Dom Bella Pinot Noir 2013 ist wirklich hübsch, kann seine 14,5% Alkohol nicht ganz verstecken.
Nach diesem ersten Überblick machten wir uns dann auf Rundreise, wovon ich in den nächsten Tagen berichten will.
Schöner Bericht. Weinportugal insgesamt ist ziemlich interessant, auch wegen der enormen Sortenvielvalft die das Land hergibt. Naja Tiere würden sich auf jeden Fall für Antonio Madeiras Weine entscheiden und das ist ja wohl der Beweis, dass er Recht hat 😉