Ich habe dieses Jahr ein paar Bücher in die Hände bekommen, die ich mit Vergnügen gelesen oder durchstöbert habe. Vier davon mag ich empfehlen.
Ich lese gerne Bücher. Weinbücher sind eher selten darunter. Das liegt vor allem an den Büchern. Wissenskompendien sind ziemlich überflüssig geworden. Wenn mir mal wieder entfallen ist, wie der technische Name des Bakteriums lautet, das Äpfelsäure in Milchsäure wandelt, habe ich die Antwort in einer Zeit auf dem iPad gefunden, die nicht einmal reichte, um zum Bücherregal zu gehen und das passende Nachschlagewerk herauszunehmen, geschweige denn das Inhaltsverzeichnis zu scannen. Gedruckte Erklärbären, also Bücher zur Wissensvermittlung brauche ich nicht mehr, die ultimativen sind auch schon lange geschrieben. Das ausführliche kommt von Jens Priewe*, der Schnelleinstieg von mir*. Zu letzterem gibt es Alternativen, aber die darf ich hoffentlich verschweigen.
Lesebücher sind zeitlos
Zu Weinführern habe ich ein gespaltenes Verhältnis. Die gedruckten deutschen Weinguides erscheinen meist, wenn die wichtigsten dort beschriebenen Weine bereits ausverkauft sind. Andererseits geben sie einen guten Überblick und kompetente Einschätzung der geprüften Erzeuger. Die wiederum ist nur noch mittelmäßig aussagekräftig. Heute finden sich die besten 1000 Weingüter von vermutlich noch 6.000 Selbstvermarktern in den Guides. Etliche machen nicht mit, andererseits ist die Zahl der unfähigen Winzer in Deutschland phänomenal rückläufig. Mit anderen Worten, dass ein Weingut nicht in einem Guide gelistet ist, bedeutet höchstens noch halb so oft wie vor 15 Jahren, dass es schlechten Wein produziert. Daneben ist der Unterschied zwischen den Weinen eines mit einem roten Stern oder drei schwarzen Trauben bewerteten Weinguts oft marginal. Und die absolute Spitze kennt man irgendwie auch ohne die Bücher.
Aber es gibt noch andere Arten von Weinführern und es gibt Lesebücher. Letztere leisten das, was Webseiten nicht leisten können. Sie bieten Lesestoff, der im besten Falle zur Reflexion über das Thema anregt. Dazu braucht es einen meinungsstarken Autor mit einem gewissen Sendungsbewusstsein und viel Selbstsicherheit. Während ich das schreibe, fällt mir auf, wie negativ das mittlerweile klingt. ‚Sie ist meinungsstark, selbstsicher und sendungsbewusst’ – da macht man besser sowas wie ‚kommuniziert lebendig’ oder so draus. Geschenkt, Sie wissen hoffentlich, wie es gemeint ist. Die erste Formulierung beschreibt Paula Bosch nämlich sehr gut. Das merkt man schon, wenn man die ersten Seiten ihres neuen Buches gelesen hat.
Paula Bosch; ‚Eingeschenkt‘*. Wer in der Gastronomie arbeitet, der kann hier einiges lernen, für andere gibt es anregendes Gedankengut. Ich spare mir die ausführliche Würdigung von Paula Boschs Lebenswerk. Die Ex-Tantris-Sommeliére ist eine Koryphäe und gemeinsam mit Christina Fischer die Speerspitze einer Bewegung, die gleichermaßen die Qualität der Weinberatung am Gast, wie auch deren Anerkennung als etwas Bemerkenswertem vorangebracht hat. Ihr gemeinsam mit Diana Binder verfasstest Buch ist eine Rückschau auf ihre Karriere, ein Statement zu nötigen Tugenden in ihrem Beruf und eine Menge unterhaltsames Geplauder über Wein. Jedes der sechs Kapitel ihres Buches endet mit einem Gespräch zwischen Paula Bosch und ein bis drei relevanten Partnern. Beim Thema ‚Schöne weite Weinwelt‘ sind es beispielsweise die Winzer Joachim Heger, Stephan Attmann und Bernhard Ott, zum Thema Medien ist es die Schweizer Autorin Chandra Kurt.
Ganz ohne Eigenlob kommen die Texte nicht aus, aber es gibt ja auch einiges, worauf Paula Bosch stolz sein kann. Und die Rückschau ist weder übertrieben lang noch sentimental. Neuem gegenüber ist die Sommeliére aufgeschlossen, keine Spur von alter, weißer Frau. Und doch gibt es Grenzen. ‚Viele Tipps laufen heute unter dem Motto: Alles ist erlaubt … Ist es eben nicht!‘ schreibt sie an einer Stelle, ‚Erlaubt ist, was auch Sinn ergibt‘. Dazu kommen dann ein paar Beispiele, die das Statement mit Leben füllen. Am stärksten ist das Buch für mich genau da: wenn es um den Beruf des Sommeliers geht und auch die Gespräche mit den jungen Kollegen Alexandra Himmel, Tobias Klaas und Daniel Kurosh sind für mich die stimmigste Interview-Passage.
Weinbücher – es muss anders werden
Margaret Rand (Hg.in); ‚Der kleine Johnson 2023‘*. Echt jetzt? Der kleine Johnson? Das ‚meistverkaufte Weinbuch der Welt‘ (natürlich nur, wenn man alle Jahreseditionen in einen Topf wirft) ist doch eigentlich das überflüssigste aller überflüssigen Weinbücher. Da bin ich mir nicht mehr so sicher. Schließlich wird jetzt alles anders. Die aktuelle Ausgabe ist die erste, die ohne Hugh Johnson entstand. Die 2022er-Edition hatte er noch gemeinsam mit Margaret Rand herausgegeben, jetzt steht sie allein an der Spitze. Und ihr Vorwort zu dieser Ausgabe des neuerdings im ZS-Verlag erscheinenden Buchs ist so ziemlich das stimmigste, was ich zur Lage der Weinwelt in diesem Jahr gelesen habe. Sie geht unter anderem darauf ein, wie sehr es sich auch für klassisch sozialisierte Weintrinker lohnt, die Weine der jungen Wilden zu erkunden. Dann verspricht sie, den Fokus weg von den auf Hochglanz polierten, unbezahlbaren Weinen zu verschieben, hin zu den ‚New Fine Wines‘. Im ganzen Buch seien Kästen mit solchen Geheimtipps verstreut.
Im Deutschland-Teil fehlt dieser, stattdessen gibt es die sattsam bekannten Erklärungen von Kabinett und Spätlese. Überhaupt ist der Deutschlandteil eine einzige Arbeitsverweigerung. Auf 25 Seiten beschäftigt sich der verantwortliche Autor, im Hauptberuf Chefredakteur des Falstaff, mit der Auflistung von Weinorten und anderen Nebensächlichkeiten, die wir alle längst mit dem Smartphone nachschlagen. Bei den Winzern wird einfach der Stand von vor fünfzehn Jahren weiterverbreitet. Sybille Kuntz ist ‚progressive Pionierin für trockenen Moselwein, vor allem in der Lage Niederberg-Helden‘ – für die jüngeren Leser: das ist kein neuer Geheimtipp, das ist eine Entwicklung, die sich 2005 mal andeutete, aber irgendwie nicht so richtig in Erfüllung ging, vor allem weil Schloss-Lieser sich als Platzhirsch etablierte, Thanisch immer besser wurde und Axel Pauly von Null auf Hundert beschleunigte. Die beiden letzteren sind nicht gelistet, wie auch Loersch oder Falkenstein an Mosel und Saar fehlen.
Aber für den Deutschland-Teil kauft ein Deutscher das Buch wohl kaum. Es geht um Frankreich, dem 122 Seiten gewidmet sind und es geht um ein Buch, das zwischendrin auch mal die wichtigsten der neuen belgischen Weingüter listet oder erklärt, dass das Weingut Intipalka mit seinem Criolla von alten Reben gerade dabei ist, Peru zurück auf die Weltweinkarte zu führen. Margaret Rands Bemühungen tragen erste Früchte, und auch wenn die Überarbeitung des Guides noch nicht abgeschlossen ist, so befindet er sich meiner Meinung nach auf dem Weg zurück in die Relevanz.
Best-of hat Konjunktur
W. Staudt, J. Schumann; ‚New Wine Wave – Europas Winzer für die Zukunft‘*. ist die Quintessenz dessen, was Frau Rand gerne in ihren kleinen Johnson integrieren würde. Wolfgang Staudt und Janek Schumann haben ein Buch geschrieben, das völlig aus der Zeit gefallen ist. Sie haben ihr Netzwerk angezapft und den ‚Heißen Scheiß‘ in ganz Europa gesucht, ausfindig gemacht, mit einer Fotografin im Schlepptau besucht, beschrieben, deren Weine verkostet und ein unglaubliches Buch zustande gebracht. Ich lege gerne offen, dass ich mit den Herren ‚per Du‘ bin, und einige Beteiligte zu meiner ‚Bubble‘ gehören, aber das ist nicht der Grund für meine Empfehlung. Die beiden Autoren haben von Anfang an einen Aufwand betrieben, der nicht durch ein Buch re-finanzierbar ist. Das ist ein Herzensprojekt und die Liebe steckt in jeder Seite. Es ist ein Führer zu den Weingütern, die die drängenden Fragen der Zeit und der nahen Zukunft jetzt anpacken. Es finden sich also nicht nur Newcomer oder Exoten, sondern auch etablierte Weingüter. Und es geht um alle Themen, von Naturwein bis Marketing. Also reden die Lassaks über Biodiversität und Moritz Haidle über den Austausch der Stammkundschaft. Da allerdings wünscht sich der Leser manchmal etwas mehr Tiefe. Weil doch sowieso alle auf Bio umgestellt und den Mittelcheneinsatz abgeschafft haben, hätte man diese ewig gleichen Natur-Einklangs-Litaneien einkürzen und den jeweiligen Besonderheiten mehr Raum geben können. Dann wäre das Werk perfekt, so ist es immer noch großartig. Ich habe es Blindflug-Ko-Moderator Sascha zum Geburtstag geschenkt (selbst gekauft, nicht das Ansichtsexemplar).
L. Schrampf, D. Dejnega; ‚111 Schaumweine aus aller Welt, die man getrunken haben muss‘*. Ich finde diese Bücher, die auf die FOMO setzen, also auf die Angst, was zu verpassen, grundsätzlich blöd. Dass ich dieses hier dennoch bespreche, liegt daran, dass es viel besser ist als sein Titel. Und ich kann das beurteilen. Denn dieses Buch beschäftigt sich mit einem Thema, mit dem ich mich auch ständig beschäftige: der Suche nach herausragenden Schaumweinen außerhalb und nach bezahlbaren Geheimtipps innerhalb der Champagne. Autorin Luzia Schrampf ist mir unbekannt, ihrer Mitstreiterin Daniela Dejnega begegne ich seit Jahren regelmäßig in Wiesbaden und bei manch anderer Gelegenheit. Ich schätze ihr Urteil sehr und deswegen hat es mich auch nicht überrascht, wie gut dieses Buch ist, denn es ist verdammt gut.
Bellavista oder Ca’del Bosco? Ist Ferrari so gut, dass man das getrunken haben muss? Wo im Trento findet sich zur guten Story ein ebenso guter Wein? Ich habe mich jetzt ein paar Jahre durch das schäumende Italien getrunken und hätte es ganz schön gefunden, wenn mir ein wenig Herrschaftswissen geblieben wäre. Pech gehabt, die Damen verraten alles (Ca’del Bosco; Ja!; Bei Radsportlegende Francesco Moser, der nicht Promi-Winzer, sondern Spross einer Weinbaufamilie ist und im elterlichen Weingut einen herausragenden Premium-Trento-Doc namens ‚51,151‘ keltert, was sein lange gültiger Stundenweltrekord auf der Straße Bahn war). In Spanien sieht es nicht anders aus. Bezüglich Österreich kann ich von den beiden Österreicherinnen eh noch was lernen. Lambrusco, Prosecco, ein bisschen was aus Apfel und Birne, Dänemark, Polen – die Autorinnen lassen nichts aus. Wer gerne Schaumwein trinkt, der kann hier endlich mal alle vorgestellten Weine eines Buches nachverkosten, ohne ein Vermögen zu verprassen oder stundenlang das Internet nach Bezugsquellen zu durchforsten. Rundum gelungen.
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Erst heute habe ich mit Freunden diskutiert, was denn die richtige „Weinliteratur“ für die kommenden Feste und freien Tage sei. Vielen Dank also für die Empfehlungen! Und erweitert nun auch einmal ein Dank für die vielen, vielen Stunden die Podcast und Blogartikel in meinem Weinleben füllen. Ohne diese Begleitung wäre Wein nur halb so schön.
Francesco Moser erzielte seinen Stundenweltrekord von 51,151 damals aber auf der Bahn, und nicht wie von Ihnen erwähnt auf der Strasse.
Danke schön.