Christof Krieger, Leiter des Mittelmosel-Museums in Traben-Trarbach, hat es geschafft, eine Dissertation zu verfassen, die sich auch dem Laien so erschließt, dass sie mittlerweile in zweiter Auflage auf dem Buchmarkt ist. Grund genug, unseren Bücherwurm Wolf Albin auf eine verspätete Rezension anzusetzen.
Wenn man ein Buch über Weinwerbung im Nationalsozialismus zu begutachten hat, ploppen im Gehirn des Rezensenten spontan Überschriften wie „Hitlers willige Winzer“ oder „Rausch und Kater des Dritten Reichs“ auf. Die Dissertation von Christof Krieger über ein weitgehend unbekanntes Alltagskapitel des Hitlerstaates ist einiges klüger. In „Wein als Volksgetränk“ beschreibt er ohne die üblichen NS Klischees warum nach der Machtergreifung eine nie gesehene Propagandamaschine zu Gunsten deutscher Winzer durchs Land rollte. Allerorten entstanden Weinpatenschaften, wurden Winzerfeste organisiert und feierten Winzer Absatzrekorde. Die Idee Wein reichsweit populär und auch preiswert zu machen, entstammte dabei nicht den scheinbar genialen Gedanken eines nationalsozialistischen Führers. Krieger zeigt in seiner quellengesättigten Einzelfallstudie nüchtern auf, wie und warum die Funktionsmechanismen des nationalsozialistischen Staates hier zu Gunsten der wirtschaftlich angeschlagenen westdeutschen Weinbaugebiete wirkten. Die staatliche Intervention in den Weinmarkt war nämlich das Ergebnis eines eher chaotischen Ringens zwischen verschiedenen Machtzentren der Diktatur. Die Initiative zum Propagandarausch kam dabei von unten. Wo auf Reichsebene Wehrmacht, SS, SA und Gestapo um die Gunst des obersten Diktators konkurrierten, balgten sich an der Weinfront der sogenannte Reichsnährstand, die Deutsche Arbeitsfront, etliche Gauleiter letztlich auf Initiative einiger Landräte und Winzerfunktionäre darum, die Volksgenossen davon zu überzeugen, mehr zur Flasche zu greifen.
Saufen für den Führer
Der Antrieb dafür, dass sich Staat und Partei für den Weinbau engagierten, war wie so häufig im NS Staat erst einmal kein weltanschaulicher. Die Weinpropaganda war vielmehr der ideologisch verbrämte Versuch einer Problemlösung. Und das Problem, vor dem der NS-Staat stand, hatte wie so oft seine ferne Ursache im ersten Weltkrieg. In der Vorkriegszeit erfreute sich Deutscher Wein internationaler Beliebtheit. Die Preise waren hoch, vor allem die internationale Nachfrage höher. Wie Getränkekarten auch heute noch eindrucksvoll zeigen, lagen die Preise für Rheinweine vor 1914 auf dem gleichen Niveau wie die erster Bordelaiser Gewächse. Der Wahn des Kaiserreiches und seiner Untertanen, sich einen Platz an der Sonne erobern zu wollen, hatte jedoch das Verlangen nach deutschem Wein bei unseren Nachbarn spontan erkalten lassen. Statt Wein zu exportieren, brachen die traditionellen Absatzgebiete in Großbritannien weg. Deutschland wurde auf Grund eines Freihandelsvertrages, den die Weimarer Republik mit Spanien abschloss, nun zum Importland. Die Winzer der Weimarer Zeit darbten und protestierten. Eine spontane Absatzsteigerung wollte sich auch nach der Machtergreifung erstaunlicherweise nicht einstellen, als der NS Staat begann, Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Glaubens erst auszugrenzen und dann außer Landes zu treiben. Schlimmer noch. 1934 führte eine Rekordernte zu überquellenden Lagern, die niemand leeren wollte. Und der für die Winzer zuständige Reichsbauernführer war für seine Germanenbewunderung bekannt. Bekanntlich berauschten die sich aber an Bier und Met, bevor sie Varus Legionen schlugen.
Wie sich der NS-Staat schließlich dazu durchrang, für ein römisches Getränk Werbung in nie zuvor gekanntem Stil zu veranstalten, zeigt der Autor in großer Gründlichkeit. Letztlich waren es einzelne Winzervertreter, die mit einer Mischung aus Opportunismus und Dreistigkeit die NS-Führung zum Handeln motivierten. Weil der eigentlich zuständige sogenannte Reichsnährstand das Absatzproblem erst aussitzen wollte, wollte sich die Deutsche Arbeitsfront und deren „Kraft durch Freude“-Organisation schließlich der Sorgen der Winzer annehmen, vor allem auch um der Konkurrenzorganisation eins auszuwischen. Ausserdem mussten für die Eigenpropaganda des Regimes dramatische Szenen wie der Sturm auf das Bernkastler Finanzamt 1926 dringend vermieden werden.
Massenhafte Propaganda für massenhaften Absatz
Die Lösung für die Winzersorgen lag für die Ideologen auf der Hand. Die Volksgemeinschaft sollte den Kelch der Überproduktion bis zur Neige leeren, indem die Binnennachfrage stimuliert werden sollte. Freude durch die Kraft des Rebensaftes gewissermaßen. Unpopuläre Entscheidungen wie Marktbereinigung, Qualitäts- und Exportsteigerung schienen von den Machthabern dabei nicht einmal ansatzweise angedacht worden zu sein. Doch wie die Volksgenossen zu mehr Suff verleiten? Die Idee dazu kam von den Winzern selbst: Massenhafter Absatz durch massenhafte Propaganda, sollte die Erfolgsformel lauten.
Staatlich finanzierte Werbung als Mittel der Absatzerhöhung war im Prinzip nichts Neues, sondern gab es schon in der Weimarer Republik. Neu war indessen die staatliche Organisation und der massenhafte Einsatz von Werbung in Zeitung, Radio und auf der jährlichen Großveranstaltung des „Festes der deutschen Traube und des Deutschen Weins“. Dabei übernahmen Städte im weinfernen Norden, Osten und Südosten des Reiches Patenschaften mit notleidenden Winzerdörfern aus den Hauptanbaugebieten. 1936 registrierten sich über 900 Städte für eine oder mehrere Winzergemeinden. Grund der Popularität: Die Qualität der aktuellen Jahrgänge war gut und die dabei kredenzten Patenweine wurden zu festgesetzten und günstigen Verkaufspreisen ausgegeben. Die Lager leerten sich in Windeseile.
Der Schuss geht nach hinten los
Der Kater dieser Mischung aus Protektionismus und Dumping trat noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs ein. Weil die Verbraucher jetzt am niedrigen Preis der subventionieren Patenweine hingen, brach das Weihnachtsgeschäft zusammen. Nachbestellungen kamen kaum zu Stande, jedenfalls nicht zu den Preisen, die sich die Standesvertreter erhofft hatten. Die direkte Verkupplung von Erzeugern und Konsumenten ging zudem auf Kosten des Weinhandels, denn dessen Dienstleistung wurde nicht mehr gebraucht. Ironie der Geschichte. 1936 sah nicht nur eine Vervierfachung der Zahl der Weinpatenstädte, sondern auch einen frühen Kälteeinbruch. Die bis zum Sommer guten Ernteaussichten brachen zusammen und drehten das Angebots- in ein Nachfrageverhältnis um. Die geschrumpften Weinmengen verkauften sich auch ohne staatlichen Makler von ganz allein und aus dem Absatz- wurde ein Preisproblem. Die gleichbleibend hohe Nachfrage nach vergorenen Traubenmost wollte indessen weiterhin befriedigt werden, um die Volksgenossen nicht zu enttäuschen. Schließlich braucht auch eine Diktatur die Zustimmung seiner Bevölkerung. Die Einführung von Höchstpreisen, Weinpanschereien und die Aussetzung von Weinversteigerungen waren die Folge.
Kurzfristig erfolgreich, aber langfristig verheerend. Auch in dieser Hinsicht ähnelt der Ertrag der nationalsozialistischen Weinpropaganda den Negativbilanzen auf anderen Schlachtfeldern des Dritten Reiches, wie das Buch von Krieger zeigt. Es war eben doch alles schlecht. Der Erfolg der Weinfeste war teuer erkauft. Die Folge von staatlicher Intervention war noch mehr staatlicher Eingriff in einen Markt. Der geweckte Appetit der Volksgenossen auf Wein, sollte nach Beginn des Eroberungskrieges dann durch Weinraub in den Nachbarländern gestillt werden. Mit dem Prinzip Masse statt Klasse wurde hier zudem ein Weg eingeschlagen, der den deutschen Weinbau auch dann noch unbeirrt verfolgte, als der Rauch über den ausgebrannten Ruinen schon wieder verweht war.
Christof Krieger
Wein ist Volksgetränk: Weinpropaganda im Dritten Reich
Rhein-Mosel-Verlag (2. Auflage)
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Sehr geehrter Herr Bodmann,
vielen Dank für diese spannende Rezension, und die Ausführung der Kernthesen, in deren Folge ich mir in jedem Falle das vorgestellte Werk anschaffen werde.
Der Gedankengang ist logisch, ein Aspekt, den ich bisher – zwar nicht speziell auf das NS-Regime, aber allgemein auf kriegerisch ausgerichtete Regime und Gesellschaften – primär im Kopf habe, ist in der Rezension jedoch kaum angeklungen, ich bin gespannt, wie und ob der Aspekt im Werk vorkommt.
So ist die Argumentationskette, dass alkoholische Getränke, insbesondere Wein, schon in anderen Kriegen, vor allem jedoch im 1. WK zur Steigerung der Moral der Truppe genutzt worden sind für mich sehr gut nachvollziehbar und auch gut auf die Gesellschaft als gesamtes übertragbar.
Ich betrachte es durchaus als logisch, dass der Eingriff des NS-Regimes in den Markt auch der Absicht der kollektiven Steigerung der Moral der Zivilbevölkerung – als notwendiges Standbein für eine funktionierende Kriegsökonomie – dient.
Beste Grüße aus Bielefeld
Jan-Dirk