Guten Morgen, der Sonntag bei der Wiesbadener GG-Premiere 2018 steht wie immer unter dem Motto ‚Alles außer Riesling‘. Mein Arbeitsplatz befindet ich in der achten Reihe, neben mir sitzt wie immer Paul Truszkowski. Wir schauen auf die entzückenden Rücken der Herren Würtz (ab Morgen) und Hofschuster (schläft noch), was – Insider haben es schon selbst gefolgert – bedeutet, dass der Wiesbadener Wirsching-Graben dieser Tage zwischen den Reihen sieben und acht verläuft. Was liegt da näher, als mit Franken zu beginnen.
Silvaner (Franken)
Jahrgang 2017, wenn nicht anders angegeben
Der erste Wein ist flüssiges Hallowach: Ludwig Knoll/Am Steins Stettener Stein hat eine zackige Säure plus mineralische Spannung, braucht noch Jahre, hat aber große Anlagen. Rudolf Mays Rothlauf ist ganz anders, saftig, wärmer, weicher, und dann extrem tief und lang. Macht jetzt schon Spaß, wenn man auf Schatzsuche steht (wie ich). Bickel-Stumpfs Rothlauf (2016) riecht wilder und schmeckt fruchtiger, ist aber fast genau so gut. Mays Himmelspfad ist Silvaner-Struktur und -Aromatik aus dem Lehrbuch, mit einem intensiven Abgang, groß. Würdiger Schlusspunkt im ersten Flight: der Würzburger Stein vom Juliusspital (2016). Was für eine Nase! Kann man trinken oder tröpfchenweise auf’s Ohrläppchen geben. Dicht und komplex am Gaumen ist er obendrein.
Große Frische und feine Kräuter finde ich im Stein-Harfe vom Bürgerspital. Dann kommen die Lumpen. Michael Fröhlichs Version ist genau das: fröhlich, also fruchtig, zugänglich, schmeichelnd, aber alles andere als banal. Rainer Sauer ist typisch, Rebsorte klar herausgearbeitet (mit der Lage ist das so ein Thema…) Horst Sauer ist sehr verschlossen, Wiedervorlage. Luckerts Maustal hat gewaltigen mineralischen Biss. Unbedingt in den Keller legen (ganz nach hinten). Geht vibrierendes Süße-Säure-Spiel ohne Zucker auch wenn man den Silvaner gar nicht fruchtig interpretiert? Ich hätte gedacht: Nein. Bickel-Stumpf sagt Ja und hat laut Mönchshof (2016) in meinem Glas damit Recht. Eine wertvolle Erfahrung am frühen Morgen!
Im Julius-Echter-Berg liefert das Juliusspital (2016) einen kräftigen, typischen Silvaner mit Fleisch auf den Rippen, den ich unheimlich mag. Johann Rucks Version aus aktuellem Jahrgang ist etwas einfacher, aber immer noch sehr gut. Wirschings (2016) Interpretation ist die fruchtigste (jetzt) und mir genau so lieb. Drei hübsche Kinder. Bei Weltners Küchenmeister bin ich mittlerweile anspruchsvoll. Kann ich auch sein, denn das ist schon wieder so gut: würzig dicht und trotzdem vergnüglich. Weltner kann Silvaner! Genau den richtigen Hauch Frucht finde ich in Wirschings ansonsten eher strengen Kronsberg (2016). Der ist mächtig und hat (hoffentlich) mächtig Potential. Gleiches gilt für den minimal leichteren, aber auch etwas mineralischeren Schlossberg (2016) vom Fürstlich Castell’schen Domänenamt.
Franken hat geliefert, dem schwierigen Jahr ein paar großartige Weine abgetrotzt. So darf es hier jetzt gerne zweieinhalb Tage weitergehen.
Grauer Burgunder
Jahrgang 2017, wo nicht anders angegeben.
nur rund zwei Hand voll Grauburgunder aus vier Anbaugebieten sehen zur Probe an. Pawis‘ Edelacker aus Saale-Unstrut riecht blumig und ist am Gaumen weich aber nicht fett. Angenehm! Schloss Proschwitz (Sachsen) ist erst arg gefällig, bevor mineralischer Biss im Abgang den Wein aus der Belanglosigkeit holt – hat Potential. Wöhrwag (Württemberg) hat Mut zum Holz und darf das, weil sein schöner Herzogenberg das abkann.
Bei den badischen Grauburgundern präsentiert Blankenhorn ein balanciertes Sonnenstück mit Bumms und Tiefe, oder nennen Sie es Kraft und Zug – in jedem Fall sehr gelungen. Bercher zeigt, was mit Grauburgunder in Baden geht. Der Villinger Schlossgarten fruchtiger und mit mehr Zug, der Feuerberg Haslen schwelgerischer und mit (gefühlt) mehr Holz. Absolute Weltklasse. Majestätisches Holz und Saft ohne Ende heben auch Hegers Schlossberg auf ganz hohem Niveau. Beim Winklerberg Hinter Winklen ‚Gras im Ofen‘ (2016) finde ich den Wein ungefähr tausend Mal besser als den Namen. Wer denkt sich sowas aus? Anyway: stoffig-komplexer Burgunder mit Biss. Der extrem balancierte Winklerberg ‚Pagode‘ (2016) von Stigler klingt beißend mineralisch aus, was gleichzeitig ein schönes Ende dieses Teils der Verkostung bedeutet.
Grauburgunder ist gut, in Baden teilweise groß.
Hofschuster hat ausgeschlafen und schließt sich uns jetzt an.
Chardonnay
Alle Jahrgang 2016
Stoff und Spiel mit deutlich Frucht und Holz, jetzt schon balanciert und mit tollen Anlagen für die Zukunft, das ist Hubers Bienenberg. Hegers Hinter Winklen ‚Gras im Ofen‘ ist sehr verschlossen und hat einen kleiner Hau vom BSA, aber mit der sublimen Botschaft, dass hier noch einiges passieren wird, Wiedervorlage. Blankenhorns Sonnenstück ist hingegen jetzt voll da und ganz schön gut. Hui, Trinkpause wäre schön. Holz, Frucht, Säure und im Abgang tolle Phenolik. Zum Verlieben. Den Flight komplettieren darf ein Roter Traminer Hohe Gräte 2015 von Lützkendorf, mit viel Zug. Spannend, und wie schön, dass es den gibt.
Einmütigkeit auf beiden Seiten des Grabens.
Spätburgunder
Jahrgang 2016, wenn nicht anders angegeben
Rheingau
Der Schlenzenberg von Diefenhardt hat eine fordernde Nase. Am Gaumen ist er dann sehr mineralisch mit wenig Frucht und unaufdringlichem Holz, eigen und gut. Georg Müller Stiftungs Hassel hat eine süße Bonbon-Nase, am Gaumen dann eher klassische Frucht und sehr viel Tannin. Da finde ich Anlagen für die Zukunft und das Aufblitzen einer gewissen Klasse. Kesslers Schlossberg mit etwas diffuser Nase, am Gaumen ‚einmal mit alles‘ (auch mit Scharfe Sauce). Wird lange brauchen und ich bräuchte länger für eine saubere Prognose. Kloster Eberbachs Schlossberg hat danach einen schweren Stand, holt mich aber sehr sanft zurück auf den Boden der Tatsachen. Ein harmonischer Wein, der ein bisschen geschliffener sein könnte.
Allendorfs Höllenberg hat eine kühle Frucht und die Präzision, nach der ich mich jetzt sehne. Gute Verkostungsreihenfolge! Und ein sehr guter Wein. Mehr Tannin in Kesslers Höllenberg, der sich vielversprechend präsentiert. Betörend schöne Frucht in Künstlers Version des Berges. Das ist anders, nicht Kirsche, nicht Beeren, was ist das? Die Zeit drängt, also nur so viel: die Tanninstruktur ist sehr fein, die Säure großartig. Ich mag das SEHR (man muss auch mal schreien dürfen, vor allem, wenn man, wie ich, ständig an Künstler rumkrittelt).
Die Rheingauer habe ich blind probiert. Kein großes Pinot-Jahr, aber ein sehr solides, wenn man das nach den wenigen Weinen sagen kann.
Rheinhessen
Satte Frucht im Horn von Neus, dazu ordentlich Tannin, überlagert von einem leichten Stinker; müsste ich mich länger mit beschäftigen, was vermutlich ein Vergnügen wäre. Für den Paterberg von St. Antony braucht man derzeit ein Bibergebiss. Die Frucht reicht aber auch für lange Reife. Das könnte was werden. Gutzlers Brunnenhäuschen (2015) haut in die gleiche Kerbe, gefühlt mit reichlich Alkohol und viel Säure. Das lotet ziemlich genau die Grenzen einer solchen Schnellverkostung (obendrein blind) aus. Ich hege Sympathien für den Wein. Battenfeld-Spaniers Kirchenstück ist der präziseste in dieser Gruppe und zeigt gleichzeitig auf, was mir in diesem Kontext bei allen Weinen (außer eben jenem) fehlt: die letzte Präzision in der Frucht.
Alles gut bis sehr gut, das Kirchenstück gefällt mir hier und heute am besten.
Pfalz
Knipsers Mandelpfad (2014) mit toller Säure und feiner Frucht, dezentem Holz, gekonnt. Der Kirschgarten (2014) ist noch etwas bissiger mit feiner Phenolik und sehr zugänglich, beide auf ihre Art sehr gut. Kuhns Kirschgarten (2015) setzt eine präzise Frucht obendrauf, die den Wein auf höchstes Niveau hebt, wenn er mit dieser Säure und Frische denn so reift, wie ich mir das erhoffe. Eigentlich ist das ein Stilwechsel bei Kuhn. Knipsers Burgweg (2014) ist keinen Deut schlechter, mit dieser saftig-zugänglichen Art, die nicht zu Lasten der Komplexität geht.
Christmanns Idig (2014) ist etwas leiser, derzeit unter Holz begraben, deutet aber eine Eleganz an, die hoffentlich noch da ist, wenn sich das Holz integriert hat. Immerhin ist er schon drei Jahre alt. Wenn es gut geht, wäre er ganz groß. Bassermann-Jordans Ölberg-Hart (2015) ist sehr gut, wirkt im Kontext aber etwas rustikaler, als er wahrscheinlich ist. Müsste ich einmal in Ruhe probieren, denn er deutet vieles an.
Der Kalkberg von Bergdolt St. Lambrecht ist einer der wenigen Pinots bisher mit einem Hauch Vanille in der Nase und etwas Creme am Gaumen, dann aber saftig und zupackend. Gut. Rebholz im Sonnenschein (2013) ist kühl, elegant, leicht und braucht gar nicht mehr so lange, bis der Spaß los gehen kann. Wehrheims Kastanienbusch ‚Köppel‘ (2015) ist auch eher leicht und elegant, hat aber genügend Substanz für die Jahre, die er braucht um das jetzt dominante Holz zu verdauen. Große Hoffnungen. Siegrists Sonnenberg (2014) ist ein ganz klassischer junger Pinot aus gutem Hause. Tiptop, um es mal simpel zu formulieren.
Kranz Kalmit (2015) mit viel Mineralik/Phenolik und wenig Frucht, kann man lieben, kann man rustikal finden, braucht Zeit und Luft, Wiedervorlage. Gleiche Lage von Siegrist (2014) ist geringfügig saftiger, zeigt aber auch mehr Holz und will noch ganz lange in der Flasche bleiben, dann wird ihn die tolle Säure bestimmt zu Höhen tragen. Viel Frucht, viel Holz und (gefühlt) viel Alkohol: Wenn der Heydenreich (2015) von Becker nicht diese phänomenale Säure/Frische hätte, wäre das nicht unter einen Hut zu bringen. Hat er aber – also alles gut! Der Sonnenberg ‚Rädling‘ von Bernhart strahlt jetzt schon kühle Eleganz aus. Will ich trinken (und darf nicht). Beckers Kammerberg (2015) baut eine Tanninwand auf, die erst mal abschmelzen will, die Substanz dafür hat er aber locker. Gleiches gilt für den St. Pauls (2015), der aber etwas feiner und noch vielversprechender wirkt.
Die Pfalz zeigt Weine aus vier verschiedenen Jahrgängen, daher kein Fazit.
Franken
Schlossberg von Fürst ist unnahbar, vermag ich nicht zu bewerten. Der Centgrafenberg wirkt sehr warm, leicht diffus in der Frucht, aber mit sehr schöner Säure. Das sollte gut reifen und an Eleganz zulegen. Hundsrück ist ein echtes Leckerli und das ist absolut nicht despektierlich gemeint. Die jetzt dominante, süße Frucht hat eine natürliche Nonchalance und Potential für mehr ist natürlich auch da! Luckerts Maustal legt eine fette falsche Fährte mit einer grün-unreifen Tometenpflanzennase und kommt dann dermaßen spannend, fruchtig und saftig in den Mund, dass man Schwierigkeiten hat, den Schluckreflex zu unterdrücken. Unfassbar gut.
Hofschuster hat ‚Lecker‘ gesagt. Vor Zeugen!!!
Baden
Kirchgasse von Wöhrle ist unglaublich balanciert. Enselberg von Franz Keller zeigt eine präzise Frucht, viel Holz und tolle Säure: ein Langstreckenläufer.
Hubers Bienenberg hat feine Säure und eine warme Frucht, die wunderbar zusammenfinden, ohne die Leuchtkraft ganz großer Jahrgänge zu entfalten. Fein ist das allemal. Die Sommerhalde vibriert deutlich mehr und zeigt auch in der Tiefe mehr Potential. Der Schlossberg zeigt dann erste Anzeichen von Größe: feine, satte Kirschfrucht, total klar und ohne die geringste Spur von Marmelade, feine, reife Säure und mineralische Tiefe bei perfektem Holzeinsatz. Der Wildenstein setzt noch Extraktsüße und eine Portion extrafeines Tannin obendrauf. Die Unterschiede sind perfekt herausgearbeitet, aber es liegt vielleicht am Jahrgang, dass ich nicht in Huber-Hysterie verfalle – und ich habe normalerweise überhaupt keine Berührungsängste mit Huber-Hysterie. Hofschuster ruft über den Graben, die Weine seien einfach zwei Grad zu warm. Ich werde Sie morgen noch einmal probieren,
Berchers Feuerberg Kesselberg geht im Huber-Flight unter, weil er gröberes Tannin hat, dabei glaube ich an das würzige Fundament dieses tollen Weines. Braucht halt ein paar Jahre. Eine frische Säure und klare Frucht bescheren Lämmlin-Schindlers Frauenberg (2015) mehr als nur einen Achtungserfolg. Das ist ein richtig schöner Wein, der in jedem anderen Flight noch viel mehr Lob einheimsen würde.
Der Schlossberg von Heger bringt Kraft und Holz und Biss zusammen, ohne dass es schwer wirkt – ganz stark. Allerdings wird das bestimmt mindestens 5 Jahre dauern, bevor sich auch nur Anzeichen von Trinkreife einstellen. Der gleiche Wein von Keller setzt auf einen ganz anderen Stil: mehr Frucht, extrahierter, aber auch mit einigem Holz. Das wirkt jetzt einfacher, könnte aber zu gleicher Schönheit reifen.
Pauls Meinung zu den Weinen findenSie hier.
Soweit Tag 1, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Jetzt geht es in die Drittelpause.