Alles ist im Fluss in Sachen Deutscher Wein und die Wiesbadener GG-Vorpremiere ist ein Ort des regen Austauschs – da kann man seine Meinung schärfen. Und wozu sind Meinungen gut, wenn man sie nicht auch gelegentlich äußert. Hier also ein kleines Fazit.
Man kann die Güte eines deutschen Jahrgangs frühestens zwei Jahre nach der Ernte umfassend beurteilen. Trotzdem wollen immer alle am Ende der GG-Präsentation wissen: Und, wie ist der Jahrgang denn nun? Hier also eine Einschätzung. Sie ist mit einem einfachen Makel behaftet: Sie kommt zu früh. Ich behalte mir darum eine gewisse Irrtumswahrscheinlichkeit vor.
Die Jahrgänge sind sehr gut
2020 ist ein schöner Weißweinjahrgang. In einigen Anbaugebieten hat er kräftige, sehr zugängliche Weine ergeben, die man vielleicht schon bald trinken sollte, die aber trotzdem mit viel Tiefgang aufwarten. An der Mosel und im Rheingau im größeren Stil, in allen anderen Anbaugebieten zumindest gelegentlich sind aber auch Weine herausgekommen, denen ich zutraue ganz groß zu werden. Ähnliches habe ich auch letztes Jahr gedacht. Deswegen war es erschreckend zu sehen, wie wahnsinnig weit fortgeschritten in der Reife sich etliche 2019er präsentierten. Auch da hat der Rheingau einige gezeigt, die straff und jung wirkten. Ich glaube, die Winzer zwischen Hochheim und Assmannshausen haben in den letzten beiden Jahren ziemlich viel Glück gehabt.
2019 als Rotwein-Jahrgang ist für mich ein 90-Prozent-Jahr. Ganz oft habe ich das im Glas gehabt, was ich mir bei Betrachtung des Etiketts auch vorgestellt hatte und ganz oft (vielleicht sogar immer) dachte ich: das ist sehr gut, habe ich von diesem Winzer aus dieser Lage aus anderem Jahrgang aber schon etwas besser im Glas gehabt. Diese Neunzigprozenter sind teilweise bockstark, denn etliche Hundertprozenter aus Deutschland sind mittlerweile vom anderen Stern.
Also kaufen Sie ein bisschen ein. Verbuddeln Sie die Weine vielleicht nicht in der hintersten Ecke des Kellers und vergessen Sie nicht, auch dieses Jahr vor Weihnachten ein oder zwei Zwanzigzwanziger zu naschen. Vielleicht mal was von denen, die nicht ständig besungen werden. Grans-Fassians Laurentiuslay, Rappenhofs Pettenthal, Georg Siben Erbens Langenmorgen oder Minges’ Schäwer. Um Mal ein paar zu nennen.
Meine Einkaufstipps finden Sie in den drei Verkostungsprotokollen. Alles, was ich mit ‚Weltklasse‘ bewerte ist unbedingt kaufenswert. Alle anderen erwähnten auch, die aber nur, wenn der Wein zu Ihrem Beuteschema und Ihrer Vorstellung von Preis-Genussverhältnis passt. Weil die Beharrungskräfte so groß sind, will ich noch einmal dezent darauf hinweisen, dass Acham-Magin seit nunmehr mehreren Jahren Weine liefert, die mit den berühmten B’s von Deidesheim mithalten (vielleicht nicht mit Bürklin-Wolf, aber mit den anderen beiden locker).
Wann kommt die GG-Reform?
Werden wir generischer: Vor Jahren hat Hans-Jörg Rebholz in einer Presserunde in der Beletage der Berliner Cordobar mal erklärt, ‚Wenn wir in der Pfalz das GG noch mal anfassen, dann indem wir den Chardonnay dazu nehmen‘. Ich glaube es ist höchste Zeit für diesen Schritt. Auch bei anderen GGs herrscht Handlungsbedarf. Der VDP steuert mit einigen Rebsorten auf Probleme zu. Mit dem neuen Weinrecht werden wir auch neue Schutzgemeinschaften sehen und einige werden vermutlich erfolgreich neue Formate für spezielle Nischenweine etablieren. Das Chardonnay GG mit 7 gezeigten Vertretern und insgesamt 15 erschienenen Weinen würde marginalisiert, wenn beispielsweise eine Kaiserstühler Schutzgemeinschaft mit 30 guten Weinen antritt und entsprechend die Märkte auch werblich bearbeitet. Was wenn dann noch eine erfolgreiche Pfälzer Chardonnay g.U. VDP-Betriebe zum Mitmachen einlädt? Diese stünden dann vor der Entscheidung ihren Chardonnay nur als Ortswein oder Erste Lage zu vermarkten oder beim neuen heißen Ding dabei zu sein.
Die Franken leisten sich ein Weißburgunder GG, obwohl nur das JuSpi im Volkacher Karthäuser GG-würdiges produziert. Man kann das belächeln. Ich sehe eher eine Chance. Vor einigen Jahren stritten wir über eine sauber definierte Stilistik der 150 deutschen Riesling GGs. Die Antwort war nicht Restriktion, sondern Ausweitung. Heute, wo wir 353 Riesling GGs haben, stellt niemand mehr diese Frage. Es gibt Mosel GGs und Pfälzer GGs. Keiner erwartet ernsthaft über die Rebsortencharakteristik hinausgehende Parallelen. Typisch Riesling, einigermaßen trocken und unbedingt hochwertig sollte jedes GG sein. Den Rest definiert die Herkunft (Gebiet, Bereich, Lage) – und das ist gut so. Warum also nicht Grauburgunder GGs aus Leutesdorf und Monzingen, Weißburgunder aus Traisen und Bernkastel, Chardonnay aus Birkweiler und Sommerach? Dann ist es auch kein Problem, dass wir bei den Burgundersorten mal viel, mal wenig und mal gar kein Holz haben, die Alkoholwerte von 12,5 bis 15 Prozent variieren etc..
Gut geprüft geht alles
Das Rückgrat einer solchen Erweiterung wäre die verlässliche Anerkennungsprüfung des VDP. Es stehen in Wiesbaden so wenige Weine auf dem Tisch, bei denen Konsensmeinung wäre, dass die da nichts zu suchen haben, dass sich der VDP ruhig trauen könnte. Dabei ginge es um einen Rundumschlag als Antwort auf das neue Weingesetz. ‚Wir kehren das Prinzip um: Alle GG-Rebsorten sind in allen Regionalverbänden zugelassen.‘ Einzelne Verbände könnten dann Rebsorten sperren. Davon würden vermutlich vor allem Rheingau und Mosel gebrauch machen (und auch das wäre gut so). Es wäre auch das Ende der Ortsweine für 50 Euro (nicht zugelassene Rebsorte aus Großer Lage), die die Winzer immer noch extra erklären und rechtfertigen müssen. Ein wesentliches Manko der Pyramide wäre behoben.
Noch ein paar Gedanken zur Veranstaltung in Wiesbaden. Es ist immer noch die bestorganisierte Verkostung, die ich kenne und wie jedes Jahr bedanke ich mich bei allen tollen Mitarbeitern für den grandiosen Service und den Winzern für die vielen großen Weine. Ich habe dieses Jahr nicht live getickert. Einerseits wollte ich wissen, ob ich mit mehr Zeit eigentlich andere Verkostungsnotizen schreiben würde. Tue ich nicht. Ich könnte also weiter tickern. Andererseits aber macht es nur bedingt Spaß, einen Kurzeindruck in die Welt zu jodeln, wenn es auf YouTube schon 70 Minuten lange Videos der Drittverkostung des entsprechenden Weines gibt und auch die Notizen der wesentlichen Verkoster aus tagelanger Beurteilung schon publiziert sind. Die hatten sehr viel mehr Zeit und werden im Zweifelsfall ein fundierte(re)s Urteil gefällt haben. Seitdem die Sperrfrist für Verkostungsnotizen aufgehoben ist, benötigt niemand mehr die Wasserstandmeldungen aus den Kurhaus Kolonnaden. Vielleicht ticker ich im nächsten Jahr trotzdem wieder. Es macht ja auch ein bisschen Spaß. Noch mehr Spaß hätte ich, wenn ein letztes (klitzekleines) Problem gelöst wäre: die sehr diverse Handhabung der Jahrgänge.
Schluss mit dem Jahrgangshickhack
Die allermeisten Winzer sind nette, kluge Menschen. Aber auch nette, kluge Menschen tendieren dazu, die Schuld immer erst mal woanders zu suchen. Schneidet ein Wein nicht gut ab, gibt es zwei mögliche Ursachen: Der Wein ist einfach nicht so gut oder die Verkoster hatten keine Ahnung. Weil die allermeisten Winzer eben auch nur Menschen sind, wollen sie Ersteres nicht glauben und – weil sie nett und klug sind – Letzteres nicht sagen, denn das wäre erstens nicht nett und zweitens nicht klug. Gute Beziehung zur Kritik sind ja auch irgendwie vorteilhaft.
Also fanden die netten, klugen Winzer einen Königsweg für den Umgang mit negativer Kritik an ihren Weinen: die Weine zeigen sich nicht ordentlich, sie sind schwierig bis unmöglich zu verkosten und erkennen. Das heißt so viel wie, die Verkoster haben keine Ahnung, können aber nichts dafür, denn da würden selbst die Besten scheitern. Die Lösung hatten die betroffenen Winzer auch gleich parat: wir zeigen unsere Weine lieber ein Jahr später, da zeigen sie sich viel deutlicher. Heißt natürlich so viel wie: ‚…dann kriegt auch ihr Blinzen gebacken, dass das krasses Zeuch ist‘, klingt aber irgendwie netter.
Nur leider löst die Maßnahme das Problem nicht. Sie macht es nur noch schlimmer. ‚Wir waren auch erstaunt, wie schwierig sich einige 19er präsentierten‘ erklärte mir ein VDPist am Rande der Rheingauer Veranstaltung nach der GG-Vorstellung. Genau. Nicht nur da. Die Quote der gelobten Weine ist beim 19er deutlich kleiner als beim 20er. Wirklich weil der Jahrgang so viel schwächer ist? Ich habe Zweifel. Die nähren sich auch aus der simplen Tatsache, dass die guten 2019er sich eher verschlossen, die nicht so guten aber erstaunlich offen und – teils übermäßig, teils unharmonisch – gereift zeigten.
Übung macht den Meister
Ein blutjunges, relativ frisch filtriertes, geschwefeltes und gefülltes Riesling-GG liegt unter einem prozessbedingten diffusen Schleier, um mal den Versuch einer Beschreibung zu wagen. Der verursacht Probleme beim Auseinanderhalten von Säure, Phenolik und Schwefel, bei der Einschätzung was ist Extrakt, was ist Zucker etc. etc. Aber da alle Weine unter diesem Schleier liegen und die meisten Menschen, die einen Sitz in Wiesbaden ergattern, schon mal jungen Wein probiert haben, kann man diesen Effekt halbwegs zuverlässig ‚rausrechnen‘. Ein Jahr später kann man das GG noch besser bewerten, aber nur, wenn man es bereits als blutjunges, relativ frisch filtriertes, geschwefeltes und gefülltes Riesling-GG probiert hat. Sonst hat sich die Komplexität nur erhöht und die Zahl der Referenzpunkte verringert.
So wahnwitzig offen, wie sich viele 19er gezeigt haben, entsteht der Eindruck, 2019 ist das neue 2011 und nicht das neue 2015. Letztes Jahr hätten die besser abgeschnitten. Dabei gilt das eher nicht, wenn die 2019er erst jetzt gezeigt werden, weil sie tatsächlich später gefüllt wurden. Diels Burgberg schmeckt eigentlich nie ein ganzes Jahr älter als seine beiden Geschwister-GGs, weil er eben 7 der 12 Extramonate im Tank auf der Hefe liegt und ebenfalls als blutjunges, relativ frisch filtriertes, geschwefeltes und gefülltes Riesling-GG in Wiesbaden Premiere feiert (der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass er selten so alt im Vergleich schmeckte wie dieses Jahr).
Eigentlich hätte nur einer der letzten zehn Riesling-Jahrgänge flächendeckend davon profitiert, wenn man ihn ein Jahr später präsentiert hätte. Das war 2013. Bei 2016 wäre es wurscht gewesen, bei 2017 ungefähr auch. Dringende Bitte: Alles was auf der Flasche ist, sollte gezeigt werden. Das würde uns Verkostern das Leben leichter machen. Wann es in den Verkauf kommt, können die Winzer ja davon unabhängig entscheiden. Ist schließlich ihre Party. Eine tolle Party, bei der ich gerne Gast bin. Danke für die Einladung.
Spannendes Fazit. Bin gespannt auf die kommende Entwicklung.