Die Vorpremiere der GGs ist geschafft und bei aller Vorläufigkeit des ersten Eindrucks vermitteln 471 Weine natürlich ein Bild, das es einzuordnen gilt. Hier also das Fazit.
Drei Tage intensiven Verkostens und Schreibens, An- und Abfahrt, eine Hotelübernachtung (zwei übernahm der VDP) und ein weiterer Tag Nachbearbeitung. Ich stelle die dabei entstandenen Eindrücke gerne kostenlos der Allgemeinheit zur Verfügung. Doch freue ich mich auch über Unterstützung. Dieser Text ist daher bis zum 10. September exklusiv für Steady-Unterstützer zugänglich. Diese finden am Ende des Textes auch meine Arbeitsmappe mit den Notizen zu allen Weinen, nicht nur zu denen, die es in den Ticker geschafft haben. Obendrein lade ich Steady-Unterstützer am Freitag, den 8. September per Videokonferenz zu einer Frage-und-Antwort-Stunde zu meinen Eindrücken (und Weinfragen allgemein). Details dazu rechtzeitig über Steady.
Ich hatte nach der Mainzer Weinbörse bereits vorhergesagt, dass Wiesbaden dieses Jahr schwierig werden würde. Das hat sich bewahrheitet. Von hitzegeprägt bis dünn ist alles dabei. Erschwerend kam hinzu, dass es in Wiesbaden nicht den aktuellen Jahrgang zu verkosten gibt, sondern die aktuell in den Handel gelangenden Wein (mit einigen Ausnahmen). Das ist mittlerweile etwas völlig anderes. Zwei Weine aus 2018, zwei aus 2020, 88 aus 2021 und 194 aus 2022 lautete die Verteilung beim Riesling, mithin stammte ein Drittel nicht aus dem Jahrgang, zu dem sich alle ein Urteil wünschen. Wichtige Spieler fehlten, weil ihre Weine noch nicht fertig waren, einige schickten Fassmuster – ein seriöses, selbst vorläufiges Urteil über den Jahrgang 2022 ist nicht möglich. Das gilt für mich doppelt, weil ich selbst bei den verkosteten Weinen sehr häufig meiner Sache nicht sicher war. Und das ist das erste, das wichtigste Fazit: Wenn Sie mit Weinen liebäugeln, die nicht zu den schnell ausverkauften gehören, dann lassen Sie sich Zeit. Selbst wenn Sie den Wein vor Erwerb bei einem Händler verkosten können, misstrauen Sie Ihrem eigenen Urteil. Kaufen Sie erst mal eine einzelne Flasche und trinken Sie sie nächstes Jahr im Herbst. Danach erst sollten sie die ursprünglich eingeplante Menge anschaffen – zugegeben, das geht nur bei Weinen aus der zweiten Reihe.
Binsenweisheit gilt nicht
Und diese zweite Reihe hat nicht wirklich überzeugt. Also denke ich an den alten Spruch: ‚in großen Jahren kleine Namen kaufen und in kleinen Jahren große Namen.‘ Das ist aber auch nicht ganz richtig, weil ich auch bei etlichen etablierten Stars nicht alles eitel Sonnenschein fand und das Jahr nicht so klein ist. Zweite Reihe ziemlich gut, da fällt mir Flick und Karl Schaefer ein, Boris Kranz, Nik Weis – St. Urbans-Hof, Haart, Wegler, Crusius, Kruger-Rumpf, Knewitz, Groebe, Minges. Einiges davon findet sich nicht im Ticker, was dann nicht daran liegt, dass die Weine schwach wären. Sie präsentieren sich als sehr ordentliches GG, umschiffen die Klippen und machen Hoffnung auf einen guten Reifeverlauf, ohne dass sie jetzt schon große Besonderheiten zeigen. Das müssen sie auch nicht, GGs sind schließlich keine Zirkuspferde.
Und bei den großen Namen hat kaum einer restlos überzeugt. Entweder missfällt mir ein einzelner Wein, oder ich war mir im Urteil nicht sicher und habe viele kritische Stimmen gehört. Ich finde, bei komplizierten Jahrgängen bricht sich der gewissenhafte Verkoster keinen Zacken aus der Krone, wenn er nicht nur auf seine eigenen Eindrücke vertraut. Meistumstritten war vermutlich Dönnhoff. Ausgenommen sein von einer möglicherweise aufziehenden Kontroverse wird hoffentlich die Hermannshöhle, die auch mich restlos begeisterte. Zu denen, die ihrem großen Namen mit tollen Weinen gerecht wurden, gehört für mich Weil, der es aber einfach hat, macht er doch nur ein GG. Heymann-Löwenstein und Van Volxem haben tolle Weine, aber auch ein oder zwei Kuckuckseier im Nest, so ähnlich geht es fast allen: Fritz Haag, Dönnhoff, PJ Kühn, KGBS, Wittmann und so weiter, wobei das Kuckucksei oft kein schlechter Wein ist, sondern ein ordentliches, eher braves GG, welches in keiner Relation zu den mittlerweile aufgerufenen Preisen mehr steht. Die höchste Gesamtqualität aller Betriebe, die mehr als drei GGs machen, hat für mich Bürklin-Wolf, zum wiederholten Male.
Watschenmann Rheingau
Reden wir über Regionen: Die Mosel hat gut abgeschnitten 16 der 57 angestellten Weine haben sich in meinen Ticker gedrängt und das in einem Jahr, in dem Clemens Busch, Knebel und Schloss Lieser keine Weine angestellt haben. Und auch wenn kein einziges der neun GGs von Dr. Loosen mein Herz erobert hat, sind sie allesamt nicht schlecht (Domprobst und Himmelreich sogar spannend).
Über den Rheingau ist viel geschimpft worden und darüber müssen wir reden. Ich fand auch nicht, dass das reicht. Allerdings fehlen auch hier ein paar sichere Bänke aus meiner Bubble: Alex Jung war gar nicht da, Oetinger nur mit einem Wein, dafür Domdechant Werner gleich mit vieren, die allesamt ordentliche GGs für eine andere Zielgruppe sind. Das ist ein Aspekt, der mir zu wenig berücksichtigt wird: Welcher Schnutentunker-Leser kauft sich denn ‚aus Versehen‘ ein GG von Eser, Graf von Kanitz oder Domdechant Werner und ärgert sich dann, dass es zwei Gramm mehr Restzucker hat, als in der Zielgruppe reüssieren können? Keiner. Diese Weine werden ab Hof an Stammkunden verkauft, die die genau so haben wollen und ich bin sehr dankbar, dass ich sie in Wiesbaden verkosten kann, obwohl mein Urteil für diese Weingüter völlig irrelevant ist. Anekdote am Rande: Die melden sich dann immer sehr höflich und erfreut, wenn es ein Wein doch ins Blog schafft. Also alle einen Gang zurückschalten.
Das ist in der Pfalz anders, denn da gibt es reichlich Namen, die in meiner Leserschaft Resonanz auslösen. Dafür war die Performance nicht befriedigend. Rings und Bürklin-Wolf top, Rebholz sehr gut, aber nicht ohne Streichergebnis, Minges mit einem Ausrufezeichen, der Rest durchwachsen, was man in diesem Fall auch auf Weißburgunder übertragen kann. Ich finde, Ungeheuer, Pechstein und Kirchenstück verdienen mehr Glanztaten. Die Südpfalz performt allerdings ordentlich. Die Nahe polarisiert dieses Jahr, da haben sich viele unwohl gefühlt. Ich fand das auch nicht unproblematisch, habe meinen Favoriten aus dem Ticker wenig hinzuzufügen. Baden hat kaum Riesling GGs, Württemberg zeigt 13 durchwachsene mehrheitlich aus 2021.
Viel Unruhe im Glas
Franken habe ich dieses Jahr komplett blind probiert und beim Aufdecken manche Überraschung erlebt. Die Weine waren insgesamt unruhig, häufig schwer zu beurteilen, aber es waren wenig Ausfälle dabei. Knolls Stettener Stein war mir der liebste Riesling. Beim Silvaner fand ich Wirsching stark, die Aufregung um neues Holz beim Juspi übertrieben und dessen Julius-Echter-Berg Weltklasse, ebenso wie den 18er von Castell.
Das Wörtchen Weltklasse fiel bisher noch nicht. Als mich ein Kollege beim gemeinsamen Verlassen der Veranstaltung fragte, ob ich einen oder mehrere Favoriten habe, konnte ich spontan keinen benennen, zum ersten Mal in meiner Wiesbaden-Historie. Mit etwas Nachdenken entgegnete ich dann: ‚Meyer-Näkel, das Gesamtpaket‘. Womit wir beim Spätburgunder wären. Auch wenn mir Sonnenberg und Pfarrwingert ‚nur‘ als ordentliche GGs erschienen, sind Kräuter- und vor allem Silberberg für mich so dermaßen aus dem Spätburgunder-Paradies, dass Meyer-Näkel allen die Rücklichter zeigen. Wie sie diese fleischige Note mit süßer Frucht vermählen, das geht nicht besser. Burggarten kommt allerdings nah ran und so stellt sich die Ahr insgesamt in ein fantastisches Licht. Ansonsten gab es Licht und Schatten, Fürst und Huber performten sehr gut, Becker zeigte 20er und meine Probleme bei der Einschätzung der Kaiserstühler habe ich bereits geschildert. Insgesamt hatte ich nach der Spätburgunder-Verkostung nicht das Gefühl, gerade die Spitze des nach Frankreich zweitwichtigsten Pinot-Erzeugerlandes verkostet zu haben, wie viele es gerne darstellen/hätten und die mittlerweile aufgerufenen Preise vermuten lassen. Wenn Sie jetzt bedächtig nicken: Meyer-Näkels für den Silberberg aufgerufene 54 Euro halte ich für sehr angemessenen.
Hurra, ein Tipp
So habe ich dann am Ende wenigstens noch eine konkrete Kaufempfehlung ausgesprochen. Ich hätte Ihnen gerne mehr geboten, vor allem weil der Mangel an Begeisterung oft als Kritik interpretiert wird. Deswegen noch einmal ganz deutlich: 2022 beim Riesling und 2021 beim Spätburgunder sind durchwachsene Jahrgänge mit sehr heterogenen Ergebnissen, die sich weder nach Anbaugebiet noch nach Unterregion clustern lassen – oft nicht einmal nach Erzeugern. Dazu zeigen die Weine sich ungewöhnlich unruhig. Ein Jahrhundertjahrgang können wir ausschließen, eine Katastrophe wie 2006 aber auch. Mehr Kontext gibt es auch in der nächsten Podcastfolge.
Anmerkung: zur Datei: Die ist ausschließlich für den eigenen Hausgebrauch gedacht, Weitergabe ist strikt untersagt. Fragen bitte direkt an mich und nicht hier im Kommentarbereich, sofern sich daraus Rückschlüsse auf unveröffentlichte Weinbewertungen ergeben, sonst gerne hier. Die Bewertungen bedeuten folgendes: 1 = Weltklasse oder knapp darunter, 2 = Erfüllt die Anforderungen an ein GG (dabei ist aber der Preis nicht berücksichtigt), 3 = müsste ich länger verkosten, um ein seriöses Urteil zu fällen, 4 = wieso hat das die Anerkennungsprüfung bestanden?
Werter Herr Bodmann,
vielen Dank für ihren tollen Bericht aus Wiesbaden. Anscheinend wirklich eine schwierige Verkostung hinsichtlich der Bewertung. Sie finden den Julius-Echter-Berg vom Juliusspital „Weltklasse“, der Kollege Raffelt schreibt hingegen hierzu: „Der 2021 Juliusspital Würzburg „Iphofen Julius-Echter-Berg“ besitzt zum Glück nicht das Artifiziell Tropische des „Stein-Berg“. Er wirkt deutlich steiniger und vor allem präziser. Am Gaumen ist mir das alles etwas zu runde, wässrig und belanglos. Das ist weit von einem GG-Status entfernt!“
Eine beachtliche Divergenz in der Einschätzung zweier absoluter Experten. Wie sollte ein Amateur wie ich damit umgehen? Insofern werde ich ihrer Empfehlung folgen und erst etwas Zeit vergehen lassen, bevor ich (zurückhaltend) mit dem Kaufen beginne.
Nochmals vielen Dank für diesen Blog und selbstverständlich auch für den herausragenden Podcast.
Ich fand den Wein richtig gut und Raffelt fand ihn richtig schlecht. Wie Sie damit umgehen, müssen Sie selbst entscheiden, aber Sie haben Ihre Schlussfolgerung ja auch schon geschildert. Ich gehe also davon aus, dass die Frage rhetorisch war, oder? Sonst sei hier noch mal die ‚Über‘-Seite dieses Blogs zitiert: Alles hier ist gnadenlos subjektiv, ich werte Weine hier nach meinem Geschmack – den Glauben an eine ‚objektive Weinqualität‘ halte ich eh für einen frommen Wunsch. Erheben Sie das Blog nicht zum Maßstab, hier geht es nicht um Deutungshoheit. Wenn Sie nach einer Weile des Lesens und Vergleichens den Eindruck gewinnen, mein Geschmack sei dem Ihren ziemlich ähnlich, dann dürfen Sie mich selbstverständlich als Ratgeber betrachten.
Was für ein großartiger Service! Großen Respekt und ein riesiges Dankeschön!