Es ist Montag, der 26. August 2024, 8:59 und das bedeutet: Riesling!!!
Doch während ich auf die Einschenkerin warte und die Weine danach vielleicht noch etwas anwärmen lasse, muss ich schnell ein bisschen angeben. Mein letzter offizieller Verkostungsschluck des gestrigen Tages war ein 99 Jahre alter Spätburgunder. Der wird 2025 – dann 100-jährig – versteigert werden. Es gab gestern Abend erstmals auch die Rheingauer Versteigerungsweine in der Vorprobe, mit den schon länger sonntags präsentierten Weinen der anderen Verbände. Schnelles Fazit: wunderbares Kabi-Jahr an Mosel, Saar und Nahe, tolle trockene Auktionsreserven im Rheingau, zwei GGs, die heftig mit 100 Punkten flirten (Keller Pettenthal und Emrich-Schönleber auf der Lay) und ein hundert Jahre alter Spätburgunder, für den die Zeit stehen geblieben ist. Und jetzt Riesling.
Riesling
2023, wenn nicht anders angegeben
Mosel-Saar-Ruwer
Frisch-fruchtige Nase, saftig-bissig am Gaumen, Schloss Saarsteins gleichnamige Lage strahlt hell und gelbfruchtig und schmirgelt sich lang und fein durch den schönen Abgang. Guter Start. Van Volxems Schonfels hat einen Hauch Tropen in der Nase, ist dazu auch etwas mürbe. Am Gaumen ziemlich opulent, warm, würzig. Dreht nach hinten raus sehr ins Würzige und wird dadurch wieder interessant, nachdem ich ihn erst für einfach hielt. Frischer in der Nase dann die Kupp von Lauer, ausgewogener Gaumen, schöne Säure, feine Phenolik, gelbfruchtig, dann grüner Apfel, sehr viel Potenzial. Toller Wein.
Bockstein von St.-Urbans-Hof: Kernobstnase, straffer Gaumen, Gebirgsbachtextur, dann kommt viel Säure, dann kommt viel Frucht, dann geht das Schmirgeln los. Formvollendet! Van Volxems Saarfeilser ist etwas parfümiert. Sehr saftiger Antrunk, wird dann Zitrusfrisch und -fruchtig. Zeigt eine schöne, rauchige, geheimnisvolle Phenolik im extrem langen Abgang. Das macht Spaß! Kernobst und etwas erdig ist die Nase beim Scharzhofberger, am Gaumen leicht mürbe Frucht, dann kräftige, sehr reife Säure, opulent, die Säure sorgt für schöne Struktur. Würzig. Eigen. Gut. Eher würzige Nase mit sehr reifer Aprikose beim Altenberg, am Gaumen noch von der Hefe geprägt, darunter vibrierend, Grapefruit, hell strahlend, enorm vielversprechend.
Von Hövels Hörecker: Dezent flintige, gelbfruchtige Nase, unglaublich charmanter Gaumen, der nach hinten durch Säure und Phenolik dann viel Spannung aufbaut. Das hat Saft und tanzt und schlägt richtig Alarm. Deutlicher Stinker in der Nase des Bruderberg von Maximin Grünhaus, geiziger Gaumen mit viel Säure und diesem festen Kern, der so viel Potenzial andeutet. Finde ich wahnsinnig interessant.
Die Laurentiuslay von Grans-Fassian betont die Frucht und das Frucht-Säure-Spiel und ist auf charmanteste Art alte Schule ohne viel Schmirgeln. Willkommene Abwechslung und toller Wein. Auch die Apotheke zeigt enorme Anlagen: Fruchtige Nase, zitrusfruchtiger Antrunk, dann wird der Wein stoffig und dann verschlossen. Beim Goldtröpfchen von Schloss Lieser kommt nach einem gefälligen Start die Spannung, das Zerren und Zappeln junger Säure und frischer Phenolik, das mit der Zeit zu einem harmonischen Ganzen reifen kann. Macht jetzt Zicken und in fünf Jahren großen Spaß.
Fritz Haags Juffer hat eine hefegeprägte Nase, komplexe Frucht am Gaumen, auch hier noch etwas Hefe, aber dann baut sich viel Spannung auf und deutet sich viel Potenzial an. Das würde ich gerne länger probieren, weil es vielleicht ganz groß ist, toll ist es allemal. Wegelers Doctor hat eine wunderbare Feuerstein-Nase, der Antrunk mit Grapefruit und Aprikose und dann starten Säure und Phenolik ihr Werk. Nicht auf dem höchsten Niveau, aber um Längen besser als vieles, was wir aus dem Bereich Bernkastel gerade probieren dürfen. Sehr gut. Schloss Liesers Wehlener Sonnenuhr bietet eine klassische Rieslingnase. Dann etwas hefegeprägter Gaumen, bei dem die Säure einiges abzuräumen hat, aber sie räumt ab und schafft Platz für ein sehr charmantes Finish. Finde ich gut.
Verführerisch-süße Nase, komplexe Frucht am Gaumen, kräftige Säure, gutes Spiel, schöne Würze. Auch für Dr. Loosens ÜrzWürz gilt: Mag ich. Bei Clemens Busch ist schwer was los. Beim Marienburg Fahrlay finde ich den Antrunk sehr weich, die Frucht ist wunderbar komplex, würzige Noten, feine Phenolik, fester Kern, alles da, nur die Säure ist im Moment ein bisschen von Babyspeck ummantelt. Ich glaube, das wird mal ganz stark. Der Marienburg Falkenlay ist hingegen voll da. Der typischen Opulenz des Hauses steht hier sehr viel Spannung gegenüber. Das ist kein Tänzchen auf der Zunge, eher eine Schlacht. Die Frucht-Allianz verzeichnet erhebliche Geländegewinne, doch die Steinkoalition formiert sich schon zum Gegenangriff. Attacke! Beim Marienburg Rothenpfad ist das ähnlich, allerdings liegt hier die Malz-Allianz im Hinterhalt und mit der ist nicht zu Spaßen. Mit anderen Worten: Könnte grandios werden, vielleicht aber auch etwas zu opulent.
Mittelrhein
Üppige Frucht und Spannung und Lebendigkeit: Matthias Müllers Mandelstein ist für die Stein-Wein-Fraktion vielleicht ein wenig einfach, aber richtig gut. Bei Ratzenbergers St. Jost habe ich hingegen schon in der Nase eine gewisse steinige Strenge. Der Gaumen startet zwar mit reifer, leicht mürber Frucht, aber dann kommen sehr schnell Säure und Phenolik und rollen den Wein von hinten auf. Ganz klassisch, ganz toll.
Rheingau
In der Zwischenzeit habe ich im gestrigen Text die Pfalz noch vervollständigt.
Umgekehrte Reihenfolge, wir verkosten ab sofort flussaufwärts. Außerdem ist hier die Mehrheit aus 2022 und Abweichungen werden vermerkt.
Der 23er Rüdesheimer Berg Schlosberg von Wegeler macht mir Spaß, weil sehr reife Frucht auf resche Säure trifft, das tänzelt beschwingt und bleibt die ganze Zeit herrlich fruchtig. Hat Potenzial. Berg Roseneck von Allendorf aus gleichem Jahr ist in der Nase etwas parfümiert, am Gaumen dann sehr hell, sehr strahlend. Gelbfruchtig, kreidig, speicheltreibend. Wunderbar. Gleiche Lage von Leitz zeigt große innere Harmonie: reife Säure, reife Frucht, aber nicht mollig, der Babyspeck ist auch schon weg, erste Auswirkungen der Flaschenreife sind zu spüren, der Wein ist total offen, zeigt trotzdem viel Potenzial. Ewig lang und fein schmirgelnd im Abgang. Traumhaft.
Und Leitz liefert weiter: Der Kaisersteinfels ist karg, fest, zum Draufrumkauen, keinerlei Flaschenreife bemerkbar, wundervoller Zug, kleines speicheltreibendes Bitterl. Sehr vielversprechend. Sein Berg Rottland ist der würzigste, dunkelste im Rottland-Flight. Leicht rauchig/malzig, ausreichend Säure, kräftige Phenolik, üppig, aber weder plump noch ausladend. Vielversprechend. Das gilt auch für den Johannishof: Klassische Nase, schon im Antrunk bissig, nach hinten raus lang anhaltende Vibrations, hell, straff, fest. Mein Beuteschema. Dann noch einmal Wegeler: Den Jesuitengarten finde ich extrem fordernd. Erst möchte ich abwinken und sagen, da reicht ein Probeschluck nicht aus, der Antrunk verhalten fruchtig, die Säure gut, leichter Hefeschleier maskiert die Phenolik, aber dann passiert da so viel im Abgang, dass völlig klar ist: Definitiv empfehlenswert.
Prinz’ Jungfer ist hell, federnd, zupackend, leise, elegant, mit festem Kern. Ich bin nicht sicher, ob die Süße ganz passt, sonst würde ich hier die Fanfaren starten. Sehr gut ist das allemal. In einem eher schwierigen Verkostungsfeld sind es manchmal die ganz klassischen, im positiven Sinne harmlosen GGs, die das Herz des Verkosters erfreuen. Der Hassel von der Georg-Müller-Stiftung ist so eins. Barths Wisselbrunnen hat eine traumhafte Säure, die jetzt schon wunderbar integriert ist und von Zucker unbehelligt den Wein trägt und prägt. Das finde ich super. Die dunkle, rauchige Arte der Lage kommt bei Prinz’ Marcobrunn wunderbar zum Tragen. Darunter liegt eine fast schmerzliche Konzentration von reifer Frucht und reifer Säure. Das ist großer Sport. Es ist der 23er und das ist auch bei Weils Gräfenberg der gezeigte Jahrgang. Und so schmeckt junger Gräfenberg und das unterschätzt man gerne: Die kreidige Tiefe unter der etwas bunten Frucht muss man noch suchen und die etwas laute Art erweckt immer den Verdacht von Kellertechnik. Nope. It’s not a bug, it’s a feature. Und es ist ein großer Wein.
Auch der Baikenkopf von Kloster Eberbach ist ein 23er. Das ist beißend konzentrierte, rauchige Phenolik mit toller Säure und derzeit auf Tauchstation gegangener Frucht. Dunkelwürzig und geheimnisvoll und sehr tief. Und wenn das jetzt alles etwas frustriert klingt und die Ausbeute für 49 probierte Weine mager, dann sei hier versichert: An der Qualität liegt es meiner Meinung nach nicht, sondern an der (doofen) Idee, die Weine ein Jahr später zu zeigen. Exemplarisch dafür der letzte gezeigte Wein. Es ist Flicks Nonnenberg Vier Morgen 2022. schöne, würzige Nase, aber am Gaumen auch wieder plüschig. Kaut man aber lange drauf rum, wird man mit würziger Mineralik und schönem Säurebiss belohnt. Die Zeit, das zu erschmecken, hat man in Wiesbaden schlicht nicht.
Sachsen & Saale-Unstrut
2022 Steinmeister von Hey: Dezent würzige Nase mit reifer Aprikose und mürbem Apfel. Am Gaumen ein leicht malziger, vollreifer Antrunk, dem eine unmittelbare Säure-Offensive folgt, so dass da kein plüschiges Mundgefühl entstehen kann. Dann wird es wieder malzig, rauchig und ein bisschen geheimnisvoll. Ein Wein für Menschen, die Marcobrunn und Rothenberg zu ihren Lieblingslagen zählen (obwohl ganz nach hinten raus wird er wieder etwas heller). Böhme & Töchters Edelacker 2022 ist dann das Gegenstück, quasi wie Pettenthal zum Rothenberg oder Frühlingsplätzchen zum Halenberg. Hell, vibrierend, elegant. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber da hat sich der VDP im Osten wirklich verstärkt. Martin Schwarz’ Kapitelberg 2022 ist eigenständig. Die Nase noch ganz klassisch, der Gaumen dann eher blumig, ungewohnt, weil auf Granit gewachsen und so viele Riesling-GG-Lagen auf Granit haben wir in Deutschland bisher nicht. Willkommene Bereicherung.
Rheinhessen
Gute Ausbeute im ersten Flight: Kruger-Rumpf mit seriösem Biss, satter Frucht und feiner Phenolik im Scharlachberg. Prinz Salm mit süßer Nase, aber enorm griffigen Körper samt etwas Malz und animierendem Bitterl im Schlossberg. Und Knewitz strahlt im Hundertgulden: Klassische, helle Rieslingnase, helle Anmutung auch am Gaumen, etwas Grapefruit, viel Aprikose ohne Überreife, leicht kreidig, feines Vibrieren durch die tolle Säure. Tanzt!
Bei Knewitz Steinacker findet sich eine wildwürzige Nase und viel Alarm am Gaumen! Leicht dropsige Frucht, knackige Säure, viel Substanz, heftig zurrende und speicheltreibende Phenolik. Mir fehlt aktuell etwas Länge, der Rest ist toll. Wagner-Stempels Höllberg finde ich interessant. Eher mittelgewichtig, leise, nicht besonders druckvoll, trotzdem ausdrucksstark. Könnte zu sehr feiner Eleganz reifen.
Roter Hang: Gunderlochs Rothenberg startet etwas untypisch, relativ hell und vibrierend. Die leicht rauchige Aromatik des Berges kommt dann im Abgang zum Tragen. Lebendig und sehr gut. Die Quintessenz der Lage gibt es dann bei Kühling-Gillot. Rauchig, üppig, aber eben nicht fett, sondern steinig und nach hinten raus fein. Atemberaubend. Gunderlochs Pettenthal startet harmlos, aber dann flirrt das Leben durch den Gaumen, hell, blumig, strahlend, ziemlich bissig. Gut. Beim Hipping liegt viel Babyspeck um eine deutliche Phenolik. Dann schält sich tolle Säure heraus. Muss man sich derzeit ein bisschen erarbeiten, aber das ist schon sehr gut. Die gleiche Lage von Kühling-Gillot steht gerade ein bisschen in Einzelteilen vor mir. Die sind: Ein feines Bitterl, das unter einem Hefeschleier hervorlugt, satte Frucht aus dem fast vollreifen Spektrum, kräftige, ziemlich reife Säure, eine klare, saftige Textur und eine deutliche, eher helle Phenolik. Läuft!
Bei Wittmanns Kirchspiel finde ich eine frische Nase, sattfruchtig und dann kommt eine Welle von würzigen Aromen und surft die tolle Säure-Welle. Wir sind vollreif unterwegs, aber wir tragen Sonnenbrille! Beim Brunnenhäuschen kriege ich schon bei der Nase Gänsehaut und am Gaumen dann Schnappatmung. Das ist frisch und würzig, eher steinig als fruchtig, aber nicht fordernd, sondern schwingend. Um 16:12 am zweiten Tag der erste Schluck dieser Veranstaltung, den ich nicht ausspucken kann. Prost! Der Morstein ist aktuell saftiger und gefälliger im Antrunk als das Brunnenhäuschen. Die anschließende Spannung ist wunderbar, die Länge grandios und alle Anlagen für einen großen Morstein da. Kann ich zwar ausspucken, deswegen ist er aber nicht schwächer.
Kirchenstück von Battenfeld-Spanier: Die würzige, leicht erdige Art der Lage ist nicht unbedingt mein liebstes Aromenbild beim Riesling, aber die Präzision mit der das hier herausgearbeitet ist, beeindruckt mich sehr. Und bevor Missverständnisse aufkommen. Ein Glas davon trinke ich mit höchstem Vergnügen. In diesem Jahrgang sogar mit allerhöchstem. Granatenwein. Die etwas süßere Anmutung machte den Zellertal am schwarzen Herrgott dann zum Wein der Wahl nach dem Glas Kirchenstück. Die Tiefe und was alles passiert, wenn der erste süße Fruchteindruck (und Babyspeck) Platz macht, ist beeindruckend.
Lieber Felix, konntest Du auch den 2022er Karthäuserhof GG verkosten? Wie war er? VG Tobias
Kein Wein, den man mit einem Schluck erfassen konnte
Guten Morgen,
statt Battenfeld-Spanier sollte es Kühling-Gillot sein beim zweiten Rothenberg, oder?
Und insbesondere die Leser aus dem Osten des Landes (ich bin da zumindest geboren, daher springt mich das an) freuen sich bestimmt über die Ergänzung von „Saale-Unstrut“ oben bei Sachsen 🙂
Vielen Dank für den wie jedes Jahr tollen Bericht.
Hallo Felix, danke für den Einblick! Hast du auch etwas über den Jahrgang im Hinblick auf Spät- und Auslesen erfahren?